GESETZENTWURF SONDERVERMÖGEN : 3,5 Milliarden für Ganztag sollen Bildungschancen verbessern

20. November 2020 // Ulrike Günther

Alle Kinder sollen gleiche Chancen beim Lernen haben, Frauen gleichberechtigt am Erwerbsleben teilnehmen können. Die vom Bund für den Ganztagsausbau bereitgestellten 3,5 Milliarden Euro helfen, diese Ziele besser zu verwirklichen. Der geplante Rechtsanspruch ist noch in Vorbereitung. Linke, Grüne und GEW fordern gesicherte Qualität der Angebote, mehr Fachkräfte und auskömmliche Finanzierung.

Ganztagsbetreuung schafft Lernchancen für Grundschüler*innen. - Bild:  Pixabay / Viktoria Gorodinova
Ganztagsbetreuung schafft Lernchancen für Grundschüler*innen. - Bild: Pixabay / Viktoria Gorodinova

zwd Berlin. Das Parlament hat am Donnerstag (19. November) mit den Stimmen von Union und SPD sowie der Grünen-Bundestagsfraktion den Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drs. 19/17294) zur Errichtung eines Sondervermögens für den Ganztagsausbau angenommen, die übrigen Fraktionen enthielten sich. Laut Gesetzesvorlage will die Koalitionsregierung mit den dort festgeschriebenen Finanzhilfen des Bundes von 2 Milliarden Euro und weiteren 1,5 Milliarden Euro aus dem Konjunkturprogramm Länder und Kommunen beim Schaffen von Ganztagsangeboten bis zur geplanten Einführung des Rechtsanspruches im Jahr 2025 unterstützen. Ziel ist es demnach, durch ganztägige Betreuung die Teilhabechancen von Kindern zu fördern und es Eltern zu ermöglichen, Beruf und Familie besser zu vereinbaren.

SPD: Mehr Bildungschancen und Gleichstellung durch Ganztag

Für das Mitglied im Bildungsausschuss Marja-Liisa Völlers (SPD) hat die Pandemie das Ausmaß der vorhandenen, meist sozio-ökonomisch verursachten Bildungsungleichheiten vor Augen geführt und drastisch verschärft. Die Krise habe „in aller Deutlichkeit (gezeigt), wie wichtig es ist, dass Kinder eine gute Lernumgebung haben“, erklärte Völlers in der Debatte. Die Ganztagsbetreuung und deren finanzielle Unterstützung durch den Bund seien ein Schritt, um die Situation der Schüler*innen zu verbessern. „Guter Ganztag schafft Chancen“, hob die SPD-Politikerin hervor. Neben besseren Bildungschancen für Kinder sieht sie Gleichstellung von Frauen und mehr Fachkräfte für die Wirtschaft als günstige Folgen ganztägiger Betreuungsangebote an.

Ähnlich äußerte sich Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) anlässlich der Debatte. „Wir stärken die Familien (…) und wir geben der Gleichstellung von Frauen und Männern neuen Schub“, unterstrich die Ministerin. Giffey drängte auf eine Einigung von Bund und Ländern auf der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang Dezember: „Damit ein Rechtsanspruch noch in dieser Legislatur rechtlich geregelt werden kann, muss es noch in diesem Jahr eine Entscheidung geben.“

Maik Beermann aus dem Familienausschuss (CDU) bezeichnete vor dem Parlament die Gewährleistung von Ganztagsbetreuung als “gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ und verteidigte somit die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung. Der bundesweite Bedarf an Betreuungsplätzen sei noch nicht gedeckt. Zwar seien Umfragen zufolge 71 Prozent der Familien an Ganztagsangeboten interessiert, bisher könnten jedoch nur 48 Prozent tatsächlich vorhandene Plätze in Anspruch nehmen.

Linke fordert inhaltliche Ausgestaltung des Rechtsanspruchs

Die Linksfraktion trägt grundsätzlich das Bestreben der Koalitionsregierung nach einem Rechtsanspruch auf Ganztag mit. Ihr kinderpolitischer Sprecher Norbert Müller kritisierte aber ähnlich wie die FDP-Fraktion und die Grünen, dass dieser bislang noch nicht in einem Entwurf ausgearbeitet sei. „Wie soll der Rechtsanspruch konkret gesetzlich verankert werden?“, fragte Müller vor dem Bundestag. Er warf auch das Problem der Fachkräfte auf, die in hinreichender Menge zur Verfügung stehen müssten, und setzte sich dafür ein, die Qualität der Ganztagsangebote gesetzlich zu verankern.

Der Linken-Politiker monierte, dass auch die über das Konjunkturprogramm aufgestockten Finanzhilfen des Bundes erst die Hälfte der vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) auf ca. 7,5 Milliarden Euro geschätzten Investitionskosten abdecken würden. Gleichzeitig mahnte der Linken-Abgeordnete an, die angekündigte Übernahme der Betriebskosten genauer zu bestimmen. Ohne eine auskömmliche Beteiligung des Bundes an deren Finanzierung liefen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in den Gemeinden Gefahr, zugunsten des Sicherstellens des gesetzlichen Anspruchs auf Ganztag erforderlichen Sparmaßnahmen zum Opfer zu fallen. Daher zog der Linken-Sprecher in Zweifel, dass der Rechtsanspruch wie vorgesehen bis 2025 realisiert werden könne.

Grüne und GEW mahnen Qualitätsstandards für Ganztagsangebote an

Auch die Grünen-Fraktion und die Erziehungsgewerkschaft GEW mahnten Qualitätsstandards und genug verfügbares Personal für die Ganztagsangebote an. Die, Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz warf der Regierung vor, über diese Fragen schon nicht mehr zu reden. Deligöz beanstandete die in die Beschlussfassung (Drs. 19/24478) des Gesetzes aufgenommene Regelung, wonach bis Dezember 2021 von einem Land nicht abgerufene Mittel aus dem Sondervermögen zu einer Reduktion der verfügbaren Gelder aus dem Konjunkturprogramm führen und nicht aufgebrauchte Beträge wieder an den Bund zurückfließen. Insgesamt werde die Regierung dem von ihr formulierten Anspruch nicht gerecht, so Deligöz, bessere Vorschläge zum Ganztag (Drs.19/22117) habe ihre Fraktion ins Parlament eingebracht.

Das Vorstandsmitglied der GEW Björn Köhler nannte gut geschulte Fachkräfte, vereinheitlichte Konzepte sowie Zeit für Zusammenarbeit zwischen Angestellten als Kriterien für gute Ganztagsangebote. „Bund und Länder dürfen den Ganztag nicht zu einem föderalen Flickenteppich werden lassen“, warnte Köhler in einer Stellungnahme zur Parlamentsdebatte. Nach Aussagen ihres Vorstandsmitglieds befürchtet die GEW, dass die Länder und Gemeinden teilweise versuchen könnten, den rechtlichen Anspruch ab dem Jahr 2025 „möglichst kostengünstig", mit zu wenig Personal umzusetzen. Zudem verlangte Köhler, richtige Ganztagsschulen ebenso zu fördern wie die ergänzenden Ganztagsangebote, damit Familien entscheiden könnten, „welche Angebote zu ihrer Lebenssituation passen“.

Die Einschätzung der Linksfraktion hinsichtlich des Umfangs der nötigen Finanzmittel teilt auch der Bundesrat. Schon in einer Stellungnahme vom Februar (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) hatte der Länderrat seine Ansicht deutlich gemacht, dass es sich bei den Mitteln aus dem Sondervermögen lediglich „um einen ersten Schritt der Finanzierung durch den Bund“ handeln sollte und dass vor der Einrichtung des Rechtsanspruches eine einvernehmliche Regelung zwischen Bund und Ländern zu den Betriebskosten zu treffen sei. Die Bundesregierung hatte demgegenüber in einer Gegenäußerung (Drs. 19/18735) vom April unterstrichen, dass die vom Bund bereitgestellten Mittel nur der Mitfinanzierung dienten und „einen Eigenanteil der Länder“ voraussetzten.

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