KOALITIONSVERHANDLUNGEN : Aufbruch in die "Bildungsrepublik"

5. Februar 2018 // Holger H. Lührig

Die SPD hat einen bildungspolitischen Aufbruch für Deutschland versprochen. Das Bildungskapitel, das die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig und der Ex-Generalsekretär der SPD, Hubertus Heil, mit den zuständigen Unionspolitiker*innen ausgehandelt haben, weist den Weg in die seit 2008 von Bundeskanzlerin Angela Merkel versprochene, aber bisher nicht eingelöste "Bildungsrepublik". Eine Einschätzung von zwd-Herausgeber Holger H. Lührig

Bild: Youtube
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zwd Berlin. Der frühere rheinland-pfälzische Kultusminister und Berliner Senator Prof. Michael Zöllner hat nach Bekanntwerden der Ergebnisse der Koalitionsgespräche zum Bereich Bildung und Forschung die Auffassung vertreten, allein schon deshalb lohne sich der Eintritt in eine große Koalition mit CDU und CSU. In der Tat klingt – auch wenn der Teufel bekanntlich im Detail steckt – beachtlich, was die Verhandlungsführer*innen der SPD zugunsten von besserer Bildung und mehr Gerechtigkeit durchgesetzt hat. Der von der SPD-Parteizentrale am 2. Februar

verbreitete Namensbeitrag von Manuela Schwesig spricht Bände. Sie, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und ehemalige Bundesfrauen- und -jugendministerin, hat mit dem ehemaligen SPD-Generalsekretär und Stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Hubertus Heil ein Reformpaket formuliert, das zehn Jahre nach dem von Kanzlerin Merkel schon 2008 versprochenen Aufbruch zu einer „Bildungsrepublik“ Deutschland endlich ein konsequentes Maßnahmenbündel verheißen lässt. Wir lesen von einem Paket „für die komplette Bildungskette von der Kita über die Ganztagsschule und die berufliche Bildung bis hin zur Hochschule und Weiterbildung“:

  • Gebührenfreie Bildung von der Kita über die Ausbildung und das Erststudium bis zum Master und zur Meisterbildung
  • Stärkere Förderung des lebenslangen Lernens und der Qualifizierung im Berufsleben
  • Verankerung einer Mindestausbildungsvergütung im Berufsbildungsgesetz (ab 1. August 2019)
  • Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder (bis 2025)
  • Abschaffung des Kooperationsverbotes, damit der Bund den Ländern und Kommunen das erforderliche Geld für die Sanierung und den Neubau von Schulen sowie für die digitale Bildung zur Verfügung stellen kann („Digitalpakt Schule“).
  • Abbau finanzieller Hürden für den beruflichen Aufstieg durch ein Meister-BAföG
  • Ausbau des BAföGs (eine Milliarde zusätzlich)
  • Verstetigung der bisher befristeten Mittel des Hochschulpaktes

Holger H. Lührig, zwd-Herausgeber, kommentiert:

Als journalistischer Beobachter, der seit Jahrzehnten die bildungspolitische Entwicklung in Deutschland verfolgt und mit kritischen Kommentaren begleitet hat, komme ich nicht umhin, den beiden Verhandler*innen Schwesig und Heil meinen Respekt zu zollen. Wenn das gelingt, was laut dem neunseitigen Verhandlungspapier beabsichtigt ist, dann könnte die neue Groko an die erfolgreichen Zeiten anknüpfen, zu denen die SPD in den 70erund 90er Jahren bildungspolitische Reformen auf den Weg gebracht hat. Dabei ist auf Bundesebene zunächst einmal an die Vorgabe des Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) zu denken, der in seiner Regierungserklärung 1969 den Aufbruch zu „mehr Demokratie wagen“ mit der Feststellung verbunden hatte: „Bildung und Wissenschaft stehen an der Spitze der Reformen“. In der Aufbruchstimmung der ersten Ära einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung gelang es, dem Bund bei Vorhaben der Bildungs- und Hochschulpolitik mit Hilfe einer 1970 geschaffenen Bund/Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) eine wichtige Rolle zuzuweisen. Dass die Gesamtschulentwicklung auf den Weg gebracht wurde, ein Bundesausbildungsförderungsgesetz geschaffen wurde, sind nur zwei Leuchttürme der sozialliberalen Ära. Nicht zu verkennen war, dass mit den in der Opposition stehenden Unionsparteien damals vieles von dem, was die SPD bildungspolitisch wollte, noch nicht durchsetzbar war. Beispielsweise die bundesweite Errichtung von Ganztagsschulen. Bis 1985 sollten, wäre es nach den ersten Entwürfen der BLK gegangen, 60 Prozent aller Schüler*innen bereits in Ganztagsschulen gehen. Das Ziel scheiterte am familienideologisch begründeten Widerstand der Union, vor allem der CSU, aber auch an den Finanzministern. Am Ende sah der Bildungsgesamtplan nur noch 2 (in Worten: zwei) Prozent der Schüler*innen in Ganztagsschulen. In der rot-grünen Ara der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder nahm Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) einen neuen Anlauf: Sie brachte das Reformpaket für Bildung und Betreuung auf den Weg, das den Ausbau von Schulen zu Ganztagsschulen erlaubte. Wiederum war es die CSU unter dem bayerischen Regierungschef Edmund Stoiber, die eine bundesweite Reformentwicklung blockierte und schließlich, freilich mit dem Segen des damaligen SPD-Chefs Franz Müntefering, die Grundgesetzänderung durchsetzen konnte, mit der ein Kooperationsverbot für den Bund in der Bildung, speziell für Maßnahmen im Schulwesen festgeschrieben wurde.

Dieses unselige Verbot soll nun fallen. Das wäre dann auch ein Meisterstück, das neben Hubertus Heil vor allem einer Politikerin zugeschrieben werden kann, die sich bisher als entschlossene Kämpferin für Frauenrechte und Gleichstellung, als Bundesfrauen- und -familienministerin, einen Namen gemacht hatte: Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, hat im Tandem mit Hubertus Heil offenbar durchsetzen können, wovon die Bildungspolitiker*innen in der SPD schon seit Jahren träumen: Das Ende des Kooperationsverbots. Auch die anderen Ergebnisse sind achtbar und machen es der SPD-Parteijugend, den Jusos, auch auf diesem Felde schwer, der ungeliebten Groko eine Absage zu erteilen.

Ich hatte schon vor einigen Jahren prognostiziert, dass Manuela Schwesig gute Chancen habe, in absehbarer Zeit Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zu werden und damit eine weitere Ära sozialdemokratischer Kanzlerschaft zu begründen. Dem ist nichts hinzuzufügen – außer eine Jahreszahl.

Bild Hubertus Heil: Youtube

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