Denn nachdem 2008 die große Koalition die Förderbeträge spürbar um 10 Prozent erhöht hatte, stagnierten sie in der folgenden Legislaturperiode. Nur ein kleines Bonbon von gerade einmal 22 Euro Erhöhung des Höchstbetrages auf 670 Euro gestand Schwarz-Gelb im Jahre 2010 den Studierenden zu. Und dann sechs Jahre Stillstand!
Vorgesehen ist, dass die Bedarfssätze und Freibeträge alle zwei Jahre überprüft und in der Regel neu festgelegt werden. Doch der Reformstau unter der schwarz-gelben Regierung führte dazu, dass dieser Turnus zweimal ausgefallen ist. Die Kosten für Lebensmittel, Wohnen und Studienmaterial stiegen trotzdem. Eine Sanierung des Bundes- und der Länderhaushalte auf dem Rücken der BAföG-EmpfängerInnen?
Das CDU-geführte Bundesbildungsministerium verkündete nun, dass mit der Änderung des BAföG ab 2017 im Bundeshaushalt 500 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stehen. Verschwiegen wurde jedoch, dass die gesamten Ausgaben für die BAföG-Leistungen laut Statistischem Bundesamt um rund 170 Millionen (5,4 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen sind. Also nur 330 Millionen Euro Aufstockung im Einzelplan 30 des Bundeshaushaltes!
Ohne Frage haben die Studierenden zukünftig höhere BAföG-Ansprüche und ein Plus in ihrem Budget. Dennoch bezweifeln Kritiker, dass diese längst fällige Aufstockung der Bedarfssätze um sieben Prozent und des Wohngeldzuschlags sogar um ca. elf Prozent ausreicht, um die Nullrunden aufzufangen. Sie dürften Recht haben. Das belegt das Bonner Beratungsunternehmen empirica anhand von Mieten in Universitätsstädten. In Karlsruhe beträgt der günstigste Preis für ein WG-Zimmer 315 Euro, in Hamburg 365 Euro und in München 450 Euro. Offensichtlich sind selbst die günstigsten Mieten vom Wohngeldzuschlag, ab Oktober 250 Euro, nicht zu finanzieren! Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass die KritikerInnen der BAföG-Reform eine automatische Anpassung an die Preis- und Lohnentwicklung fordern. Weitere Nullrunden würden dadurch verhindert!
Dennoch spricht Bundesbildungsministerin Prof.‘in Johanna Wanka (CDU) von einem großen Schritt zur „Stärkung der Bildungsgerechtigkeit“. Dabei lässt sie jedoch unberücksichtigt, dass viele Studierende aus einkommensschwächeren Familien gar nicht oder nur teilweise in den Genuss der Ausbildungsförderung kommen. In seiner Pressemitteilung wartet Kai Gehring, Sprecher der Grünen für Hochschule, Wissenschaft und Forschung, mit Zahlen auf: „2015 haben rund zehn Prozent Menschen mehr studiert als 2012. Die absolute Zahl der Geförderten ist im gleichen Zeitraum jedoch um zehn Prozent gefallen.“ Nicht einmal ein Viertel der fast 2,8 Millionen StudentInnen haben BAföG erhalten. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, sank gegenüber dem Vorjahr die Zahl der Vollgeförderten um 6,8 Prozent und die Zahl der Teilgeförderten um 5,1 Prozent. Weniger als die Hälfte der BAföG-EmpfängerInnen (rund 400.000) erhielten eine Vollförderung.
Das soll sich durch die BAföG-Reform ab dem 1. August 2016 ändern. Der Freibetrag für Eltern wird um 7 Prozent erhöht und steigt von 1.605 Euro auf 1.715 Euro. Nach Darstellung der Bundesregierung soll dadurch die Zahl der BAföG-Berechtigten um etwa 110.000 steigen. Es gibt Zweifelnde: Sie gehen davon aus, dass die Quote der BAföG-BezieherInnen durch die Erhöhung des Freibetrages um 1.000 Euro nicht gravierend nach oben gehen werde. Ihre Sorge ist berechtigt, wenn die Freibeträge nicht adäquat zur Steigerung der Löhne angehoben worden sind. Vor dem Hintergrund der Nullrunden ist dies wiederum vorstellbar und wird durch die Angaben der Bundeszentrale für Politische Bildung (2013) bestätigt: Zwischen 2007 und 20012 sind die nominalen Bruttomonatsverdienste für herausgehobene Fachkräfte um 12,8 Prozent, für angelernte Arbeitnehmer um 10 und für Ungelernte um 9,8 Prozent gestiegen. Diese Daten lagen 2014 vor, als die BAföG-Reform auf den Weg gebracht und der Freibetrag um 7 Prozent erhöhte wurde. Damit ist fraglich, ob – auch vor dem Hintergrund eines weiteren Lohnzuwachses bis 2016 – das angestrebte Ziel, den Kreis der Geförderten um 110.000 zu vergrößern, erreicht wird. Wahrscheinlicher ist, dass auch in Zukunft potenzielle StudentInnen aus dem Raster der BAföG-EmpfängerInnen herausfallen und ihnen die zugesagten „spürbaren Verbesserungen“ versagt bleiben.
Heute verdient laut „Steuern, Gehalt & Beruf“ ein/e Berufskraftfahrer/in monatlich 2.329,48 Euro brutto. Ist im gesetzten Fall die Ehefrau (und Mutter seines Kindes) nicht berufstätig, dürfte auch ein Einzelkind in den BAföG-Genuss kommen. Arbeitet sie jedoch als Verkäuferin in einem tarifgebundenen Betrieb, erhöht sich das elterliche Einkommen um (durchschnittlich) 2.050 Euro auf ein Gesamteinkommen von ca. 4.379,48 Euro brutto. Ist die Folgerung daraus richtig, dass auch nach der Neuregelung Kinder von Geringverdienenden keinen oder nur einen eingeschränkten Anspruch auf BAföG haben? Dann bliebe die „Bildungsgerechtigkeit“ auf der Strecke!
Meine daraus resultierende Frage für die Debatte in unserem POLITIKMAGAZIN lautet:
Ist ein zu niedriger Freibetrag für das Elterneinkommen eine Blockade für die Bildungsgerechtigkeit?