LEITLINIEN FÜR FEMINISTISCHE AUßEN- UND ENTWICKLUNGSPOLITIK (2) : FAP und FEP: ​Bei geschlechtsspezifischer Gewalt geht es um Machtausübung

23. Mai 2023 // Hilda Lührig-Nockemann

Die Leitlinien für die politische Arbeit des Auswärtigen Amtes (AA) und des Bundesminuisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) weisen darauf hin, dass zwar besonders häufig Frauen und Mädchen von sexualisierter Gewalt betroffen sind, aber auch Männer, Jungen und LGBTQIA+Personen. Feministische Außenpolitik gestalten“ nimmt besonders die geschlechtsspezifische Gewalt in bewaffneten Konflikten in den Blick.

Fortsetzung (LEITLINIEN FÜR FEMINISTISCHE AUßEN- UND ENTWICKLUNGSPOLITIK (1)

Bei geschlechtsspezifischer Gewalt geht es um Machtausübung

Ein Drittel aller Frauen erleidet mindestens einmal im Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt, in manchen Regionen der Welt sind es sogar 70 Prozent, wird in der FEP bilanziert. Untermauert wird es durch die FAP: 600 Millionen Frauen leben in Staaten, in denen häusliche Gewalt nicht unter Strafe steht (Studie von UN Women) und 42 Staaten haben keine Gesetze, die sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz unter Strafe stellen. Die Leitlinien beider Ministerien weisen darauf hin, dass zwar besonders häufig Frauen und Mädchen von sexualisierter Gewalt betroffen sind, aber auch Männer, Jungen und LGBTQIA+Personen.

„Feministische Außenpolitik gestalten“ nimmt besonders die geschlechtsspezifische Gewalt in bewaffneten Konflikten in den Blick. Vergewaltigung, sexuelle Versklavung und andere grausame geschlechtsspezifische Verbrechen, oftmals „brutaler Teil der strategischen Kriegsführung“ sollen bekämpft und als Verbrechen geahndet werden. In der von Russland angegriffenen Ukraine wird die UN Human Rights Monitoring Mission mit 1,5 Mio. Euro für den Kampf gegen sexualisierte Gewalt gefördert. Den Überlebenden sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt wird weltweit Hilfe geleistet. So wurde beispielsweise 2022, dem ersten Jahr der Ampel-Regierung, das Internationale Komitee vom Rotem Kreuz mit 11,5 Mio. Euro unterstützt. Ebenso wird seit 2022 mit 15 Mio. Euro ein UNICEF-Projekt in Äthiopien und Somalia ermöglicht, das den Opfern psychosoziale Dienstleistungen und medizinische Hilfe anbietet. Auch Frauen, die auf der Flucht vor klimabedingten Katastrophen sind – laut Angaben der UN waren das 2021 80 Prozent aller aus diesem Grund Geflüchteten – sind häufiger von sexualisierter Gewalt und Ausbeutung betroffen. Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts wären 172,8 Millionen Frauen betroffen, wenn die Angaben der FEP zugrundegelegt werden, wonach bis 2050 216 Mio. Menschen infolge von Klimaveränderungen umsiedeln werden.

In der FEP wird zudem auf die Gefahr rassistischer Zuschreibungen verwiesen, die nicht nur zur systematischen Unterdrückung von und zu Gewalt an Menschen führen, sondern im Extremfall zum Genozid. Allgemein zielt sie auf eine Änderung der Strukturen ab, denn Unterdrückung, psychische und physische Gewalt haben „ihre Wurzeln in den ungleichen Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern und führt sowohl zu sozialer wie auch struktureller Gewalt. Geschlechtsbasierte Gewalt reicht von digitaler Gewalt über weibliche Genitalverstümmelung bis zu Kinder- und Zwangsheirat. Auch sexualisierte Gewalt spiegelt diese Strukturen wider, deren Triebfedern in erster Linie Machtausübung und Unterdrückung sind.

In der Arbeitswelt müssen diskriminierende Strukturen abgebaut werden

Weltweit sind fast die Hälfte (43 %) der in der Landwirtschaft Arbeitenden Frauen, dennoch gehören weniger als 15 Prozent zu den Landbesitzenden. Das ist laut feministischer Entwicklungspolitik ebenso Fakt, wie die Tatsache, dass Frauen häufig unter schlechten Bedingungen und ohne angemessene Entlohnung bis zu 14 Stunden am Tag arbeiten. Als „Meilenstein“ zur Überwindung wird das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf den Weg gebrachte und mit Beginn dieses Jahres in Kraft getretene Lieferkettengesetz gelobt, überträgt es doch den deutschen Unternehmen die Verantwortung für die Einhaltung von Menschrechten – beispielsweise Schutz vor Kinderarbeit, faire Löhne, Diskriminierungsverbot in Bezug auf das Geschlecht, d.h. für gleiche Arbeit gleiches Entgelt, gleiche Arbeitsbedingungen. Als weiterer Meilenstein wird angestrebt, dass Frauen Finanzprodukte und Dienstleistungen in Anspruch nehmen und Eigentum erwerben können. Deshalb zielt feministische Entwicklungspolitik darauf ab, „diskriminierende Strukturen – für Frauen und Mädchen wie auch marginalisierte Gruppen – abzubauen“. Gezielt soll der Zugang zu internationalen Märkten von Unternehmerinnen und frauengeführte Unternehmen gefördert werden.

Frauen als Entscheidungsträgerinnen sind Teil der Lösung

Friedensvereinbarungen sind um mehr als 60 Prozent erfolgreicher, wenn Frauenorganisationen und andere Vertreterinnen der Zivilgesellschaft aktiv und effektiv daran teilnehmen, war 2015 – 15 Jahre nach der Beschlussfassung der Resolution 1325 – das Ergebnis der Globalen Studie zur Umsetzung dieser Resolution vom Graduate Institute in Genf. Um 20 Prozent erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Friedensabkommen länger als zwei Jahre hält, und um 35 Prozent, dass es auch nach 15 Jahren noch in Kraft ist, wenn Frauen an den Verhandlungen teilnehmen (UN Women 2015). Nur vier Prozent der zwischen 1992 und 2011 geschlossenen Friedensabkommen waren von Frauen unterzeichnet worden, gab das Weltwirtschaftsforum 2018 an. In den Leitlinien Feministische Außenpolitik wird bemängelt, dass zwischen 1992 und 2019 nur 13 Prozent der Personen, die am Verhandlungstisch saßen, weiblich waren.

Interne Ausrichtung der Ministerien nach feministischen Grundsätzen

Konsequenz daraus soll sein, dass sich feministische Außenpolitik für „eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Mädchen in Friedensprozessen und ihren Schutz in bewaffneten Konflikten“ engagiert. Diese Ausrichtung – Teilhabe an Friedens- und Wiederaufbauprozessen sowie der Überwindung konfliktbezogener geschlechtsbasierter Gewalt – will auch das BMZ stärken, ebenso wie die Rolle von Frauen und marginalisierten Gruppen „als Entscheidungsträger*innen in zentralen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen“.

Das AA belegt mit Zahlen, dass Außenpolitik bis dato eine Männerdomaine war. Nur 27 Prozent (61) der insgesamt 226 deutschen Auslandsvertretungen werden von Frauen geleitet. Ein Tatbestand, der unter dem von B'90/Die Grünen geführten Bundesaußenministerium schnellstmöglich korrigiert werden soll. Erste Fortschritte sind geschafft. Im Vergleich zu 2021 konnte der Frauenanteil unter den Referatsleitungen im höheren Dienst (In- und Ausland) schon um 3 Prozentpunkte auf 26 Prozent – auf allen Ebenen um 2 Prozent auf 39 Prozent – gesteigert werden.

Vage bleiben die Angaben zu Frauen im gehobenen Dienst, bei denen indifferent von vielen Frauen in Leitungsfunktionen wie zum Beispiel an Großbotschaften wie Peking oder New York mit bis zu 60 Mitarbeiter:innen die Rede ist. Positiv fällt dagegen auf, dass zwei von drei Staatssekretär:innen, den höchsten Beamt:innen des Auswärtigen Amtes, Frauen sind.

Neue Arbeits- und Denkstrukturen

Beide Ministerien sehen in den eigenen Reihen Nachholbedarf. Als Ziel benennen beide – unter dem Vorzeichen von Familienfreundlichkeit – geschlechtergerechte Personalbesetzung zusammengedacht mit Diversität auf allen Ebenen ebenso wie Geschlechterparität auf allen Hierarchieebenen einschließlich der Führungsebene. Durch alle Bereiche der Außen- und Entwicklungspolitik soll sich die feministische Ausrichtung ziehen. Mit einem „Lern- und Veränderungskonzept“ sollen sowohl das BMZ als Organisation wie auch seine Mitarbeiter:innen in die Lage versetzt werden, feministische Außenpolitik durchzuführen.

Botschafterin für Feministische Außenpolitik

Im AA sollen „neue Arbeitsweisen und Strukturen“ zur Umsetzung feministischer Außenpolitik entwickelt werden. Ab dem Sommer soll eine „Botschafterin des Auswärtigen Amtes für feministische Außenpolitik“ ernannt werden.

MATERIALIEN (LINKS)

zwd-POLITIKMAGAZIN, Seite 8: Die Leitlinien für außenpolitisches Handeln des AA (Auszug aus "Feministische Außenpolitik gestalten")

zwd-POLITIKMAGAZIN, Seite 9: Die Leitlinien für entwicklungspolitisches Handeln des BMZ (Auszug aus "Feministische Entwicklungspolitik)

51 Fragen der CDU/CSU-Opposition: Was ist neu an der Feministischen AP und EP? | Die Antworten der Bundesregierung

STATEMENTS

  • Onome Ak, Geschäftsführerin der Aktion Against Hunger Kanada
  • Elke Ferner, Vorstandsvorsitzende von UN Women Deutschland
  • Kristina Lunz, Centre for Feminist Foreign Policy
  • Annika Wünsche, Mitglied im Vorstand Deutscher Frauenrat
  • Dr. Dagmar Pruin, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“ und der Diakonie Katastrophenhilfe
  • Dr. Claudia Zilla, Stiftung Wissenschaft und Politik, Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika
  • Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
  • Annalena Baerbock, Bundesministerin des Auswärtigen




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