REGIERUNGSENTWURF ZUM WEGFALL DES PARAGRAFEN 219a : Urteile gegen Ärzt:innen sollen aufgehoben werden

23. März 2022 // Holger H. Lührig

Die wegen Verstoßes gegen § 219 StGB (angebliche Werbung für Schwangerschaftsabbrüche) verurteilte Gießener Ärztin Kristina Hänel kann mit einer vollständigen Rehabilitierung rechnen. Eine entsprechende Regelung sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Streichung des § 219a vor.

Hänel bei der Preisverleihung des Anne-Klein-Frauenpreises 2019 (Quelle:CC BY-SA 2.0)
Hänel bei der Preisverleihung des Anne-Klein-Frauenpreises 2019 (Quelle:CC BY-SA 2.0)

Mit einem gegenüber dem ursprünglichen Referent:innen-Entwurf deutlich veränderten Gesetzentwurf zur Streichung des § 219a StGB hat die Bundesregierung auf Forderungen reagiert, die gegen Ärzt:innen erfolgten Urteile wegen „Werbung“ für Schwangerschaftsabrüche aufzuheben. Während der vom Bundesjustizministerium (BMJ) am 17. Januar veröffentlichte Referent:innenentwurf lediglich den Wegfall dieses Strafrechtsparagrafens vorsah, enthält der vom Bundeskabinett am 9. März verabschiedete Gesetzentwurf nun zwei weitere Regelungen: Zu einen soll eine Änderung des Heilmittelwerbegesetzes erfolgen, „um der Gefahr zu begegnen. dass nach Aufhebung des § 219a StGB unsachliche oder anpreisende Werbung für Schwangerschaftsabbrüche betrieben wird“. Zum anderen wird im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch ein neuer Artikel 316 eingefügt, mit dem geregelt wird, dass Urteile, die aufgrund des § 219a seit dem 3. Oktober 1990 ergangen sind, aufgehoben werden und Verfahren, die entsprechend noch anhängig sind, einzustellen sind.

Nachstehend dokumentieren wir die wesentlichen Änderungen und Begründungen zum Gesetzentwurf im Vergleich zur ursprünglichen Vorlage des BMJ.

Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 9. März 2022

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB), zur Änderung des Heilmittelwerbegesetzes und zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1 - Änderung des Strafgesetzbuches Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. November 2021 (BGBl. I S. 4906) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 219a wie folgt gefasst: „§ 219a (weggefallen)“.

2. In § 218b Absatz 2 wird die Angabe „§§ 218, 219a“ durch die Angabe „§§ 218“ ersetzt.

3. § 219a wird aufgehoben.

Neuer Artikel 2: Änderung des Heilmittelwerbegesetzes (HWG)

„Artikel 2 -Änderung des Heilmittelwerbegesetzes

Das Heilmittelwerbegesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3068), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 27. September 2021 (BGBl. I S. 4530) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 1 Absatz 1 Nummer 2 wird wie folgt gefasst:

„2. andere Mittel, Verfahren, Behandlungen und Gegenstände, soweit sich die Werbeaussage bezieht

a) auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden beim Menschen,

b) auf Schwangerschaftsabbrüche,

c) auf operative plastisch-chirurgische Eingriffe zur Veränderung des menschlichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit.

2. § 12 Absatz 2 Satz 2 wird wie folgt gefasst: „Satz 1 gilt nicht für die Werbung für Verfahren oder Behandlungen

1. zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärztinnen und Ärzte,

2. in Heilbädern, Kurorten und Kuranstalten.“


In der Begründung zu diesem Artikel heißt es unter anderem:

„Um der Gefahr zu begegnen, dass nach Aufhebung des § 219a StGB unsachliche oder gar anpreisende Werbung für Schwangerschaftsabbrüche betrieben wird, wird eine entsprechende Änderung des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) vorgenommen. Der Anwendungsbereich des HWG wird auf Schwangerschaftsabbrüche ohne Krankheitsbezug erweitert. Da § 1 Absatz 1 Nummer 2 HWG nur Werbung für andere Mittel, Verfahren, Behandlungen und Gegenstände erfasst, soweit sich die Werbeaussage auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden beim Menschen bezieht, waren medizinisch nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche wegen des fehlenden Krankheitsbezuges bisher nicht vom Anwendungsbereich des HWG erfasst. Die Aufnahme der Werbung für medizinisch nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche in den Anwendungsbereich des HWG führt dazu, dass die Vorgaben des HWG nunmehr für die Werbung für alle Arten von Schwangerschaftsabbrüchen (medizinisch indizierte und medizinisch nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche) Anwendung finden. Die Vorgaben des HWG gelten dabei für jedermann, das heißt für Ärztinnen und Ärzte und für Dritte, die für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen werben.“



Neuer Artikel 3: Änderung des Einführungsgesetzes zum StGB

Artikel 3 Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch

Vor Artikel 317 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469; 1975 I S. 1916; 1976 I S. 507), das zuletzt durch Artikel 3 Absatz 2 des Gesetzes vom 14. September 2021 (BGBl. I S. 4250) geändert worden ist, wird folgender Artikel 316… [einsetzen: bei der Verkündung nächster freier Buchstabenzusatz] eingefügt: „Artikel 316… [einsetzen: bei der Verkündung nächster freier Buchstabenzusatz] Übergangsvorschrift zum Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB), zur Änderung des Heilmittelwerbegesetzes und zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch

(1) Strafgerichtliche Urteile, die aufgrund der folgenden Vorschriften nach dem 3. Oktober 1990 ergangen sind, werden aufgehoben:

1. aufgrund des § 219a des Strafgesetzbuches

a) in der vom 16. Juni 1993 bis einschließlich 31. Dezember 1998 geltenden Fassung,
b) in der vom 1. Januar 1999 bis einschließlich 28. März 2019 geltenden Fassung,
c) in der vom 29. März 2019 bis einschließlich 31. Dezember 2020 geltenden Fassung oder
d) in der seit dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung sowie

2. aufgrund des § 219b des Strafgesetzbuches in der vom 1. Oktober 1987 bis einschließlich 15. Juni 1993 geltenden Fassung.

(2) Die Verfahren, die den in Absatz 1 genannten Urteilen zugrunde liegen, werden eingestellt.“


In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es unter anderem:

„Gesetze, die rückwirkend in die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen eingreifen, berühren den Grundsatz der Gewaltenteilung sowie das Rechtsstaatsprinzip (BVerfGE 72, 302, 328). Die Generalkassation nachkonstitutioneller Strafurteile durch den Gesetzgeber ist daher eine Maßnahme, die in einem Rechtsstaat besonderer Rechtfertigung bedarf (vergleiche BVerfG, Beschluss vom 8. März 2006 – 2 BvR 486/05). Sie ist nur ausnahmsweise möglich, wenn besonders gewichtige, den Erwägungen der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe dazu Anlass geben. Im Rahmen des grundrechtlichen Schutzauftrags des Staates kann eine Verpflichtung zu aktivem Handeln gegeben sein, sofern der Schutz von Individualrechtsgütern anders nicht gewährleistet werden kann. Insbesondere kann die fortwährende Belastung der durch Verurteilungen betroffenen Personen durch einen ihnen aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung anhaftenden Strafmakel zu einem Rehabilitierungsauftrag für den Staat führen. Bei erneuter Bewertung der geltenden Rechtslage ist festzustellen, dass der Strafmakel, der mit den wegen Werbung für den Schwangerschaftsabbruch ergangenen strafgerichtlichen Urteilen verbunden ist, besonders schwer wiegt. Die Strafvorschrift der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch erschwert eine Entscheidung von Schwangeren auf Basis möglichst umfassender sachlicher Informationen. In der für Frauen, die sich mit dem Gedanken an einen Schwangerschaftsabbruch tragen, außerordentlich schwierigen Konflikt- und Entscheidungssituation streiten Interessen des Schutzes des ungeborenen Lebens gegen das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung. Der aus einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen Werbung für den Schwangerschaftsabbruch resultierende Strafmakel ist gerade für Ärztinnen und Ärzte besonders belastend, weil sie zum Wohle der schwangeren Frau – ihrem Berufsethos entsprechend – durch sachliche Informationen über den Abbruch einer Schwangerschaft bestmögliche Hilfestellung geben wollten, sich in der Folge aber dem Vorwurf ausgesetzt sehen, „Werbung“ hierfür betrieben zu haben. Mit der Aufhebung der strafgerichtlichen Urteile wegen Werbung für den Schwangerschaftsabbruch soll dieser Unvereinbarkeit Rechnung getragen werden. (...) Einer Aufhebung der strafgerichtlichen Urteile ist hier jedoch der Vorzug vor einer Amnestieregelung zu geben, um die Betroffenen vollständig vom Strafmakel zu befreien und nicht weiter zu belasten.“


Anm. der Redaktion: Ein bemerkenswerter Vorgang und zugleich eine bundesweite Ohrfeige für die selbsternannten Lebensschützer! Wer falsche Informationen oder Behauptungen über Schwangerschaftsabbrüche verbreitet, kann demnächst von Gesetzes wegen belangt werden.


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