STUDIE ÄNGSTE DER DEUTSCHEN : "German Angst"? - Deutsche werden optimistischer

5. September 2019 // Ulrike Günther

Das Stimmungsbarometer in der Bevölkerung steigt: Die Deutschen sind optimistischer und gelassener als in den Vorjahren. Das zeigt die am Donnerstag vorgestellte Studie der R + V-Versicherung, die jährlich „Die Ängste der Deutschen“ misst. Die größten Sorgen bereiten ihnen 2019 demnach der staatliche Umgang mit Flüchtlingen und Migrant*innen sowie die durch Trumps Politik gefährlicher gewordene Welt.

Die Ängste der Deutschen 2019 - Bild: R + V-Infocenter
Die Ängste der Deutschen 2019 - Bild: R + V-Infocenter

Berlin/ Wiesbaden. Die vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos im Auftrag der R + V-Versicherung zum 28. Mal an rund 2400 Befragten durchgeführte Studie zeigt: So guter Stimmung und so wenig von Ängsten belastet waren die Deutschen zuletzt im Jahr 1994. Und das, obwohl Deutschland weltweit als „Republik der Ängste“ gilt. Diese Behauptung sei allerdings abwegig, sagte Prof. Manfred Schmidt von der Universität Heidelberg, der die Studie seit über 15 Jahren betreut, da die Menschen in erster Linie auf „reale Fragen“ reagierten. Die Furcht, dass staatliche Behörden und Bevölkerung durch im Land lebende Flüchtlinge überfordert sein (56 Prozent, 2018: 63 Prozent) und neu einwandernde Ausländer*innen Spannungen verursachen (55 Prozent, im Vorjahr 63 Prozent) könnten, besetzt die beiden Spitzenpositionen der Werte-Skala. Somit haben diese Besorgnisse die Top-Angst von 2018, dass die Politik des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump (55 Prozent, im Vorjahr 69 Prozent) die Weltlage gefährdet, überholt.

Deutsche zweifeln an Arbeit der Politiker*innen

Angst sei tatsächlich „ein Thema, dass viele Menschen beschäftigt“, sagte Brigitte Römstedt, als sie auf einer Pressekonferenz die neue Studie präsentierte. Sie ist die Leiterin des R + V-Infocenters in Wiesbaden., das über Themen wie Sicherheit oder Vorsorge informiert. Ganz allgemein betrachtet dokumentiere die Studie, indem sie die Befürchtungen der Menschen abbilde, auch ein Stück der Zeitgeschichte, betonte Römstedt. Bei den von der Untersuchung abgefragten Sorgen sank der Angstindex, d.h. der durchschnittliche Grad der gemessenen Befürchtungen, seit 2018 von 47 auf 39 Prozent und erreichte damit den tiefsten Wert seit 25 Jahren. Im Vordergrund der aktuellen Ängste der Deutschen befinden sich demzufolge die schon genannten innen- und außenpolitischen Befürchtungen. Dazu kommt noch der in der Bevölkerung vorhandene Zweifel, ob die Politiker*innen ihre Aufgaben adäquat bewältigen können, ein Misstrauen, das bei der diesjährigen Befragung wie im Vorjahr wieder auf dem vierten Platz landete, aber von zuvor 61 auf nur noch 47 Prozent gesunken ist. Über fünfzig Prozent der Befragten bewerteten die Arbeit der Politiker*innen auf der zugrunde gelegten Skala von eins bis sieben (keine bis große Angst) mit ausreichend oder mangelhaft.

Viele Menschen haben Angst vor politischem Extremismus

Eine Ursache für dieses mildere Urteil liege laut Prof. Schmidt darin, dass die beteiligten Parteien inzwischen den langwierigen Prozess der Regierungsbildung nach den Bundestagswahlen von 2017 hinter sich gelassen haben. Außerdem hätte die Große Koalition den nervenaufreibenden Streit um Fragen der Asylpolitik und die leitenden Positionen im Verfassungsschutz seitdem beigelegt, so der Berater des Info-Centers. Seiner Meinung nach sei an den Ergebnissen der Studie zu erkennen, „dass die Ängste der Deutschen sehr real sind“. Von militanten Extremisten verübte Gewalttaten führten auch zu gesteigerten diesbezüglichen Besorgnissen in der Bevölkerung. Fast die Hälfte aller Befragten (47 Prozent) fürchten sich davor, der politische Extremismus könne sich weiter ausbreiten. Dabei ängstigen sich die Teilnehmer*innen der Studie am meisten vor dem von ihnen als äußerst gewalttätig eingestuften islamischen Extremismus (38 Prozent). 25 Prozent fühlen sich von Rechtsextremismus bedroht, aber nur vier Prozent sehen in linksgerichteten extremistischen Gruppierungen eine Gefahr.

Leute sorgen sich um Mieten und bezahlbaren Wohnraum

Andererseits wuchs mit der Terrorwelle der Jahre 2016/ 2017 gemäß den Angaben im die Werte der Jahre vergleichenden Studie die Angst der Deutschen vor terroristischen Anschlägen. Mit dem scheinbaren Abflauen der Gewalttaten hat diese Furcht ebenfalls abgenommen und belegt im Ranking statt wie noch 2018 den fünften (59 Prozent) jetzt bloß noch den neunten Platz (44 Prozent). Die in vielen Regionen der Bundesrepublik schwierige Wohnsituation der Menschen, welche durch hohe Mieten, steigende Immobilienpreise und fehlenden Wohnraum gekennzeichnet ist, hat laut der Untersuchung in der Bevölkerung auch entsprechende Ängste ausgelöst. 2019 fürchten sich ebenso viele Menschen davor, dass Wohnraum unbezahlbar (45 Prozent) werden könnte, wie sie die Sorge bedrückt, im Alter ein Pflegefall zu werden. Beide Ängste nehmen auf der aufgestellten Liste die Plätze sechs und sieben ein.

Studie zeigt: Natur- und Umweltthemen haben hohen Stellenwert

Die Studie macht auch deutlich, dass im weiteren Sinne auf die Natur bezogene Themen im Denken der Deutschen einen relativ hohen Stellenwert einnehmen. Über 40 Prozent der Bevölkerung betrachten Probleme von Umwelt und Klimawandel mit Ängsten und Sorge. Sie fürchten sich vor Schadstoffen in Lebensmitteln (42 Prozent), vor Erderwärmung (41), Naturkatastrophen und immer häufiger auftretenden extremen Wetterverhältnissen (41 Prozent), wie Hitzewellen, Dürren oder Starkregen. Insgesamt liege den Resultaten der Untersuchung eine sich weiter öffnende „Schere“ zugrunde, wie Prof. Schmidt konstatiert, und zwar einerseits zwischen der Angst vor politischen Problemen, wie der Politik der US-Regierung oder der Flüchtlingskrise, welche an Bedeutung zunehmen, und den privaten, auf die persönlichen Lebensverhältnisse bezogenen Sorgen, wie etwa, einem Diebstahl oder einer anderen Straftat (23 Prozent) zum Opfer zu fallen, oder dass die eigene Partnerschaft (18 Prozent) zerbrechen könnte. Mit dem Sinken der Arbeitslosenquote hat auch die Furcht, den Job zu verlieren, im Laufe der Zeit stark abgenommen und ist von 65 Prozent im Jahr 2015 auf derzeit 24 Prozent gefallen.

Ostdeutsche fühlen sich unsicherer als Westdeutsche

Auffällig scheint an den Resultaten der Studie, dass Ost- und Westdeutschland hinsichtlich ihrer jeweiligen Befürchtungen immer weiter auseinanderdriften. Obwohl die Werte in beiden Teilen des Landes rückläufig sind, erweisen sich die Ostdeutschen mit einem Index von 47 Prozent als um ganze zehn Punkte ängstlicher als die Westdeutschen (37 Prozent). In den ostdeutschen Bundesländern sei die Unsicherheit deutlich höher als im Westen, kommentiert dazu Prof. Schmidt. Die Bewohner*innen Ostdeutschlands stehen der Fähigkeit des Staates, mit der Zahl zuziehender Flüchtlinge umzugehen, mit größerer Skepsis (64 Prozent Ost/ 54 Prozent West) gegenüber und haben weniger Vertrauen in die Leistungen der Politiker*innen (57 Prozent Ost/ 45 Prozent West). Und sie fürchten sich mehr als die Menschen im westlichen Deutschland vor steigenden Lebenshaltungskosten (55 Prozent Ost/ 41 Prozent West). Prof. Schmidt zufolge neigen sie auch stärker zu rechtspopulistischen Haltungen als die Westdeutschen.

Frauen sind weiterhin ängstlicher als Männer

Mit Blick auf die globale Lage fühlen sich die Menschen in Deutschland offensichtlich von Krisen und Konflikten in anderen Ländern der Welt weniger stark betroffen. „Alles, was weit weg ist, schlägt offenbar nicht durch“, deutet Römstedt die Ergebnisse der Befragung. Wie in den vorangegangenen Studien erwies sich auch diesmal, dass Frauen im Mittel etwas mehr Befürchtungen (41 Prozent) hegen als die Männer (37 Prozent), wobei sich ihre Sorgen vor allem auf die Bereiche von Pflege, Gesundheit und mit schädlichen Stoffen belastete Nahrungsmittel richten. Ebenso erwartungsgemäß stellt die Studie fest, dass Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren weniger furchtsam (28 Prozent) sind als ältere Leute (42 Prozent). Anders als die medienwirksame Fridays for Future-Bewegung vermuten lassen würde, waren im Vergleich Jung/ Alt jedoch kaum nennenswerte Unterschiede in den Sorgen hinsichtlich des Klimawandels zu erkennen. Im bundesweiten Vergleich aller Ängste liegt Thüringen (66 Prozent) auf dem vordersten Rang, gefolgt von Brandenburg (55 Prozent) und Sachsen-Anhalt (47 Prozent). Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen bilden mit jeweils 35 Prozent das Mittelfeld, und am entspanntesten leben der Untersuchung zufolge die Menschen in Baden-Württemberg (32 Prozent) und Schleswig-Holstein (31 Prozent).

Bilder oben: Brigitte Romstedt, Prof. Dr. Manfred Schmidt Quelle: R + V Infocenter

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