BKA-STATISTIK : Frauenrat und FDP fordern mehr Schutz vor Partnerschaftsgewalt

11. November 2020 // Ulrike Günther

Die Zahl der Fälle von Partnerschaftsgewalt ist leicht gestiegen. Das geht aus der Polizeilichen Kriminalstatistik hervor. Rund 141.800 Personen wurden 2019 Opfer von Gewalt durch (Ex-) Partner*innen, ca. 0,7 Prozent mehr als im Jahr davor. Über 81 Prozent der Gewaltopfer waren Frauen. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) befürchtet eine Zunahme der Partnergewalt in der Krise, Der Frauenrat und die Liberalen fordern einen deutlichen Ausbau der Hilfsangebote.

Bei in Partnerbeziehungen verübten Gewalttaten ist die Dunkelziffer hoch.  Bild: Needpix
Bei in Partnerbeziehungen verübten Gewalttaten ist die Dunkelziffer hoch. Bild: Needpix

zwd Berlin. Familienministerin Giffey nannte es anlässlich der Vorstellung der aktuellen statistischen Auswertung des Bundeskriminalamtes (BKA) eine „traurige Realität“, dass für zahlreiche Frauen, teilweise auch Männer „die eigene Wohnung (…) zu einem gefährlichen Ort wird“. Die veröffentlichten Zahlen seien „schockierend“, denn fast alle drei Tage werde eine Frau von der/dem (Ex-) Partner*in umgebracht. Insgesamt fielen laut dem BKA-Bericht 149 Personen innerhalb einer Paarbeziehung ausgeübten Gewalthandlungen zum Opfer, 117 davon waren weiblich. Mehr als die Hälfte aller Opfer (50,5 Prozent) lebten zum Zeitpunkt der Tat im selben Haushalt mit dem/der Tatverdächtigen. Fast 115.000 Frauen waren 2019 Partnerschaftsgewalt ausgesetzt, knapp 12.000 von ihnen von versuchter oder vollendeter schwerer Körperverletzung durch den/die (derzeitigen oder ehemaligen) Partner*in betroffen.

Zunahme bei der Partnergewalt in der Krise befürchtet

Ministerin Giffey warnte davor, dass häusliche Gewalt nach Angaben von Frauenhäusern und -beratungsstellen sowie Hilfetelefonen während der Corona-Krise tendenziell zunehme, wobei die Dunkelziffer gegenüber den Daten des BKA deutlich höher liege. Auch der Präsident des BKA Holger Münch wies bei den Zahlen zur Gewalt in Paarbeziehungen auf das „erhebliche( ) Dunkelfeld“ hin. Die Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrates (DF) Dr. Anja Nordmann wertete die Zahlen angesichts der Corona-Krise als „alarmierend“. Wenn Paare durch die Regelungen zum Gesundheitsschutz mehr Zeit zusammen verbringen müssen, erhöhe sich die Gefahr, dass angespannte Situationen entstehen oder Aggressionen auftreten.

Der DF befürchte auch im derzeit abgemilderten Lockdown „eine Verschärfung der Situation für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind“, sagte Nordmann. Ähnlich äußerte sich die Vize-Vorsitzende der FDP-Fraktion Katja Suding. Die überwiegend weiblichen Opfer bräuchten „dringend unsere Hilfe“. Zu den von der Statistik erfassten Gewalttaten gehören u.a. Stalking (beharrliche Belästigung, Verfolgung) und Bedrohung, Körperverletzung, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung, Mord und Totschlag. Die Anzahl der weiblichen Opfer von Gewalt in Paarbeziehungen stieg im Verhältnis zum Vorjahr um 0,4 Prozent, die der männlichen um 2 Prozent.

Opfer sprechen häufig nicht über erfahrene Gewalt

Sowohl der BKA-Chef Münch als auch Ministerin Giffey machten auf das grundsätzliche Problem aufmerksam, dass Opfer von Partnergewalt häufig von anderen als solche nicht erkannt werden oder sich – aus Scham oder Angst vor den möglichen Folgen - nicht getrauen, über die erlittene Gewalt zu sprechen. Nach Aussagen von Giffey melden sich zwei Drittel der Frauen auch, nachdem sie schwerste Gewalt erfahren haben, nicht bei der Polizei oder nehmen anderweitige Hilfsangebote in Anspruch. Es müsse jetzt „Schluss sein“ mit dem Tabu, erklärte die Ministerin und betonte, dass es wichtig sei, Gewaltopfern zu helfen und sie zu unterstützen.

DF fordert flächendeckenden Gewaltschutz in der Krise

Die DF-Geschäftsführerin Nordmann setzte sich in ihrer Stellungnahme zur BKA-Statistik für einen „bundesweiten, flächendeckenden Zugang zu Schutz für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder“ ein. Schutz für weibliche Gewaltopfer müsse ernst genommen und in die Pläne zum Bewältigen der Pandemie einbezogen werden. Insgesamt fordert der DF, den Opferschutz zu stärken und Personen in Rechtsprechung, Behörden und Einrichtungen zu qualifizieren, .um einen angemessenen Umgang mit den Betroffenen zu gewährleisten.

Nordmann kritisierte, dass in der Bundesrepublik, obwohl die Istanbul-Konvention schon vor drei Jahren in Kraft getreten sei, für den Schutz von Mädchen und Frauen immer noch „ein politisches Konzept, handlungsfähige Institutionen und die notwendigen Ressourcen“ fehlten. Die DF-Geschäftsführerin sieht dabei auch die Ministerien für Bildung, Justiz und Inneres in der Pflicht. Um umfassenden Gewaltschutz sicherzustellen, müsse die Regierung dem Abkommen eine Vorrangstellung einräumen.

Liberale schlagen Online-Liste für Frauenhausplätze vor

Die Liberalen halten den von Familienministerin Giffey angestrebten Rechtsanspruch auf Gewaltschutz nicht für erforderlich. Stattdessen solle es nach Ansicht der Vize-Fraktionsvorsitzenden Suding „krisenfeste Hilfsangebote vor Ort“ geben. Sie verlangte einen unbürokratischen Ausbau von Hilfsangeboten, ein bundesweites Online-Register, das verfügbare Plätze in Schutzunterkünften auflistet, sowie Routineabfragen bei Frauenärzt*innen, um Gewaltopfer sicherer in das Hilfesystem zu überführen. Bund, Länder und Gemeinden sollten sich gleichermaßen an der Finanzierung beteiligen.

Ministerin Giffey zählte als bereits laufende Maßnahmen der Bundesregierung gegen Partnergewalt das bundesweit erreichbare Hilfetelefon, die 2019 gestartete Initiative Stärker als Gewalt, den 2018 gegründeten Runden Tisch gegen Gewalt an Frauen und das Bundesinvestitionsprogramm für Erweiterung, Um- und Neubau von Schutzhäusern und Frauenberatungsstellen auf. BKA-Präsident Münch rief darüber hinaus jedeN EinzelneN dazu auf, auf Anzeichen von Partnerschaftsgewalt achtzugeben und gegebenenfalls aktiv zu werden.

Die meisten Opfer von tödlicher oder sexueller Partnergewalt sind Frauen

Von sämtlichen Frauen, die 2019 Opfer von Gewaltdelikten waren, wurde der BKA-Statistik zufolge über ein Drittel (34,5 Prozent) von (Ex-) Partner bzw. (Ex-) Partnerin gewaltförmig angegriffen. bei den Männern waren es 5,5 Prozent. Fast alle von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung betroffenen Personen (98 Prozent) waren weiblich. Von denjenigen, die innerhalb der Partnerschaft Zuhälterei oder Zwangsprostitution erfahren mussten, waren 99 Prozent Frauen. Ebenso waren in der überwiegenden Mehrheit Frauen (89 Prozent) Stalking oder Bedrohung innerhalb der Partnerschaft ausgesetzt oder wurden von Partner/Partnerin der Freiheit beraubt (82, 2 Prozent).

Die höchsten Anteile männlicher Opfer finden sich mit jeweils rund einem Fünftel bei einfacher, vorsätzlicher Körperverletzung (20,3 Prozent) und bei Mord und Totschlag (23,6 Prozent). Fast zwei Drittel der Tatverdächtigen (62 Prozent) stammten aus Ehen oder nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften, nahezu zwei Fünftel (38,2 Prozent) waren ehemalige Partner*innen. In knapp der Hälfte der Fälle von Mord oder Totschlag (49,2 Prozent) waren Ehepartner*innen die Tatverdächtigen. Ehemalige Partner*innen verübten mehrheitlich Stalking, Bedrohung und Nötigung (65,6 Prozent) sowie vollendete Vergewaltigung, sexuelle Nötigung oder Übergriffe (44 Prozent). Ca. 79 Prozent der Tatverdächtigen waren Männer, ein Fünftel (20,4 Prozent) weiblich. Rund 66 Prozent der Tatverdächtigen hatten die deutsche Staatsangehörigkeit, bei den Opfern waren es etwa 71 Prozent.

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