PLÄNE DES BUNDESARBEITSMINISTERS : Mit einem Weiterbildungskabinett in die "Weiterbildungsrepublik"

17. Januar 2022 // Dr. Ernst Dieter Rossmann

zwd Berlin. Der SPD-Weiterbildungsexperte Dr. Ernst Dieter Rossmann plädiert in einem Beitrag für das zwd-POLITIKMAGAZIN für die Einrichtung eines „Weiterbildungskabinetts“ – anders ausgedrückt: Bundeskanzler Olaf Scholz sollte die „Weiterbildungsrepublik“ zur Chefsache machen. Eine Vorabveröffentlichung zum zwd-POLITIKMAGAZIN, Ausgabe 389, für unsere Abonennt:innen.

Weiterbildung muss zur Haltung werden

Das Muster ist mir ja aus vielen Jahren in der Politik und langen Nächten in Koalitionsverhandlungen in Bund und Land bestens bekannt: Da wird um einen echten politischen Aufbruch hart gerungen und alles passt sehr gut zusammen. Und dann gibt es ungeachtet der berechtigten Zufriedenheit der Akteure hinterher die Zwischenrufe von der Außenlinie und die Beckmesserei der Interessenswahrer und Pfennigfuchser.

Deshalb also vorweg: Mit ihrem Koalitionsvertrag will die neue Bundesregierung „Mehr Fortschritt wagen“ und sie verknüpft dieses stringent mit dem Anspruch, die Weiterbildung mehr denn je zu fördern, in ihrer Bildungspolitik, in ihrer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, in der Förderung von Handwerk und Mittelstand, bei den privaten und den öffentlichen Dienstleistungen. Hubertus Heil, übrigens der einzige Minister des Kabinetts, der sein Ressort unmittelbar weiterführen darf, will hierzu konsequent den Weg in die „Weiterbildungsrepublik“ gehen. Ausdrücklich gut so. Die Botschaft ist gesetzt. Sie ist auch überfällig im Zeichen der vielfältigen Transformation, des demographischen Wandels und der fortdauernden Kompetenzbedarfe auf jeder Ebene. Weiterbildung muss zur Haltung werden.

Der Bund bekennt sich mehr denn je zur Weiterbildung als Zukunftsaufgabe.

Auch wenn es nur ein Detail sein mag: Ein eigener Abschnitt im Koalitionsvertrag einer Bundesregierung, der sich nur der Erwachsenenbildung widmet, war in früheren Verträgen noch nicht möglich. Das hat Symbolkraft.

Tatsächlich ist dieses aus drei Gründen ein politischer Durchbruch.

1. Die Parteien in der neuen Regierungskoalition sehen den Bund offensichtlich in einer eigenen Förderkompetenz für die Weiterbildung, die über die bisherige Aufteilung hinausweist, dass die Länder und Kommunen für die allgemeine und der Bund für die berufliche Weiterbildung Verantwortung tragen. Das gilt auch für die Nationale Weiterbildungsstrategie.

2 .Unter dem Leitgedanken von einem „Kooperationsgebot“sollen sich Bund, Länder, Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über neue Formen der Zusammenarbeit und gemeinsame ambitionierte Bildungsziele verständigen. Die allgemeine Weiterbildung wird hier als wichtiger Teil des Bildungswesens dabei sein.

3. Indem die Erwachsenenbildung ausdrücklich als eigene Phase in der Bildungsbiografie von der frühkindlichen Bildung bis in die Bildung von Senioren mit gedacht wird ,setzt sich eine Grundauffassung durch, die Weiterbildung nicht mehr vorrangig an das Arbeitsleben bindet, sondern auch an Bildung der ganzen Persönlichkeit, an Chancen für alle und an soziale Teilhabe und politische Partizipation.

Eine alte politische Allianz – neu belebt

Es wäre nicht das erste Mal, dass eine politische Allianz von Sozialdemokratie und Liberalismus in der Bildungspolitik neue Horizonte öffnet. Wo Willy Brandt und Walter Scheel in der ersten sozialliberalen Koalition als Reaktion auf den verknöcherten CDU-Staat der Adenauer-Ära ein „Mehr Demokratie wagen“und einen großen Bildungsaufbruch für mehr Chancengleichheit angegangen sind, kommt mit dem Grünen Partner jetzt noch die Zukunftsdimension von Klimawandel, Ressourcenschonung, Umweltvorsorge dazu. Die damit einhergehenden Innovationen und Transformationen, die technologisch - ökonomisch und gesamtgesellschaftlich vor uns liegen, brauchen nun einmal Weiterbildung, gezielt im Beruf und ganz allgemein für jeden Menschen.

Der Begriff des Weiterbildungskabinetts mag abgegriffen sein. Aber wer den Weg in die Weiterbildungsrepublik gehen will, muss nicht nur die Vielzahl der Akteure in einer Nationalen Weiterbildungsstrategie und einer breiten Allianz für Weiterbildung zusammenbinden. Er muss auch die dafür zentralen Ressorts des Kabinetts für Weiterbildung zu einer Politik aus einem Guss fest zusammenschweißen. Hier Dynamik und Durchschlagskraft zu entwickeln, muss „Chefsache“ werden. Da ist Olaf Scholz als Kanzler für Bildung, gute Arbeit, Respekt und Zuversicht gefordert. Visionen, Begeisterungsfähigkeit, Durchsetzungskraft und Ausdauer gehören dazu.

Die allgemeine und die berufliche Weiterbildung verbinden - die Ambition ist konkret

Das Fundament steht. Denn das neue Bündnis hat sich die für die Umsetzung der Mega-Botschaft Weiterbildung sehr viel Konkretes vorgenommen, mehr als alle andere Regierungen vor ihr. Bildungsforscher wie Jutta Allmendinger, Gerhard Bosch, Joseph Schrader und Dieter Timmermann dürfen sich bestätigt fühlen. Sie sind Namensgeber für eine von der damaligen Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn vor über 20 Jahren eingesetzte Kommission und ihr Bericht gilt als „Mutter“ aller Weiterbildungsreports der letzten Jahrzehnte. Notwendig ist ein Set an Maßnahmen, die vielfältig und zugleich kooperativ, innovativ und zugleich konstant ansetzen.

Das Lebenschancen-BAföG als Instrument für die selbstbestimmte Weiterbildung

Träger der allgemeinen Weiterbildung wie die Volkshochschulen und andere gemeinnützige Bildungseinrichtungen sollen gestärkt werden, mit Investitionen in die digitale Infrastruktur, mit Kompetenzzentren für digital gestütztes Unterrichten in der Weiterbildung und mit einer zentralen Anlaufstelle für das Lehren und Lernen in der digitalen Welt.

Es soll ein Lebenschancen-BAföG geben als neues Instrument für die selbstbestimmte Weiterbildung auch jenseits berufs- und abschlussbezogener Qualifikation für alle. Grundlage soll eine einfache Möglichkeit zum Bildungssparen sein. Menschen mit einem geringen Einkommen erhalten dafür jährliche Zuschüsse.

Freiwillig, mit einem klaren persönlichen Rechtsanspruch ist auch das Instrument des Aufstiegs-BAföGs zur höheren beruflichen Qualifizierung, dessen Leistungen jetzt in einem fünften Schritt der Novellierung in den letzten 20 Jahren weiter auf die Höhe der Zeit gebracht werden soll – mit Unterhalt bei Teilzeitfortbildungen, Förderung von zweiten vollqualifizierenden Ausbildungen und Mehrfachförderungen auf der gleichen Stufe des Deutschen Qualifikationsrahmens.

Beide Instrumente sollen aus Steuermitteln finanziert werden. In welcher Aufteilung bleibt noch offen. Anders als beim BAföG wird das Aufstiegs-BAföG jetzt noch im Verhältnis 78/22 % vom Bund und den Ländern finanziert. Aus Erfahrung muss hier allerdings gewarnt werden: Bitte kein hinhaltender Bund-Länder Streit, wo es um persönliche und gesellschaftliche Motivation für etwas Großes geht, nämlich um mehr Weiterbildungsbereitschaft, Weiterbildungsfähigkeit,Weiterbildungsfreude und Weiterbildungserfolg.

Der Weg zur Bundesagentur für Arbeit und Weiterbildung ist vorgezeichnet

Was die arbeitsmarktbezogene Weiterbildung betrifft, wird die Bundesagentur für Arbeit in dem Gesamtkonzept sachnotwendig in ihren Aufgaben gestärkt. Dort liegen schon jetzt 900 Millionen Euro für die Weiterbildung von Beschäftigten in 2022 bereit. Dabei darf es nicht bleiben. Mehr Beratung, mehr Qualifizierung, mehr Weiterbildungsverbünde und mehr Weiterbildungsagenturen sowie modernisierte Online-Plattformen sind die Stichworte. Auch wenn der Name der BA bis auf weiteres offensichtlich bestehen bleibt, ist der Weg zur Agentur für Arbeit und Weiterbildung BAW fest vorgezeichnet.

Gewiss wird es hierbei noch harte Auseinandersetzungen geben. Die drei Parteien der neuen Koalition sind schließlich mit durchaus unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Interessen verbunden. Kapital und Arbeit werden sich da weiter gegenüber stehen. Wenn das neue Bündnis wirklich zu einer echten Fortschrittskoalition mit der Mission Weiterbildung werden will, muss es sich deshalb entscheiden: Gegen die neoliberale Privatisierung von Zukunftschancen und die Rücksichtnahme auf Kapitalinteressen und für klare Ansprüche von Beschäftigten und für mehr Qualität in der Weiterbildung.

Bisher sieht der Koalitionsvertrag für die neuen Instrumente des Qualifizierungsgeldes nach dem Muster des Kurzarbeitergeldes und für die geförderte Bildungsteilzeit nach österreichischem Vorbild noch Betriebsvereinbarungen als Voraussetzung an. Für die eindeutige gesetzlich gesicherte Rechte wird weiter zu kämpfen sein, auch um die Teilnahme an non-formalen Bildungsaktivitäten wirksam zu erhöhen. Der Nationale Bildungsbericht 2020 weist bisher eine Teilnahmequote an den unter 18- bis 69-jährigen von 52 % aus und eine durchschnittliche Jahresbildungszeit von 45,7 Stunden.Da muss sich noch mehr entwickeln, und zwar für alle, d. h. insbesondere auch für die bisher unzureichend beteiligten Gruppen: Frauen, Beschäftigte in kleinen und mittleren Betrieben, Ältere und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen.

Als zentrale Aufgabe nicht zu vernachlässigen: 6 Millionen funktionale Analphabeten, 5 Millionen Beschäftigte ohne Berufsabschluss

Dran bleiben und noch mehr Rausholen muss auch gelten für die über 6 Millionen funktionalen Analphabeten und den großen Bereich der Menschen ohne ausreichende Grundbildung, ohne Bildungsabschlüsse und in Langzeitarbeitslosigkeit. Vergessen wir nie: Geschätzt mehr als 5 Millionen Beschäftigte in Deutschland haben keinen Berufsabschluss. Davon stehen über 1,5 Millionen noch im ersten Lebensjahrzehnt nach der schulischen Bildungsphase. Wir müssen diesen Menschen Bildungschancen geben, einmal, zweimal, immer wieder! Die Klarstellung hört sich trocken an im Koalitionsvertrag, „dass die Vermittlung in Arbeit keinen Vorrang vor einer beruflichen Aus- und Weiterbildung hat, die die Beschäftigungschancen stärkt.“ Aber es wird helfen. Und 150 Euro zusätzliches monatliches Weiterbildungsgeld sind für Leistungsberechtigte von SGB II und III kein „Himmel auf Erden“, aber dennoch ein konkreter Anreiz und ein Baustein für mehr Weiterbildung.

Die Beschäftigung mit diesen Menschen und die Förderung ihrer Chancen hat für viele keinen echten Sex Appeal. Fridays for Future wie die Frankfurter Börse haben anderes im Sinn. Und die FAZ und das Handelsblatt wussten auch sogleich von der klaren Ablehnung der Arbeitgeber zu berichten. Umso mehr ist anzuerkennen, was die drei Parteien des neuen Bündnisses sich jetzt als nächste große Schritte vorgenommen haben. Fortschritt soll möglich werden – für die Weiterbildung und durch die Weiterbildung!

Der Autor war in der vergangenen Legislaturperiode Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung. 2019 wurde er nach zwölfjähriger Tätigkeit als Vorsitzender zum Ehrenvorsitzenden des Deutschen Volkshochschulverbandes gewählt. Der SPD-Politiker, der von 1987 bis 1998 zunächst dem Landtag Schleswig-Holstein und danach bis 2021 dem Deutschen Bundestag angehörte, ist in Elmshorn beheimatet.

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