DR: ERNST DIETER ROSSMANN : Berufliche Bildung im Einwanderungsland Deutschland

6. Januar 2024 // Dr. Ernst Dieter Rossmann

Ein Schwerpunktthema des in diesem Jahr erscheinenden Nationalen Bildungsberichts (NBB 2024) soll die Berufliche Bildung sein. Dr. Ernst Dieter Rossmann, lange Jahre bildungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, in der letzten Legislaturperiode des Bundestages Vorsitzender der Ausschusses für Bildung und Forschung, hat sich in seiner Kolumne im zwd-POLITIKMAGAZIN (Ausgabe 399) mit den Zukunftsaufgaben für die künftige berufliche Bildung beschäftigt.

Der Nationale Bildungsbericht (NBB) 2024 sollte neue Konzepte und konkrete Initiativen anstoßen

Das ist schon mal eine gute Nachricht. Der nächste Nationale Bildungsbericht (NBB) 2024 soll zum besonderen Thema die berufliche Bildung haben. Das gibt Hoffnung, dass dieses zentrale Feld der Bildung intensiver in seinen Potentialen und Problemen ausgeleuchtet wird, als es bisher im Zwei-Jahres-Abstand auf jeweils rund zwanzig knappen Seiten geschehen konnte.

Dabei liegen die Zukunftsfragen schon länger alle auf dem Tisch:

? Was sind die Fachkräftebedarfe – quantitativ wie qualitativ – im demographischen, technologischen, ökonomischen und ökologischen Wandel?

? Wie entwickeln sich die Relationen zwischen den akademischen und den nicht-akademischen beruflichen Qualifikationen unter den Gesichtspunkten von Gleichwertigkeit, Konvergenz und Integration?

? Was bedeuten der tendenzielle Wechsel im Dualen System von einem Nachfrage zu einem Angebots- markt und was der Zuwachs an vollzeitschulischer Berufsausbildung gegenüber dem klassischen Dualen System?

? Wie sind die europäischen Perspektiven?

? Und schließlich: Welchen Beitrag kann und muss die berufliche Bildung in der Einwanderungsgesellschaft der Zukunft leisten in der nachhaltigen beruflichen, gesellschaftlichen und sicherlich auch kulturellen Integration der differenzierten Gruppen von Migration?

Für eine Enquetekommission „Ausbildung und Weiterbildung im Einwanderungsland Deutschland“

Von dem Nationalen Bildungsbericht wird es hierzu Hinweise und Projektionen aus der Sicht der Wissenschaft geben können. Für die politische Seite und deren Konzeptentwicklung wird es notwendig sein, rechtzeitig das bewährte Instrument einer Enquete-Kommission beim Deutschen Bundestag vorzubereiten, die sich insbesondere der Frage der „Ausbildung und Weiterbildung im Einwanderungsland Deutschland“ widmen sollte. Das darf aber nicht davon abhalten, schon vorher ebenso sensibel wie entschieden erkennbare Probleme anzugehen und hier bildungspolitische und sozialstaatliche Akzente zu setzen.

Dafür zwei Beispiele:

1. Als in der Wohnung des Verfassers kürzlich die Muffen an einem Heizungsrohr leck waren, reparierten den Schaden ein Geselle aus der Innung Sanitär, Heizung und Klima, vom Herkommen Ukrainer und seit acht Jahren in Deutschland, und ein Auszubildender, Afghane und mit dem Deutschzertifikat B 1 gerade in sein erstes Ausbildungsjahr eingestiegen. Von Berufssprachkursen, Ausbildungsbegleitung und Ausbildungscoaching hatten aber weder der Eine noch der Andere etwas gehört. Hier sind dringend nicht nur die Angebote selbst auszubauen, sondern ist auch mit zielgruppennahen, analogen und vor allen Dingen digitalen Aufklärungskampagnen bei den jungen Menschen direkt anzusetzen.

Notwendig ist auch die fundierte Information über solche Fördersysteme und Netzwerkstrukturen an der dualen Basis: bei den Schulleitungen wie den Lehrkräften in den Berufsschulen und bei den Personalchefs, den Meistern und vor allen Dingen auch bei den Ausbilderinnen und Ausbildern in der betrieblichen Praxis. Wer, wenn nicht diese gestandenen Frauen und Männer haben die Chance, fachlich und menschlich Vorbild und Vertrauensperson zu sein. Dafür braucht es Qualifizierung, Zeit, finanzielle Anerkennung und tarifliche Absicherung und eine „Ausbilder/innen-Offensive“ – und zwar schnell und mit möglichst viel Wirkung.

2. Die Einführung der Mindestausbildungsvergütung war eine bedeutende Weichenstellung der Großen Koalition. Dass es daneben auch ein System von einkommensabhängigen Berufsausbildungsbeihilfen BAB gibt, um in einer beruflichen Ausbildung seinen Lebensunterhalt und Wohnbedarf zu bestreiten zu können, ist der breiten Öffentlichkeit dagegen weithin unbekannt. Auch werden Reformen des BAB politisch nicht mit der gleichen Priorität diskutiert, wie es für das BAföG der Fall ist. Immerhin hat es bei der jüngsten Gesetzgebung zur Ausbildungsgarantie kleine Verbesserungen bei den Wegekosten für Auszubildende gegeben. Aber dem Grundproblem, nämlich der anwachsenden Wohnungsknappheit für ­Auszubildende, helfen diese noch nicht ab. Mit einem Sonderproramm Junges Wohnen in Höhe von 500 Millionen Euro stellt die Bundesregierung den Ländern jetzt Gelder zur Schaffung von Wohnheimplätzen zur Verfügung. In den Medien ist verstärkt von Extra-Mietzuschüssen für die Auszubildenden und von Wohnheimplänen durch große Unternehmen wie z.B. der Sparkasse oder der Lufthansa Technik in Hamburg zu lesen. Nur was ist mit den nicht so finanzstarken Betrieben und deren Auszubildenden? Wie bleiben Handwerk und Mittelstand attraktiv auf dem Nachfragemarkt Ausbildung? Muss hier die Ausbildungsumlage ganz anders gedacht werden – als neu zu schaffende Wohnplatzumlage? Kann hier ein gemeinnütziges „Deutsches Wohnwerk für Auszubildende“ mit „Azubi-Campi“ vergleichbar dem „Deutsche Studierendenwerk“ und seinem Angebot an Wohnheimplätzen helfen?

Gleichwertigkeit muss nicht zuletzt für die persönliche wie für die soziale Dimension von Ausbildung und Studium gelten. Der Nationale Bildungsbericht 2024 sollte auch hier mit seinem Schwerpunktthema den Finger in die Wunde legen und neue Perspektiven aufzeigen.

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