INTERVIEW MIT DER HESSISCHEN SPD-SPITZENKANDIDATIN ANDREA YPSILANTI : Frauenpolitik soll Kabinettsrang erhalten

16. Januar 2008 // zwd Wiesbaden (tag).

Die hessische SPD-Spitzenkandidatin und Herausforderin von Roland Koch (CDU), Andrea Ypsilanti, hat die Frauenpolitik im Landtagswahlkampf zur Chefinnensache erklärt. Nach neun Jahren Lila Pause will sie bei einem Wahlsieg der SPD eine Stabsstelle für Frauenpolitik in der Staatskanzlei einrichten.

zwd: Frau Ypsilanti, die Gewerkschaften beklagen den Stillstand in der Frauenpolitik unter Roland Koch in Hessen. Welches sind Ihre konkreten Hauptkritikpunkte an der Frauen- und Gleichstellungspolitik der amtierenden hessischen Landesregierung?

Ypsilanti: In Hessen haben wir eine „Lila Pause“, der Bereich Gleichstellungspolitik existiert nicht mehr. Er ist innerhalb des Ministeriums aufgelöst worden. Die Frauenbeauftragten wurden ihrer Rechte beraubt. Die hessische Landesregierung hat sich nur auf die Familienpolitik beschränkt.

zwd: Wie beurteilen Sie die von der CDU im Jahr 2006 beschlossene Novelle des Hessischen Gleichberechtigungsgesetzes (HGIG)?

Ypsilanti: Das Gleichberechtigungsgesetz, welches wir im Jahr 1993 in Hessen vor allen anderen Landesregierungen unter dem damaligen Ministerpräsidenten Hans Eichel (SPD) in Kraft gesetzt hatten, ist durch die Novelle der CDU zu einem zahnlosen Tiger verkommen. Es wurde alles rückgängig gemacht, was von uns als vorbildlich gesehen wurde, beispielsweise unsere konkreten Frauenförderpläne, die festgelegten Sanktionsinstrumente und das Klagerecht der Frauenbeauftragten.

„Wir werden die Rechte der Frauenbeauftragten wieder in Kraft setzen“

zwd: Wenn es Ihnen gelingt, die Koch-Regierung abzulösen: Können Sie stichwortartig Ziele, Konzepte und konkrete Maßnahmen benennen, mit denen Sie die hessische Frauen- und Gleichstellungspolitik vorantreiben wollen?

Ypsilanti: Bei einem Wahlsieg der SPD werde ich erstens eine Stabsstelle für Frauenpolitik in der Staatskanzlei einrichten. Dort wird dann die derzeitige frauenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Judith Pauly-Bender, für die Gleichstellung von Frauen in Hessen zuständig sein. Zweitens werden wir die Instrumente überprüfen, die im Gleichberechtigungsgesetz verankert waren. Anhand einer Evaluation wollen wir feststellen, welche Instrumente zielführend waren und welche wir anders gestalten müssen. Drittens werden wir die Rechte der Frauenbeauftragten wieder in Kraft setzen.

„Wir werden das Hessische Gleichberechtigungsgesetz wieder zum Schrittmacher für eine zeitgerechte Frauenförderung entwickeln"

zwd: Das bedeutet…

Ypsilanti: Entlang unseres frauenpolitischen Aktionsprogramms für die 17. Legislaturperiode werden wir in engem Austausch mit der interessierten Fachöffentlichkeit ein Landesausführungsgesetz zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) angehen, das Thema Gender Mainstreaming ordentlich verankern, das Hessische Gleichberechtigungsgesetz wieder zum Schrittmacher für eine zeitgerechte Frauenförderung entwickeln, die auch Beispiel gibt für die Frauenförderung im privaten Bereich. Ziel ist, die Gleichheitskultur in Hessen wieder neu anzustoßen und mit Leben zu erfüllen.

zwd: Wird die Stelle für Frauenfragen in der Staatskanzlei, die Frau Dr. Pauly-Bender einnehmen wird, mit einem Kabinettsrang versehen?

Ypsilanti: Ja.

zwd: Wie wird die schärfere Trennlinie zwischen den Bereichen Frauen- und Familienpolitik organisatorisch aussehen?

Ypsilanti: Die Familienpolitik wird bei uns im Sozialministerium angesiedelt sein, die Frauenpolitik in der Staatskanzlei. Beide Bereiche haben natürlich miteinander zu tun, aber ich darf darauf hinweisen: Selbst wenn wir über eine ideale Familienpolitik mit 100-prozentiger verlässlicher Kinderbetreuung verfügten, hätten Frauen trotzdem noch längst nicht 50 Prozent der Aufsichtsratmandate.

„Wir müssen in Hessen den frauenpolitischen Dialog in vielen Bereichen wieder neu in Bewegung setzen“

zwd: Welche Gestalt hat das von Ihnen geplante Frauenaktionsprogramm? Was planen Sie inhaltlich?

Ypsilanti: Das Aktionsprogramm enthält fünf Mussaufgaben: Erstens die landes- und frauenpolitische Umsetzung des AGG, zweitens die verbindliche Verankerung und transparente Umsetzung der europäischen Vorgaben zum Gender-Prozess, drittens die Wiederherstellung eines trotz reformierter Verwaltungsstrukturen wirksamen Hessischen Gleichberechtigungsgesetzes sowie viertens den Einstieg in regionale Arbeitsmarktimpulse für Frauen mit besonderen Beschäftigungsrisiken. Fünftens geht es um eine wirksame Fortführung des Landesaktionsplanes gegen Häusliche Gewalt. Aber dabei kann es nach neun Jahren lila Pause nicht sein Bewenden haben. Wir müssen in Hessen den frauenpolitischen Dialog in vielen Bereichen wieder neu in Bewegung setzen. Dieser soll in Hochschule und Schule, mit Künstlerinnen, mit Seniorinnen, im Behindertenrat und im Bereich Ehrenamt bewusst angestoßen und gefördert werden.

zwd: Werden Sie die systematische Implementierung des Gender Mainstreamings in allen Bereichen von Politik und Verwaltung forcieren?

Ypsilanti: Natürlich, das ist das Gebot der Stunde. Wir haben den Auftrag von der Europäischen Union (EU) bekommen und den werden wir auch in Hessen umsetzen.

zwd: Sie wollen den Ansatz für freiwillige Leistungen im Sozialhaushalt um 35 Millionen Euro erhöhen. Dabei handelt es sich um die Wiedereinführung freiwilliger Leistungen des Landes, die Roland Koch im Jahr 2004 im Rahmen seines Sanierungsprogramms „Operation sichere Zukunft“ größtenteils gestrichen hatte. Wie hoch wird der Ausgabenanteil für Frauenförderprogramme an diesem Zusatzetat sein und um welche Fördermaßnahmen handelt es sich dabei?

Ypsilanti: Die Kürzungen, die im Rahmen der von uns „Operation düstere Zukunft“ genannten Sparorgie erfolgen, haben frauenpolitische Maßnahmen sehr getroffen. Da sind die Kürzungen bei den Zuschüssen für Frauenhäuser um eine Million Euro jährlich, da sind ca. 1,4 Millionen Euro bei den Maßnahmen für den beruflichen Wiedereinstieg von Frauen gestrichen worden und noch einmal 370.000 Euro für andere Frauenbildungsprojekte. Das sind jetzt nur die Positionen, die ausschließlich Frauen getroffen haben. Denn natürlich waren Frauen auch betroffen, als Mittel für Erziehungs- und Schuldnerberatung, für Drogenberatung und bei Erziehungshilfen in sozialen Brennpunkten gekürzt wurden. Diese Kürzungen müssen korrigiert werden, und wir werden gemeinsam mit den Sozialverbänden und den Kommunen besprechen, in welcher Form das Land wieder in die Förderung einsteigt.

zwd: Aus welchen Mitteln soll das von Ihnen geplante Frauenaktionsprogramm finanziert werden?

Ypsilanti: Wir werden andere Schwerpunkte setzen als die derzeitige Landesregierung. Auch unser Bildungsprogramm ist sehr anspruchsvoll und wird viel Geld kosten. Wir werden einen Kassensturz machen und alle Ausgaben stoppen, die unseres Erachtens nicht weitergeführt werden sollen. Da gehören zum Beispiel die enormen Ausgaben für SAP dazu, einer Software, welche die Einführung der doppelten Buchführung im Landeshaushalt unterstützen soll und die sich zum Millionengrab entwickelt hat.

zwd: Mit welchen politischen PartnerInnen wollen bzw. werden sie Ihre politischen Ziele durchsetzen?

Ypsilanti: Also, das sind in erster Linie die Frauenbeauftragten in den Kommunen, in zweiter Linie die Frauen in den Gewerkschaften. Das sind unsere Hauptpartnerinnen. Darüber hinaus werden wir ein Netzwerk mit Führungsfrauen in den Unternehmen und Betrieben knüpfen, weil diese teilweise mit gleich gelagerten Problemen konfrontiert sind.

zwd: Mit welcher Partei können Sie sich vorstellen, am ehesten eine eigenständige Frauenpolitik in Hessen zu realisieren?

Ypsilanti: Die größten programmatischen Übereinstimmungen haben wir mit den Grünen.

Das Gespräch führte Tanja Glootz.


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