STUDIE IFO-INSTITUT : Lernen in der Krise: Home-Schooling genauer betrachtet

6. August 2020 // Ulrike Günther

Wie haben Kinder zur Zeit der geschlossenen Schulen gelernt? Das viel diskutierte Home-Schooling sollte das Lernen im regulären Unterricht ersetzen. Tatsächlich haben die Schüler*innen weniger als halb so viele Stunden mit Lernen zugebracht als vorher, umso häufiger jedoch mit Computerspielen und Fernsehen. Eine Studie des ifo-Instituts deutet darauf hin, dass sich ungleiche Bildungschancen dabei verstärkt haben.

Home-Schooling stellt Eltern und Kinder vor Herausforderungen. - Bild: flickr / IowaPolitics
Home-Schooling stellt Eltern und Kinder vor Herausforderungen. - Bild: flickr / IowaPolitics

zwd Berlin/ München. Laut der am 05. August veröffentlichten Studie des ifo-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München verringerte sich die Zeit, in der sich Kinder mit Schule und Lernen beschäftigten, von durchschnittlich 7,4 Stunden vor der Epidemie auf 3,6 Stunden während der Kontaktsperren. Das ifo-Institut befragte im Monat Juni bundesweit mehr als 1.000 Eltern mithilfe von Online-Fragebögen zu den Aktivitäten ihres jüngsten schulpflichtigen Kindes in den Monaten der Schulschließungen. Darüber hinaus untersuchten die Forscher*innen in einer repräsentativen Panel-Umfrage die Ansichten der erwachsenen Bevölkerung zu den schulpolitischen Maßnahmen in der Situation der Krise.

Zwei Drittel der Kinder lernten höchstens zwei Stunden täglich

Nach Angaben des Instituts haben sich mehr als zwei Drittel (38 Prozent) aller Schüler*innen pro Tag bis zu zwei Stunden schulischen Aufgaben gewidmet, 74 Prozent lernten bis zu vier Stunden täglich. Weniger als ein Fünftel der Kinder (19 Prozent) verbrachte mehr als 5 Stunden am Tag mit Lernen. Demgegenüber erhöhte sich die Anzahl der Stunden, welche die Schüler*innen mit anderen Tätigkeiten ausfüllten. Mit Lesen, Musik, kreativem Gestalten oder Bewegung beschäftigten sich die Kinder während der Krise im Mittel insgesamt 3,3 Stunden täglich, ca. 18 Minuten mehr als vorher. 5,2 Stunden brachten sie hingegen mit Fernsehen, Computerspielen, Handys oder sozialen Medien zu, fast eineinviertel Stunden mehr als vor der Epidemie.

„Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, dass wir unter Beachtung der Schutzmaßnahmen wieder zum normalen Schulunterricht zurückkehren“, erklärte Prof. Ludger Wößmann, Leiter am ifo-Zentrum für Bildungsökonomik und Mitautor der Studie. „Wo Schließungen unvermeidlich sind, sollten die Schulen direkt auf Online-Unterricht umstellen“, riet der Fachmann.

Unterschiede nach Leistungen und Familienhintergrund

Unterschiede hinsichtlich der schulischen Aktivitäten zur Zeit der Ausgangssperren wies das Team von Wissenschaftler*innen zwischen Kindern je nach dem Bildungshintergrund der Eltern und ihrem Leistungsstandard nach. Während Schüler*innen aus Akademiker-Haushalten durchschnittlich nur 18 Minuten täglich länger lernten (3,8 Stunden) als Kinder von Nicht-Akademiker*innen (3,5 Stunden), verbrachten diese im Mittel eine Stunde mehr an Computer, Fernseher oder Handy als die Schüler*innen mit Akademiker-Eltern.

Größere Differenzen zeigten sich bei der Befragung zwischen leistungsschwächeren und leistungsstärkeren Kindern. Schüler*innen mit schlechteren Leistungen lernten rund eine halbe Stunde weniger (3,4 Stunden) als Kinder mit besseren Schulleistungen. Umgekehrt erhöhte sich bei den leistungsschwächeren Kindern die mit Computerspielen, Fernsehen oder Handy verbrachte Zeit während der Krise auf 6,3 Stunden (+ 1,7 Stunden) täglich, bei den leistungsstärkeren Schüler*innen aber lediglich auf ,4,8 Stunden (+ 1 Stunde). Kreative Betätigungen, wie Lesen, Musizieren oder Bewegung, nahmen bei ihnen dafür im Mittel 3,4 Stunden (+ 0,4 Stunden) in Anspruch, bei den Kindern mit schwächeren Schulleistungen nur 2,8 Stunden (+ 0,2 Stunden).

Zeit des Home-Schooling für ein Drittel der Eltern belastend

Obwohl der ifo-Studie zufolge Eltern beim Home-Schooling im Mittel 1,1 Stunden, d.h. über eine halbe Stunde (0,6 Stunden) länger ihrem Kind bei den Schulaufgaben halfen als sonst, beurteilten knapp zwei Drittel von ihnen (64 Prozent) die Lernerfolge ihrer Kinder während der Krise als deutlich schlechter als zuvor. Zwar glauben 86 Prozent der Mütter und Väter, dass die Familie die außergewöhnliche Situation insgesamt gut bewältigt hat. Dennoch bewertete über ein Drittel der befragten Eltern (38 Prozent) die Zeit der geschlossenen Schulen als psychisch belastend, sowohl für ihr Kind als auch für sich selbst. 28 Prozent teilten sogar mit, sie hätten sich häufiger mit ihrem Kind gestritten als vor der Epidemie.

Die Untersuchung gibt auch Auskunft über die Unterstützung, welche die Kinder beim Lernen vonseiten ihrer Schule und der Lehrkräfte erfuhren. Über die Hälfte der Schüler*innen (56 Prozent) hatte weniger als einmal pro Woche gemeinsam mit ihrer Klasse Unterricht per Telefon oder Videoanruf. 83 Prozent der Kinder traten höchstens einmal wöchentlich in individuellen Kontakt mit Lehrer*innen. Während 57 Prozent der Schüler*innen nicht öfter als einmal in der Woche mithilfe von Lernprogrammen unterrichtet wurden, mussten 87 Prozent der Kinder mehrmals pro Woche bis täglich vorbereitete Aufgaben bearbeiten.

Mehrheit für bessere Betreuung der Kinder durch Lehrkräfte

Die vom ifo-Institut gleichzeitig durchgeführte repräsentative Panel-Umfrage unter der erwachsenen Bevölkerung ergab u.a., dass 78 Prozent der 18- bis 69-jährigen Menschen das Unterbrechen das Schulunterrichts in der Corona-Krise befürworten, aber 71 Prozent bundeseinheitliche Entscheidungen in der Bildungspolitik für sinnvoll erachten. Außerdem sprachen sich die meisten Erwachsenen für tägliche Kontakte zwischen schulpflichtigen Kindern und Lehrkräften (78 Prozent) zur Zeit der geschlossenen Schulen, 80 Prozent für verpflichtenden Online-Unterricht und 81 Prozent für die Vergabe von Laptops an Kinder aus sozial schwachen Familien aus.

„Maßnahmen, die an der geringen Beschulung der Kinder und Jugendlichen etwas ändern würden, finden also klare Mehrheiten in der deutschen Bevölkerung“, urteilte der Leiter des Zentrums für Bildungsökonomik Wößmann. Ebenso ist eine Mehrheit der Befragten der Auffassung, dass Lehrkräfte sozial unterprivilegierte Schüler*innen (84 Prozent), Kinder, deren Eltern nicht im Home-Office arbeiten können, (79 Prozent) oder die bei einem alleinerziehenden Elternteil leben (76 Prozent) während der Krise verstärkt betreuen sollten. Zur Frage der Wiederaufnahme des Schulunterrichtes äußerten 78 Prozent der Umfrage-Teilnehmer*innen, dass sie zeitlich versetzte Pausen für vernünftig halten, über die Hälfte (55 Prozent) findet den wöchentlich abwechselnden Unterricht der halben Schulklassen erstrebenswert. 61 Prozent der Erwachsenen würden das Tragen von Gesichtsmasken für Lehrkräfte verpflichtend machen, 59 Prozent würden die Maskenpflicht auch für Schüler*innen einführen.

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