IM WORTLAUT : Rossmann: Wir brauchen eine Enquetekommission für Weiterbildung

6. Oktober 2014 // zwd Berlin (ig).

Interview mit dem bildungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Ernst Dieter Rossmann, zu Themen der frühkindlichen Bildung, Krippenbesuch als Pflicht, über die bevorstehenden Finanzverhandlungen zwischen Bund und Ländern sowie über die Weiterbildung

Der SPD-Bildungsexpoerten Ernst Dieter Rossmann hat die Einrichtung einer "Enquete-Kommission Weiterbildung" in dre laufenden Legislaturperiode des Bundestages befürwortet. Deren Aufgabe sollte es sein, für die nächste Legislaturperiode des Bundestages die erforderlichen Konzepte für eine Reformagenda zur Weiterbildung vorzubereiten. Gegenwärtig fehlt nach den Worten Rossmanns bisher eine qualifizierte Plattform, wo die Arbeitgeber und die Gewerkschaften mit der Wissenschaft und der Politik zusammen den Weiterbildungsbedarf und die Konzepte mit Blick auf die nächsten 20 Jahre hin durchdenken. Wörtlich sagte Rossmann gegenüber dem zwd: "Bei der Weiterbildung haben wir eine wirkliche Reform-Agenda noch vor uns. Denn das Bewusstsein wächst erst langsam, dass die Menschen mit dem Recht auf schulische und berufliche Erstausbildung immer auch das Recht auf kontinuierliche Lebensweiterbildung bekommen müssen."

Der vollständige Wortlaut des Interviews:

Im Bild: Der SPD-Bildungspolitiker Ernst Dieter Rossmann (rechts) im Gespräch mit der Chefredaktion des POLITIKMAGAZINS (Holger H. Lührig und Hilda Lührig-Nockemann)zwd-POLITIKMAGAZIN: Ihr Credo lautet „Gute Bildung ist Menschenrecht“. Können Sie in wenigen Sätzen definieren, was Sie unter guter Bildung verstehen.

Ernst Dieter Rossmann: Gute Bildung sorgt dafür, dass Menschen sich selbst entwickeln können, dass sie Freude daran haben, zu lernen, die Welt verstehen und ihr Leben als selbstbewusste ethisch verantwortliche Menschen gestalten können.

zwd-POLITIKMAGAZIN: In unserer Kindheit dichtete man Säuglingen noch das ‚erste dumme Vierteljahr‘ an. Heute ist durch die neurobiologische Forschung belegt, dass Lernen de facto mit – vielleicht auch vor – dem ersten Atemzug beginnt. Müssen vor dem Hintergrund der Anforderungen an die frühkindlichen Bildung, die ErzieherInnen besser qualifiziert werden – Stichwort Akademisierung der ErzieherInnen-Ausbildung?

Ernst Dieter Rossmann im zwd-Gespräch: Wir brauchen eine Reformagenda für die WeiterbildungRossmann: Recht gebe ich allen, die sagen: Wir müssen die frühkindliche Bildung genauso ernst nehmen wie die schulische. Die Fähigkeit aber, Lernfähigkeiten, Sprachentwicklung, Lernfreude, Selbstbewusstsein schon früh in der Kindertagesstätte zu fördern und auszubilden, ist nicht an eine akademische Vorbildung der ErzieherInnen gebunden. Eine möglichst hohe Qualifikation ist sicherlich hilfreich, aber sie ist nicht Voraussetzung für eine erfolgreiche Kita-Arbeit. Außerdem kommt es auch darauf an, dass es angstfreie, gute Lebensbedingungen für Mütter, für Väter, für Kinder schon in frühester Kindheit gibt.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Sie haben einen Vergleich mit der Schulbildung ins Spiel gebracht. Wenn wirklich die frühkindliche Bildung auf die Biografie des Kindes einen solchen Einfluss hat, wäre dann nicht angezeigt, die Bildungspflicht nicht erst in der Schule, sondern bereits im Alter von ein- bis anderthalb Jahren beginnen zu lassen. Stichwort Krippenpflicht.

Rossmann: Ich möchte eher die Pflicht zur frühkindlichen Bildung in der klassischen Kindertagesstätte zwischen drei und sechs Jahren in die Diskussion bringen. Eine Krippenpflicht würde nach meiner Wahrnehmung weit über den jetzigen Stand von Erkenntnissen und Möglichkeiten hinausgehen.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Nur, wenn die Kinder mit vier oder fünf Jahren erst obligatorisch in den Kindergarten kommen, dann sind schon wichtige Entwicklungen – positiv wie negativ - auf den Weg gebracht. Wir wissen, dass es Elternhäuser gibt, in denen es den Eltern einfach an solchen Fähigkeiten mangelt. Diese Diskrepanz kann womöglich nur schwer wieder aufgeholt werden.
Rossmann: Vieles können wir durch bessere Rahmenbedingungen für Frauen wie Männer auffangen, die ihre Kinder in guter gemeinsamer Zeit durch Bildung fördern wollen. Notwendig sind Beratungs- und Unterstützungsangebote im Sinne eines „Hauses für Kinder“. Und dazu gehört auch ein Begleitsystem von Kinderärzten und anderen Vertrauenspersonen, die Kinder und Familien unter dem Blickwinkel begleiten, ob es dort Mängel in der Unterstützung gibt. Das Wichtigste aber ist, dass wir über ein gut ausgebautes, öffentliches Fördersystem verfügen, das nicht nur im Notfall dort bereit steht, wo Kinder nicht ausreichend gefördert werden, sondern auch als personell gut ausgestattetes und pädagogisch qualitativ gutes Krippenangebot zur Unterstützung von Eltern, die gerne schon früh auch Beruf und Familie miteinander verbinden möchten. Wenn beispielsweise die SPD/Grüne-Landesregierung in Niedersachsen jetzt eine dritte Kraft für jede Krippengruppe anstrebt, dann wird damit ein klares Zeichen gesetzt, was die notwendigen Standards angeht.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Und dabei die Krippe als Angebot, aber nicht als Pflicht?

Rossmann: Genau.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Um eine solche gute Ausstattung sowohl in Krippen als in Kitas zu finanzieren, reicht dafür die eine von sechs Milliarden Euro, die für das Jahr 2015 für Bildung und Betreuung von der Regierung veranschlagt worden sind, für den Ausbau von Kitas und Krippenbetreuung aus? Oder ist das nur ein Schritt in die richtige Richtung?

Rossmann: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend. Wir haben bekanntlich als SPD ein Volumen von über 20 Milliarden ausgemacht, um die öffentlich angebotene Infrastruktur des Bildungswesens auf einen qualitativ guten Stand zu bringen. Das war mit der CDU/CSU nicht zu machen. Aktuell zeichnet sich ab, dass wir erst einmal mit diesen sechs Milliarden auskommen müssen, aber in den nächsten politischen Auseinandersetzungen zum Jahr 2017 werden wir erneut dafür streiten, Bildung als zentrales öffentliches Gut in der Priorität ganz nach oben zu stellen. Dabei wird es darauf ankommen, auch die Partner auf Zeit bei CDU und CSU für die Priorität Bildung zu gewinnen, wenn jetzt die Finanzverhandlungen zum Solidarzuschlag zwischen Bund und Ländern anstehen und damit auch der vertikale wie der horizontale Finanzausgleich auf die Agenda kommen. Bei den anstehenden Finanzverhandlungen muss Bildung zur Gewinnerin werden.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Welchen Beitrag kann denn die SPD - in der Bundestagsfraktion wie auch in der Regierung - dafür leisten. Das zuständige Bildungsressort liegt ja bei der CDU, bei Frau Wanka…

Rossmann: Bildung und Forschung liegen ja nicht ausschließlich in der alleinigen Verantwortung der Bundesbildungsministerin. Aktiv und förderlich sind hier zum Beispiel ebenso die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles – Stichwort Arbeitsförderung – Bundesfamilien- und Frauenministerin Manuela Schwesig – Stichwort Kitaförderung und Elternzeit – und nicht zuletzt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Ob in der beruflichen Bildung und der Weiterbildung oder bei Forschung und Innovationen – unser Parteivorsitzender wird die Augen sehr genau darauf richten: Wie verteilen sich Bildungschancen? Was leisten wir für die Integration von Migranten durch Bildung? Wie können zweite, dritte Chancen über Bildung eröffnet werden, damit die Fachkräfte von morgen auch rechtzeitig herangebildet werden?

zwd-POLITIKMAGAZIN: Wenn Sie Ihre bald 30-jährige Amtszeit als Bildungspolitiker - erst im schleswig-holsteinischen Landtag, dann im Bundestag - Revue passieren lassen, würden Sie dann resümieren, es hat in dieser Zeit einen bildungspolitischen Fortschritt gegeben?

Rossmann: Das unterstreiche ich nachdrücklich. Wenn wir das anhand von zwei, drei wesentlichen bildungspolitischen Linien überprüfen, dann lässt sich feststellen: Die frühkindliche Bildung wird heute ganz anders ernst genommen als damals. Und wir haben jetzt ein Kindertagesstättensystem von einem Umfang und von einer Qualität, wie wir das in dieser Breite vor dreißig Jahren noch nicht hatten. In der Schulpolitik können wir die Ansprüche, die alle an gute Ganztagsschulen richten, noch längst nicht befriedigen, aber die gute Ganztagsschule ist nicht mehr strittig. Das hat die SPD durchgekämpft.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Anders als in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, wo der Ausbau der Schulen zu Ganztagsschulen noch an familienideologischen Widerständen aus dem Unionslager scheiterte…

Rossmann: Richtig. Eine weitere Linie: Inklusion. Auch dort zeichnet sich ein Umdenken ab, nicht zuletzt wegen der Beharrlichkeit der SPD, und man will nicht mehr trennen, sondern durch das gemeinsame Unterrichten von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Handicap eine Gesamtheit von Leben und Lernen erreichen.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Ist die Inklusion nicht gerade ein Bereich, um den man sich sorgen muss, weil die Reformansprüche zu hoch gesetzt sind, ähnlich wie in den 70er Jahren mit dem Postulat: Gesamtschule für alle – so richtig die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems gewesen wäre?

Rossmann: Schauen wir 40 Jahre zurück, da war es noch nicht mal selbstverständlich, dass Kinder mit einem Handicap, geistig, körperlich oder anderer Art, in einer qualifizierenden Schule sind. Schaut man sich an, was es jetzt überall schon an guten Beispielen von Inklusion in Kindertagesstätten, Grundschulen bis hin zu weiterführenden Schulen gibt, dann kann uns das auch optimistisch machen. Wir haben schließlich, und das ist eine weitere schulpolitische Fortschrittslinie, die ich meine, eine Annäherung der Bildungswege in verschiedenen Schularten erreicht, bei denen das Prinzip der inneren Differenzierung und der individuellen Förderung, egal in welcher Schulart, viel stärker nach vorne gestellt ist, als vor 30 Jahren. Gemeinschaftsschulen sind möglich.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Bei allem Optimismus müssen wir doch ein wenig Wasser in den Wein gießen und Sie als – im Ehrenamt Vorsitzenden des Deutschen Volkshochschulverbandes – fragen: Wie steht es denn mit der Weiterbildung?

Rossmann: Dort haben wir eine wirkliche Reform-Agenda noch vor uns. Denn das Bewusstsein wächst erst langsam, dass die Menschen mit dem Recht auf schulische und berufliche Erstausbildung immer auch das Recht auf kontinuierliche Lebensweiterbildung bekommen müssen. Wir haben im allgemeinbildenden Bereich in manchen Bundesländern gute Weiterbildungsgesetze, wir haben auch eine gute öffentliche Infrastruktur über die kommunal verantworteten Volkshochschulen und auch andere Bildungseinrichtungen. Leider gilt aber hierzulande immer noch die Regel: Je kleiner der Betrieb, umso weniger gesichert ist eine kontinuierliche Weiterbildung. Je geringer die Grundqualifikation der Menschen ist, umso weniger Chancen haben sie auf eine betriebliche oder berufliche Weiterbildung. Je mehr sie nicht aus Deutschland kommen, sondern mit einem Migrationshintergrund ausgestattet sind, umso weniger Zugang haben sie zu Weiterbildung. Unverändert ist es so, dass Männer eher als Frauen Weiterbildungschancen haben. Und schließlich: Je älter die Menschen sind, desto weniger Chancen auf Weiterbildung haben sie. Damit sind fünf Sachverhalte beschrieben, bei denen wir Nachholbedarf in Deutschland haben bei Grundbildung und Alphabetisierung, Nachholbedarf beim Rechtsanspruch auf qualifizierte berufliche Weiterbildung und Nachholbedarf bei der allgemeinen Weiterbildung für alle Generationen. Ich werbe stark dafür, dass wir eine Grundformel prägen im Sinne von: Jeder Mensch hat das Recht auf mindestens drei Jahre Berufsbildung und drei Jahre Weiterbildung in seinem Leben.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Was kann der Bund dazu leisten?

Rossmann: Dafür brauchen wir klare rechtliche und finanzielle Regelungen. Die können aus der Politik mitgefördert werden, von Verbesserungen bei der Arbeitsmarktförderung über das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz bis hin zu einem Weiterbildungsgesetz in der Perspektive. Auch die Tarifpartner können dort sehr viel leisten. Ich finde den Vorstoß aus den Gewerkschaften sehr gut, dass es für diejenigen, die einen Schulabschluss nachholen und eine Berufsausbildung absolvieren, eine entsprechende Anerkennungsprämie geben muss. Auch die Forderungen der IG Metall nach Weiterbildungsteilzeit sind sehr hilfreich. Leider gibt es bei der CDU/CSU hier noch zu viel Ablehnung. Es kommt jetzt drauf an, dass wir ordentlich Dampf machen, dass das etwas blasse Bild der Weiterbildungsförderung in dieser Legislaturperiode in der nächsten Legislaturperiode Konturen kriegt.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Sie sprachen davon, ordentlich Dampf zu machen. Was ginge denn ganz praktisch, um die Weiterbildung, die ja eigentlich die vierte Säule unseres Bildungssystems sein sollte, auf eine solide politische Grundlage zu stellen?

Rossmann: Einerseits darf ich darauf hinweisen, dass die SPD in Vorlage gegangen ist mit der Arbeitsversicherung. Aber leider ist es dann nicht gelungen, die acht Milliarden, die wir als Teil aus der Arbeitslosenversicherung für Weiterbildung reservieren wollen, in der Prioritätenliste bei den Verhandlungen mit den Koalitionspartnern ganz hoch zu stellen. Wenn wir aber die nächsten Koalitionsverhandlungen, egal, wer da verhandelt, vorbereiten wollen, dann muss das eigentlich klar sein: Acht bis zehn Milliarden müssen zusätzlich für Weiterbildung mobilisiert sein. Wenn nicht über Steuergelder, dann aus Arbeitslosenversicherungsbeiträgen, die dann also eher Arbeitsversicherungsbeiträge bzw. Qualifizierungsbeiträge sind. Denn alles das, was über die Sozialversicherungsbeiträge läuft, ist in Teilen ja auch so etwas wie eine Umlagefinanzierung. Die Firmen, die das dann stärker für ihre Belegschaft in Anspruch nehmen und organisieren würden, würden indirekt finanziert werden, von denjenigen, die das nicht machen.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Und wie könnte das vorbereitet werden?

Rossmann: Nach meiner Überzeugung bräuchten wir eine Enquete-Kommission Weiterbildung, die dann für die nächste Legislaturperiode die erforderlichen Konzepte vorbereitet. Uns fehlt bisher eine qualifizierte Plattform, wo die Arbeitgeber und die Gewerkschaften mit der Wissenschaft und der Politik zusammen den Weiterbildungsbedarf und die Konzepte mit Blick auf die nächsten 20 Jahre hin durchdenken.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Das klingt gut, beantwortet aber noch nicht, was jetzt schon geschehen kann.

Rossmann: Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass wir eine Alphabetisierungsdekade machen wollen. Er sieht vor, dass wir die zweite, dritte Chance fördern wollen mit nachgeholter schulischer und beruflicher Ausbildung. Der Vertrag sieht weiter vor, dass wir das Meisterbafög novellieren wollen und er spricht die Weiterbildungsprämie an. Besonders wichtig ist mir, dass wir bezüglich der Versprechen im Koalitionsvertrag nichts schuldig bleiben, zumal in der sprachlichen Bildung für zugewanderte Menschen. Das wird eine Bewährungsprobe sein, ob wir dort nur den Mund gespitzt haben oder ob wir das auch hinbekommen. Für solche Bildungschancen kämpfe ich.

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