Wahlrechtskommission: Eine Mehrheit für gesetzliche Regelungen, um eine gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen und Männern im Bundestag zu erreichen? Nach der letzten Sitzung der Wahlrechtskommission des Bundestages deutet sich an, dass eine Mehrheit der Mitglieder gesetzgeberische Maßnahmen zur Herstellung einer tatsächlichen Gleichstellung auch im Wahlrecht für verfassungsrechtlich zulässig hält. Mit der Präsentation einer weiteren - eigens für die Paritätsberatungen - aufgebotenen Sachverständigen hat die FDP in der letzten Sitzung der Kommission einen Schwenk versucht, um die Phalanx derer zu stärken, die Paritätsregelungen als unzulässigen Eingriff in die Grundrechte der Parteien ablehnen. Der Vertreter der FDP in der Wahlrechtskommission, der Fraktionsvize Konstantin Kuhle, bisher auch Generalsekretär der niedersächsischen FDP, ist in der Sitzung der Kommission am 29. September von der frauenpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Leni Breymaier aufgefordert worden, endlich Farbe zu bekennen und zu sagen, "was geht". Kuhle steht nun vor dem Spagat, seinen selbst formulierten Anspruch, das Profil seiner Partei nach mehreren Niederlagen bei Landtagswahlen zu schärfen, mit der Koalitionsvereinbarung (KV) in Einklang zu bringen, das Ziel einer paritätischen Repräsentanz einschließlich der rechtlichen Rahmenbedingungen (KV) ernsthaft zu erwägen. Dabei ist die FDP im KV zu gemeinsamem Handeln mit den anderen Ampel-Parteien verpflichtet. Ohnehin wird - laut Meinungsumfragen - die FDP inzwischen in der Bevölkerungsmehrheit als Blockiererin der Regierungsarbeit wahrgenommen. Nun ja, Ist der Ruf erst ruiniert, dann...? Das Image der Lindner-Partei als Fraktion mit dem sehr geringen Frauenanteil ist ohnehin frauenpolitisch ramponiert. Bei sinkenden Umfragewerten gegen fünf Prozent kann sie sich frauenfeindliche Attitüden und Opposition innerhalb der Regierungsarbeit nicht mehr leisten. Zumal auch die CDU auf ihrem Bundesparteitag in Hannover mit ihrem Bekenntnis zu einer befristeten Quotenregelung und zur "tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern" in ihrer Grundwerte-Charta an der männlich dominierten Partei der Liberalen vorbeigezogen ist und sich anschickt, mehr Frauen den Weg in die Parlamente zu ebnen. Die FDP, einst eine stolze Verfassungsrechts-Partei, sollte erkennen, dass der Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes auch vor dem Bundestag nicht haltmacht und auch für die Wahlrechtsreform Gültigkeit hat.
Armut auf den Höchststand - seit Jahrzehnten keine wirksamen Maßnahmen Auch in einem anderen Punkt ist die Partei des Fraktionsvize Kuhl gefordert: Soll - wie schon im Sommer - das Füllhorn der Entlastung von durch steigende Energiepreise, Inflation und Einkommensverluste betroffenen Bürger:innen erneut nur im Gießkannenprinzip ausgeschüttet werden und auch die Wohlhabenden beglücken, oder muss die Ampel sich mehgr denn je durch gezielte, einkommensabhängige Zahlungen auch der – wie es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gestern nannte – drohenden Sozialkrise entgegenstemmen? Eine Politik im Interesse der seit langem und in wachsendem Maße von Armut Betroffener ist schon seit langem nicht mehr im Blick einer eher an Klientel-Politik ausgerichteten Partei, die sich als Hüterin der "arbeitenden Mitte" verstehen möchte. Dabei hat die Armut, wie die Paritätische in ihrem aktuellen Armutsbericht errechnet hat, in Deutschland einen Höchststand erreicht, der auch diese Bevölkerungsschichten erreicht Notabene: Das Armutsthema ist natürlich beileibe nicht nur ein FDP-Thema: Zwar war die Partei seit Erscheinen des ersten Armutsbericht der Paritätischen Wohlfahrtsverbandes 1989 in 13 von 25 Jahren an einer von CDU-Kanzler:innen (Kohl, Merkel) geführten Bundesregierung beteiligt, doch auch die SPD hat in den Zeiten ihrer Regierungsbeteiligung (unter Merkel 12 Jahre) sowie in der Ära Schröder (1998-2005) keine substanziellen Verbesserungenerreicht. Insofern muss die Ampel hier – wie auf vielen Feldern – die Versäumnisse der Regierungen früherer Jahrzehnte abarbeiten, um einen wirklichen Fortschritt auf den Weg zu bringen. „Armut auf dem Höchststand“ ist ein weiterer Themenschwerpunkt der Ausgabe 393 des zwd-POLITIKMAGAZINs. Wir wünschen wie immer eine anregungsreiche Lektüre! Ihre zwd-Redaktion Hilda Lührig-Nockemann und Holger H. Lührig Ps.: Lesen Sie im Portal unter www.zwd.info, was sich demnächst in Niedersachsen gleichstellungspolitisch tut, welche Konsequenzen es hat, wenn die Listen zugunsten von Frauen im Parlament nichg zum Zuge kommt und wie die Kampagne "Parität Jetzt" läuft.
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