PARAGRAF 219a : Erneuter Prozess gegen Ärztinnen

30. August 2018 // Sibille Heine

Eigentlich war in dieser Woche mit einem Urteil im Fall zweier Ärztinnen zu rechnen, die gegen den Paragrafen 219a verstoßen haben sollen. Das Verfahren wurde am Mittwoch unterbrochen, begleitet von zahlreichen Solidaritätsbekundungen aus Zivilgesellschaft und Frauenorganisationen.

Bild: zwd
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zwd Kassel. Die Debatte um den Strafgesetzbuchparagrafen 219a geht mit dem Prozess gegen zwei Frauenärztinnen in eine neue Runde. Am Mittwoch mussten sich Natascha Nicklaus und Nora Szász vor dem Kasseler Amtsgericht verantworten, weil sie auf der Homepage ihrer Gemeinschaftspraxis unter anderem Schwangerschaftsabbrüche als Leistung anbieten - ein Verstoß gegen das in Paragraf 219a festgeschriebene „Werbeverbot“, so die Anklage.

Die Verteidigung hingegen drängt auf Freispruch der Angeklagten, der Paragraf 219a, der Ärzt*innen untersagt, für Schwangerschaftsabbrüche zu "werben", sei rechtswidrig. Zu einem abschließenden Urteil im Prozess kam es gestern nicht, die Verteidiger*innen stellten im laufenden Verfahren einen Befangenheitsantrag gegen den zuständigen Richter. Dieser hatte die Anhörung eines Experten abgelehnt, aus der hervorgehen sollte, dass Frauen nicht durch Werbung für eine Abtreibung gewonnen werden könnten, berichten verschiedene Medien. Über den Antrag muss nun ein anderer Richter befinden, danach wird ein Termin für die Fortsetzung des Prozesses bekannt gegeben oder das Verfahren neu aufgerollt.

Unterstützung vor der Tür und aus dem Netz

Die Gerichtsverhandlung wurde von Protesten gegen den Paragrafen begleitet. Zahlreiche Unterstützer*innen seiner ersatzlosen Streichung harrten vor dem Gerichtsgebäude mit Transparenten aus, vorher hatten unter anderem der Deutsche Frauenrat, pro familia, der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft, die Evangelischen Frauen in Deutschland und das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung ihre Solidarität bekundet und eine Streichung der Regelung gefordert.

Rasche Lösung aus Berlin gefordert

Szász forderte nach dem Prozess in der Hessenschau eine politische Lösung in Sachen 219a. Dazu sollten sich die Verantwortlichen an einen Tisch setzen und klären, wie die Rechtssicherheit für Ärzt*innen geschaffen werden könne, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Im letzten Jahr hatte der Fall der Ärztin Kristina Hänel für Aufsehen gesorgt. Hänel war zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie wie die nun Angeklagten auf ihrer Homepage auf die Möglichkeit hinwies, einen Abbruch vornehmen zu lassen. Die Ärztin ging in Berufung, das für die kommende Woche angesetzte Verfahren wurde wegen des großen medialen Interesses zunächst verschoben. Im Bundestag sprachen sich nach dem Urteil gegen Hänel die Linke, die Grünen und die SPD für eine Streichung der Regelung aus, weil Paragraf 219a verhindere, dass betroffene Frauen sich in einer Krisensituation schnell informieren könnten und darüberhinaus Ärzt*innen kriminalisiere, die einen solchen Eingriff vornehmen. Die FDP hatte auf eine Entschärfung gedrängt. Nachdem sich SPD und Union auf eine neue Koalition verständigt hatten, nahmen die Sozialdemokrat*innen Abstand von ihrer Forderung und versprachen eine koalitionsgemachte Lösung für Herbst. Da die Union im Vorfeld mehrfach den Weg zu einer raschen Reform blockiert hatte, kündigte die SPD an, notfalls im Bundestag eine Mehrheit für die Streichung zu suchen. Diese Ankündigung wiederholte am Mittwoch der SPD-Bundestagsabgeordnete Timon Gremmels in Kassel. Die ebenfalls anwesende frauenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Cornelia Möhring, sagte dazu, die SPD sollte sich nicht länger von der Union hinhalten lassen und politisch die Streichung durchzusetzen.

Immer weniger Frauenärzt*innen bieten Eingriff an

Zuletzt hatte das Magazin Kontraste berichtet, dass immer weniger Ärzt*innen Abbrüche durchführen und deckte einen Zusammenhang mit dem veränderten gesellschaftlichen Klima auf, in dem sich Mediziner*innen Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt sehen. Insgesamt ist der Anteil der Ärzt*innen, die Abtreibungen anbieten seit dem Jahr 2003 um 40 Prozent zurückgegangen.

Stadtstaaten machen es vor

Die Länder Hamburg, Berlin und Bremen wollen nicht warten, bis der Bund eine Lösung ausarbeitet. Auf offiziellen Seiten der Städte Berlin und Hamburg können betroffene Frauen Adressen von Ärzt*innen mit entsprechendem Angebot einsehen. Derweil diese Form der Informationsbeschaffung in Hamburg seit Jahren Praxis ist, können die Berlinerinnen den Service seit diesem Sommer nutzen. Bremen hat am Mittwoch bekanntgegeben, dass eine Liste von Praxen und Kliniken erstellt wurde, die allen Beratungsstellen vorliegt und nach Zustimmung der Einrichtungen ebenfalls auf der Webseite der Gesundheitssenatorin veröffentlicht wird.

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