zwd-POLITIKMAGAZIN Nr. 376 : 100 Jahre Grundschule

13. Februar 2020 // Redaktion

Das Reichsgrundschulgesetz von 1920 ermöglichte ALLEN Kindern unabhängig vom sozialen Stand der Eltern gemeinsam eine Grundschule zu besuchen. Chancengleichheit für alle sollte damit gewährleistet werden. Durchbrechen heute Privat- und Brennpunktschulen dieses damalige Postulat? Dazu befragte der zwd die Länder.

BILDUNG & POLITIK


KULTUSMINISTERKONFERENZ

KMK-Chefin Hubig muss viele Aufgaben gleichzeitig stemmen zwd Berlin (ig). Die turnusgemäß seit 1. Januar amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die rheinland-pfälzische Kultusministerin Stefanie Hubig (SPD – Bild links), hat ihre Amtsperiode unter das Motto „Europa – (er)leben und gestalten“ gestellt. Die Agenda der Konferenz wird jedoch von anderen Herausforderungen bestimmt: Von der Fortschreibung des Hamburger Schulabkommens von 1964, dem Abbau des Lehrkräftemangels und der Digitalisierung des Bildungswesens.

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KOMMENTAR: ERNST DIETER ROSSMANN, MdB/SPD, VORSITZENDER DES BUNDESTAGSAUSSCHUSSES FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG

Bildungskooperation quo vadis? Diese Passage im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist sehr eindeutig formuliert, wenn es heißt: „Der Nationale Bildungsrat soll auf Grundlage der empirischen Bildungs- und Wissenschaftsforschung Vorschläge für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen vorlegen und dazu beitragen, sich über die zukünftigen Ziele und Entwicklungen im Bildungswesen zu verständigen und die Zusammenarbeit der beteiligten politischen Ebenen bei der Gestaltung der Bildungsangebote über die ganze Bildungsbiographie hinweg zu fördern.“ Der Bildungsrat sollte damit weder eine zentrale Oberregierung aus Berlin noch ein reiner „Schulrat“ sein, sondern Empfehlungen zur ganzen Bandbreite bildungspolitischer Themen von der frühkindlichen Bildung, der beruflichen und Weiterbildung bis hin zum Lernen im Alter entwickeln und dabei auch die europäische und die internationale Dimension nicght vergessen.

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HAMBURG VOR DER WAHL


KOMMENTAR: zwd-HERAUSGEBER HOLGER H. LÜHRIG

Erfolgsrezept: Ruhiges Regieren Die Hansestadt Hamburg wird nach den aktuellen Wahlprognosen weiterhin von einem Sozialdemokraten geführt werden. Peter Tschentscher, der in der Nachfolge von Olaf Scholz Erster Bürgermeister wurde, hat sich durch eine ruhige und solide Regentschaft das Vertrauen der immer noch von der Kaufmannschaft geprägten Hansestadt erworben. Nahezu sechzig Prozent der Elbstädter wünschen sich seine Wiederwahl, die Repräsentanten der politischen Konkurrenz können von solchen Werten nur träumen.

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RUBRIK FRAUEN & GLEICHSTELLUNG

Mit großen Schritten in Richtung Gleichberechtigung zwd Hamburg (jt). Ein gendergerechter Haushalt, ein neues Frauenhaus und vielleicht sogar bald ein Paritätsgesetz! In den letzten fünf Jahren hat sich in Hamburg unter Rot-Grün gleichstellungspolitisch Einiges bewegt. Die Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) möchte als Spitzenkandidatin gern den Sozialdemokraten Peter Tschentscher als Ersten Bürgermeister ablösen. Doch im Popularitätsranking liegt der Regierungschef weit vorn. Das Erstaunen war groß, als Bundesinnenminis-ter Horst Seehofer (CSU), Bundeslandwirtschaftsminis-terin Julia Klöckner (CDU) und Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) vor der Bundespressekonferenz am 12. Juli die Ergebnisse der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ vorstellten.

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RUBRIK BILDUNG & POLITIK

Schulfrieden bis 2025: Damit bleibt Zeit für das Wesentliche – den Unterricht zwd Hamburg (hk), Bildungspolitisch herrscht Schulfrieden, wissenschaftspolitisch kann sich die rot-grüne Koalition im Schein der Anerkennung der Hamburger Universität als Exzellenzhochschule sonnen. Der Opposition in der Hamburger Bürgerschaft, die am 23. Februar neu gewählt wird, fällt es schwer, Alternativen zur Politik der verantwortlichen Senatoren für Schule, Wissenschaft und Kultur, Ties Rabe (SPD), Katharina Fegebank (Grüne) und Carsten Brosda (SPD) zu formulieren.

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TITELTHEMA: 100 JAHRE GRUNDSCHULE


100 JAHRE GRUNDSCHULE KOMMENTAR: zwd-CHEFREDAKTEURIN HILDA LÜHRIG-NOCKEMANN

Brennpunktschulen und Privatschulen – eine Blockade für „eine für alle gemeinsame Grundschule"? Die Eine Schule für alle Kinder – ohne Klassenschranken! Darauf drängten im Kontext der Novemberrevolution 1918 sozialdemokratische und linksliberale Kräfte. Ihr Bestreben war, die Standesbildung des wilhelminischen Kaiserreichs ad acta zu legen und durch neue Volksbildungskonzepte, wie die Einheitsschule, zu ersetzen. Schließlich wurden mit der am 14. August 1919 verabschiedeten Weimarer Reichsverfassung im Artikel 146 Abs. 1 „Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf“ die Weichen dazu gestellt. Diese Geburtsstunde der für alle gemeinsamen Grundschule vor 100 Jahren war in den Worten des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) „eine demokratische Revolution in der Schulpolitik“.

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DER BUNDESPRÄSIDENT ZU „100 JAHRE GRUNDSCHULE2

Die Schule der Demokratie – zukunftsfähig und bildungsgerecht zwd Berlin (no/hr/ig). Am 14. August 1919 wurden die Weichen für ein neues, damals revolutionäres Schulsystem gelegt. Die an diesem Tag verkündete Weimarer Reichsverfassung – Frauen waren an der Formulierung nicht beteiligt – ist die Geburtsurkunde einer für alle gemeinsamen Schule. Jungen wie Mädchen, aus allen Schichten, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, sollten in der ersten deutschen Republik gemeinsam eine Schule, die Grund-schule, besuchen. Die Bilanz nach „100 Jahren Schulform Grundschule” fällt zwiespätig aus. Zunächst ab 1920 ein unselbstständiger der Teil achtjährigen Volksschule, hat sich die Grundschule erst in den 60er Jahren als eigenständige Schulform etablieren können. Der Streit über die Dauer der Primarstufe dauert an: Nur in Brandenburg und Berlin gibt es die sechsjährige Grundschule als Regelangebot. Der 1969 gegründete Grundschulverband hat mit seinem Kongress am 13. September 2019 in Frankfurt am Main eine Bilanz gezogen und zugleich ein neues Kapitel für die Schule der Zukunft aufgeschlagen. Die Debatte hat – nicht zuletzt dank der Rede des Bundespräsidenten – in den Fachkreisen und der Politik neuen Schwung bekommen.

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zwd-UMFRAGE BEI SCHULMINISTERIEN DER LÄNDER

Die Grundschule, ein Ort der Chancengleichheit für ALLE Kinder? (zwd Berlin /no). Mit dem Reichsgrundschulgesetz vom 28. April 1920 wurden Klassenschranken überwunden und die an Stände gebundene Bildung aufgehoben. Erstmals wurde im Gesetz eine Schule für alle Kinder verankert. Weder Geldbeutel noch Bildungsstand der Eltern sollten für die Bildung der Kinder ausschlaggebend sein – zumindest in den ersten vier Jahren der Schullaufbahn. Ob das in den Grundschulen gelungen ist, wollte der zwd von den 16 Bundesländern und acht Kommunen wissen und befragte diese nach Brennpunkt- und Privatschulen als äußeres Zeichen der Segregation sowie die Bundesländer zusätzlich nach ihrem Einsatz für Chancengleichheit. Die zuständigen Schulressorts von acht Ländern und vier Städten antworteten. Wir berichten darüber auf den Seiten 14-17.

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zwd-DEBATTENTHEMA

Sind Privat- und „Brennpunktschulen“ ein Hindernis auf dem Wege zur gemeinsamen Grundschule für ALLE?

  • Oliver Görs: „Eltern müssen Vertrauen haben, ihre Kinder mit einem guten Gefühl JEDER Grundschule des STAATLICHEN Bildungssystems anzuvertrauen.”
  • Dr. Martin Pfafferoth: „Bildungsbenachteiligung muss reduziert werden: Aus Brennpunkten Feuerwerke machen!”
  • Dr. Klaus Vogt:: Die Privatschulfreiheit in Deutschland ist Ausdruck der verfassungsrechtlich gewollten Vielfalt von Erziehung und Bildung.”
  • Tom Erdmann: „Egal ob es die Abgrenzung der Privatschul-Klientel oder die Konzentration der Probleme in den Brennpunktschulen ist – für ein inklusives, chancengerechtes Schulsystem ist beides schlecht.“
  • Michael Blanck: „Es braucht auch die Möglichkeit, alle Kinder entsprechend ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten zu fördern: Hilfe bei Fachlichem, Unterstützung, ihr Verhalten zu optimieren.”
  • Prof.´in Dr. Gabriele Bellenberg:„Was ist also zu tun, solange eine zielgerichtete Sozial- und Städtebaupolitik zur Heterogenisierung der Wohnviertel (noch) nicht greift? Eine systematische Umverteilung von Ressourcen zugunsten dieser Schulen ist zwingend notwendig.”

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GASTBEITRAG: PROF. DR. MARKUS PESCHEL

„Grundschulen sollten zu Schulen für JEDES Kind werden, dann sind sie eine Schule für ALLE Kinder!“ Die Grundschule ist vor 100 Jahren aus der Idee heraus entstanden, grundlegende Bildung für alle Kinder gleichermaßen anzubieten und eben nicht nach Status, Stand, finanziellen Mitteln etc. zu entscheiden, wer in den Genuss von Bildung kommt und wer nicht. Dies bedeutete, dass zum allerersten Mal in einer Bildungsinstitution (Grundschule) Kinder von Bauern, Staatsdienern, Wasserträgern, Akademikern, Adeligen usw. zusammenkommen und gemeinsam lernen – wenn auch mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, Zielvorstellungen und Zukunftsprognosen.

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BILDUNG & WISSENSCHAFT


FES-TAGUNG „FEUERWERK STATT BRENNPUNKT“ - GASTBEITRAG von DR. JOACHIM LOHMANN

Statt Ungleichheit ungleich zu behandeln, gilt es, die Ungleichheit zu überwinden (zwd Berlin). Schulen unterscheiden sich ­drastisch bei ihren sozialen, ethnischen und ­sonderpäda-gogischen Herausforderungen. Bildungspoliti-ker*innen setzen inzwischen verstärkt darauf, ungleiche schulische Herausforderungen finanziell ungleich zu behandeln. Ob durch sozialindizierte Ressourcenverteilung soziale Brennpunktschulen zu schulischen Feuerwerken werden können – dem widmete sich eine Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung im letzten Herbst unter dem Thema „Feuerwerk statt Brennpunkt“. Unser Gastautor Joachim Lohmann hat für das zwd-POLITIKMAGAZIN dazu ein Resümee gezogen.

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BERLIN UND BUNDESLÄNDER

Mängel bei der Bildung an Grundschulen zwd Berlin (ug). Die jährlich bundesweit durchgeführten VERA3-Tests sind vielfach in die Kritik geraten. Einzelne Länder beginnen nun, die daraufhin von der Kultusministerkonferenz (KMK) vereinbarten Neuerungen umzusetzen. Sie sollen die Tests flexibler und modular gestalten. Um durch die Tests sichtbar gemachte schwache Leistungen von Grundschüler*innen zu verbessern, ergreifen die Bundesländer zielgerichtet Maßnahmen.

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PISA-STUDIE 2018

Bildungschancen stark ungleich verteilt zwd Berlin (ug). Die am 03. Dezember veröffentlichte OECD-Studie PISA 2018 zeigt auf, dass die Chancen auf eine erfolgreiche Bildung in Deutschland mehr denn je an die soziale Herkunft gekoppelt sind. Verglichen mit vorangegangenen Studien haben sich zudem die Leistungen der bundesdeutschen Schüler*innen insgesamt verschlechtert. Das hat die Politik auf den Plan gerufen.

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LÄNDERMONITOR FRÜHKINDLICHE BILDUNGSSYSTEME

Große regionale Unterschiede bei Kita-Qualität

zwd Gütersloh (hr). Trotz des Ausbaus der Kita-Qualität in den vergangenen Jahren hängen die Bildungschancen auch für die Kleinsten noch immer stark vom Wohnort ab. Zu diesem Ergebnis kommt der letztjährige Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme der Bertelsmann Stiftung.

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KULTUR & POLITIK


DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM BERLIN: DIE GEBRÜDER VON HUMBOLDT

Keine Heldengeschichten, aber Umbrüche initiierende Brüder im Kontext ihrer Zeit zwd Berlin (no). Ihr Altersunterschied beträgt nur zwei Jahre, ihre Lebenswege liegen Welten auseinander und dennoch ganz nah beieinander. Die Brüder Wilhelm (22.06.1767– 08.04.1835) und ­Alexander (14.09.1769 – 06.05.1859) von Humboldt machen sich zu ihrer Zeit einen Namen, der eine als Bildungsreformer und Diplomat, der andere als Naturforscher und Abenteurer. Vor etwa 20 Jahren wurden sie wiederentdeckt und erstmalig in Deutschland wird ihnen eine gemeinsame Ausstellung gewidmet. Das Deutsche Historische Museum Berlin präsentiert die beiden Humboldt-Brüder im Kontext ihrer Zeit, der auslaufenden Auf-klärung einerseits und den revolutionären Zeiten des frühen 19. Jahrhunderts andererseits.

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DIE LETZTE SEITE


REICHSPRÄSIDENT PAUL VON HINDENBURG

Ehre, wem Ehre wirklich gebührt zwd Berlin (ig). Das Berliner Abgeordnetenhaus hat am 30. Januar 2020, 87 Jahre nach der ­Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken beschlossen, den ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Beneckendorff und von Hindenburg aus der Liste der Ehrenbürger von Berlin zu streichen. Der längst überfällige Schritt hat im rechtsnationalen Lager wütende Reaktionen ausgelöst. Auch die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus wandte sich gegen eine „ahistorische Betrachtungsweise“. Dabei war der Reichspräsident ein aktiver "Täter" bei der Zerstörung der ersten deutschen Republik.

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