KOMMENTAR VON zwd-HERAUSGEBER HOLGER H: LÜHRIG : Das Ende einer Illusion – aber (noch) kein Abschied von Reformperspektiven

15. März 2022 // Holger H. Lührig

Die FDP hat im Koalitionsvertrag für die Ampel festschreiben lassen, dass die beste Bildung für alle das Ziel sei. Nun muss Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger mit Unterstützung ihres Parteifreundes, Bundesfinanzminister Christian Lindner (beide FDP) liefern.

"Es ist Krieg und keine(r) geht hin"?

Viele Jahrzehnte haben wir in Mitteleuropa mit der Erwartung beruhigt, nach dem Ende des Kalten Krieges würden wir in Frieden leben können. Die sogenannte „Friedensdividende“ haben wir in vollen Zügen genossen. Das Volumen des Verteidigungshaushalts wurde zugunsten anderer Ausgabenblöcke geschrumpft und dabei insbesondere den unzureichenden Bildungsausgaben gegenübergestellt. „Runter mit der Rüstung – rauf mit der Bildung“ waren nicht nur Slogans der Friedensbewegung, sondern blieben erst recht seit der deutschen Wiedervereinigung 1990 gültig bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts. Dazu gehörte auch, der Erfüllung des NATO-2-Prozent-Ziels bei den Verteidungsausgaben mit Zurückhaltung zu begegnen. Die Idee, höhere Bildungsausgaben durch Senkung der Rüstungsausgaben zu finanzieren, hat allerdings weder damals noch bis heute funktioniert und könnte jetzt obsolet werden. Zu dem ohnehin infolge der Corona-Pandemie stark angewachsenen Schuldenberg kommen mit dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr weitere Staatsschulden hinzu. Dass sie notwendig sind, hat uns der unberechenbare Kreml-Herrscher Wladimir Putin mit seinem grausamen und barbarischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unübersehbar vor Augen geführt*.

Krieg gegen die Demokratien Europas, nicht nur gegen die Ukraine

Mehr noch: Verkennen wir nicht, dass es sich nicht bloß um einen auf die Region Ukraine begrenzten Krieg handelt. Trotz aller Bemühungen, die NATO aus dem Konflikt herauszuhalten, ist festzustellen: Putin und seine Clique haben einen Krieg gegen das ganze freie Europa begonnen. Zusehen, wie ein Volk vernichtet wird, verbietet sich. Nur Geschichtsvergessene können 1938 nicht mehr im Blick haben, als der britische Premierminister Chamberlain vergeblich versucht hatte, mit Zugeständnissen an Hitler einen Krieg in Europa zu vermeiden. Aus der Erfahrung des 2. Weltkrieges fürchten Polen, das Baltikum und andere russische Nachbarländer den Despoten Putin in der Gestalt eines neuen Hitlers. Solange Putins Herrschaft im Kreml andauert, werden weitere Milliarden für militärische und zivile Verteidigung und auch für Energie die künftigen Bundeshaushalte belasten, weit mehr als durch das jetzige Sondervermögen.

Die Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023, aber wie?

Noch beharrt der FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner auf der Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023. Gleichzeitig sollen Bürger:innen steuerlich entlastet, hingegen und keine neuen Steuern, beispielsweise auf hohe Einkommen, erhoben werden. Angesichts weiterer 200 Milliarden, die dringender denn je für einen nachhaltigen Klimawandel in Deutschland bereitgestellt werden müssen, wird die FDP erklären müssen, wie sie das Bremsen-Dogma aufrechterhalten will, wenn wichtige Vorhaben wie beispielsweise das erklärte Ziel der Armutsbekämpfung (nicht nur Kinderarmut) als zentrale Koalitionsversprechen nicht auf der Strecke bleiben sollen. Zwar haben die Liberalen auch selbst immer wieder den Investitionsstau in zentralen Aufgabenbereichen beklagt, aber bisher die Augen vor der Realität verschlossen. Denn es wird noch sehr viel mehr Geld benötigt, zumal die maroder Infrastruktur (Verteidigung, Energie, Wohnungsbau, Verkehr, Gesundheit, Bildung und Wissenschaft) täglich zu besehen ist. Sie betrifft zugleich auch wesentliche Zukunftsbereiche, die in den letzten 16 Jahren unter CDU/CSU Kanzlerschaft sträflich vernachlässigt wurden (Digitalisierung, Entbürokratisierung, Klimawandel). Was heißt das nun für die anspruchsvollen Reformpläne der Ampelkoalition? Der FDP-­Finanzminister hat angekündigt, dass er hochfliegenden Etatwünschen der Ressorts eine Absage erteilen müsse. Die Einzeletats des Bundeshaushalts müssten also, wenn sich bei den Koalitionspartnerinnen nicht noch Widerstand regt, Federn lassen. Ob freilich solche Haushaltseinsparungen bei einer absinkenden Konjunktur als Folge von Belastungen durch den Putin Krieg vernünftig sind, daran zweifeln nicht nur Wirtschaftsökonomen.

Die Finanzierung des liberalen Schlüsselprojekts Bildung

Ein Bereich könnte mindestens auf Bundesebene etwas davon profitieren, dass die Ressortchefin, Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger eine Parteifreundin des FDP-Bundesfinanzministers ist. Immerhin haben die Liberalen sich für die „beste Bildung“ im Lande stark gemacht. Und auch Bildungsinvestitionen in Milliardenhöhe eingefordert. Mit der Übernahme des Bildungsressorts in der Ampel-Koalition müssen sie gewährleisten, dass den Wahlversprechen, die sich im Koalitionsvertrag niedergeschlagen haben, auch Taten Folgen. Der FDP-Chef hat im Bundestagswahlkampf selbst die Vorgabe dazu formuliert: „Es ist Zeit, dass wir Bildung auch für den Bund zu einem Schlüsselprojekt machen, damit der Bund investieren darf in Kitas, Schulen und Hochschulen, dass wir eine Excelenzintiative bekommen – nicht nur für Hochschulen, sondern auch für den beruflchen Bereich.“(zwd-POLITIKMAGAZIN, Ausgabe 386/WahlExtra 21).

Von den 443 Milliarden Euro Gesamtausgaben des Bundes im Jahre 2021 (Soll) entfielen auf den Einzelplan des Bundesverteidigungsministeriums 46,9 Miliarden (11,4 %), auf den des Bundesbildungsministeriums (BMBF) weniger als halb so viel: 20,8 Milliarden (4,6 %). Nach dem Eckwertebeschluss des Bundeskabinetts vom 23.06.2021 für 2022 sollte der Verteidigungshaushalt sogar um 2,36 auf 49,29 Milliarden steigen, hingegen der Haushalt des BMBF um etwa 1,6 auf 19,36 Milliarden Euro sinken. Das müsste Lindner nun korrigieren. Nach Berechnungen der Bundeswehr wäre zur Erreichung des 2-Prozent-Ziels der NATO eine Erhöhung des Wehretats auf 59,1 Milliarden erforderlich. Die wollen Scholz und sein Nachfolger Lindner angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine jetzt sogar noch überbieten.

Bildungspolitische Vorhaben müssen unangetastet bleiben

Zur Ausfinanzierung der Zusage des Bundes, insgesamt 6,5 Mrd. Eurofür den DigitalPakt Schule bereitzustellen, werden – wie es in schönem Haushaltsdeutsch heißt – dem Sondervermögen mit dem Haushalt 2022 zusätzlich 1,6 Mrd. Euro zugewiesen. Schon jetzt ist klar, dass die Finanzzusage nicht auskömmlich ist – trotz der Tatsache, dass noch immer nur erst die Hälfte der 2019 aufgelegten DigitalPakt-Mittel für die Schulen verplant sind. Von den ursprünglich fünf Milliarden Euro sind nach Angaben des BMBF bis Ende des letzten Jahres rund 2,37 Milliarden für bewilligte Vorhaben gebunden, von denen nur 423 Millionen wirklich abgeflossen sind. Damit fällt es der Bundesbildungsministerin schwer, für die Digitalisierung noch weitere Mittel zu reklamieren. Aber sie muss im Auge behalten, dass auch die laufenden Kosten künftig dauerhaft finanziert werden können, geschweige denn die Aufwendungen für den Ersatzbeschaffungsbedarf beispielsweise für neue Digitalgeräte. Wengistens ein Lichtblick: Die 500 Millionen für digitale Endgeräte (Laptops, etc.) sind fast komplett ausgegeben, und für die Leihgeräte an Lehrkräfte immerhin zwei Drittel weiterer 500 Millionen. Eine fast Nullnummer zeigt die Mittelvergabe für Administrator:innen an (eigentlich weitere 500 Millionen Euro). Hinzu kommen zur Unterstützung der Länder investive Ausgaben der Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ und „Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder“.

Nagelprobe am 16. März

Um das ehrgeizige Ziel, jedem Grundschulkind einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz zu erfüllen, muss Minister Lindner in den nächsten Jahren gemäß einem entsprechenden Kompromiss mit den Ländern noch tief in die Tasche greifen. Auch die Kosten zur Bekämpfung der Kinderarmut durch eine Grundsicherung abzufedern, wird die Haushaltsgestaltung des Bundes vor eine besondere Herausforderung stellen. Das sind nur einige Beispiele, welche Finanzierungsansprüche durch die Ressorts angemeldet worden sind. Die Nagelprobe kommt, wenn der Bundesfinanzminister am 16. März seinen Haushalt 2022 ins Kabinett einbringt und gleichzeitig die Mittelfristige Finanzplanung bis 2026 präsentiert. Dann wissen wir, ob der Spagat zwischen Schuldenbremse und Reformfinanzierung gelingt.

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