KOALITIONSVERTRAG ZWISCHEN SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UND FDP : Chancen für Kinder, starke Familien und beste Bildung ein Leben lang

29. November 2021 // ticker

Kernaussagen zum Komplex Familie, Senioren, Jugend und Kinder im Ampel-Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Hier im Wortlaut.

Kinder, Jugend, Familien und Senioren

Kinder und Jugendliche sollen mit gleichen Lebenschancen aufwachsen, unabhängig von ihrer Herkunft. Sie haben eigene Rechte. Ihre Anliegen und Interessen sind uns wichtig, wir werden junge Menschen an Entscheidungen, die sie betreffen, beteiligen. Familie ist vielfältig und überall dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen. Sie brauchen Zeit und Anerkennung. Förderleistungen wollen wir entbürokratisieren, vereinfachen und digitalisieren. Wir wollen den Rechtsrahmen für Familien modernisieren. Das Wohl des Kindes ist dabei für uns zentral. Wir wollen selbstbestimmtes Leben für ältere Menschen unterstützen und den Zusammenhalt zwischen den Generationen fördern.

Kinder und Jugend
Wir wollen die Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz verankern und orientieren uns dabei maßgeblich an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention. Dafür werden wir einen Gesetzesentwurf vorlegen und zugleich das Monitoring zur Umsetzung der UN-
Kinderrechtskonvention ausbauen.

Mit einem Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung werden wir die Jugendstrategie der Bundesregierung weiterentwickeln, Qualitätsstandards für wirksame Beteiligung besser bekannt machen, selbstbestimmte Kinder- und Jugendparlamente und Beteiligungsnetzwerke stärken. Mit einer Kampagne informieren wir Kinder über ihr Rechte und Beschwerdemöglichkeiten. Wir werden den Kinder- und Jugendplan bedarfsgerecht ausstatten. Im Anschluss an das Corona-Aufholpaket werden wir die Situation für Kinder und Jugendliche mit einem Zukunftspaket für Bewegung, Kultur und Gesundheit schnell und wirksam verbessern. Wir wollen das Investitionsprogramm für Familien-
und Jugendbildungsstätten fortführen.

Wir werden die europäische und internationale Jugendarbeit, insbesondere für Auszubildende, stärken. Die Arbeit, auch der im Aufbau befindlichen Jugendwerke, setzen wir fort. Die Plätze in den Freiwilligendiensten werden wir nachfragegerecht ausbauen, das Taschengeld erhöhen und Teilzeitmöglichkeiten verbessern. Wir werden den Internationalen Freiwilligendienst stärken und das „FSJ digital“ weiter aufbauen.

In einem Beteiligungsprozess mit Ländern, Kommunen und Verbänden sollen notwendige Anpassungen zur Umsetzung der inklusiven Jugendhilfe im SGB VIII erarbeitet und in dieser Legislatur gesetzlich geregelt und fortlaufend evaluiert werden. Wir werden dafür Modellprogramme auf den Weg bringen und die Verfahrenslotsen schneller und unbefristet einsetzen.

Heim- und Pflegekinder sollen eigene Einkünfte komplett behalten können. Das Angebot an Berufs- und Studienberatung in Jugendpflegeeinrichtungen wollen wir erweitern. Pflegeeltern von Kindern mit Behinderungen wollen wir besonders unterstützen. Wir werden Angebote der Jugendhilfe bei der Digitalisierung unterstützen. Wohnungslose junge Menschen werden wir u. a. mit Housing First
Konzepten fördern. Wir unterstützen die Kinder von psychisch, sucht- oder chronisch kranken Eltern.

Kinderschutz

Wir wollen Prävention und Kinderschutz stärken und für eine kindersensible Justiz sorgen. Mit Modellprojekten werden wir die Entwicklung von Schutzkonzepten unterstützen. Die Arbeit des „Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“ werden wir gesetzlich
regeln und eine regelmäßige Berichtspflicht an den Deutschen Bundestag einführen. Den Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt werden wir verstetigen und die unabhängige Aufarbeitungskommission in ihrer jetzigen Form weiterführen. Wir werden die länderübergreifende Zusammenarbeit in Kinderschutzfällen verbessern und streben einheitliche Standards für das fachliche Vorgehen, z. B. Meldeketten an. Die Mittel der „Stiftung Frühe Hilfen“ werden wir dynamisieren. Das Telefon- und Onlineberatungsangebot des Bundes werden wir finanziell absichern.

Fachkräfte
Gemeinsam mit den Ländern und allen relevanten Akteuren entwickeln wir eine Gesamtstrategie, um den Fachkräftebedarf für Erziehungsberufe zu sichern und streben einen bundeseinheitlichen Rahmen für die Ausbildung an. Sie soll vergütet und generell schulgeldfrei sein.

Mit hochwertigen Qualitätsstandards in der Kindertagesbetreuung, sorgen wir für attraktive Arbeitsbedingungen. Wir wollen die praxisintegrierte Ausbildung ausbauen, horizontale und vertikale Karrierewege sowie hochwertige Fortbildungsmaßnahmen fördern und Quereinstieg erleichtern. Umschulungen werden wir auch im dritten Ausbildungsjahr vollständig fördern.

Kindergrundsicherung
Wir wollen mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen und konzentrieren uns auf die, die am meisten Unterstützung brauchen. Wir wollen mehr Kinder aus derArmut holen und setzen dabei insbesondere auch auf Digitalisierung und Entbürokratisierung. Wir werden Kitas, Schulen und sonstige Angebote der Bildung und Teilhabe sowie Mobilität weiter stärken.

In einem Neustart der Familienförderung wollen wir bisherige finanzielle Unterstützungen – wie Kindergeld, Leistungen aus SGB II/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets, sowie den Kinderzuschlag – in einer einfachen, automatisiert berechnet und ausgezahlten Förderleistung bündeln. Diese Leistung soll ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen und ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern.

Die Kindergrundsicherung soll aus zwei Komponenten bestehen: Einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der für alle Kinder und Jugendlichen gleich hoch ist, und einem vom Elterneinkommen abhängigen, gestaffelten Zusatzbetrag. Volljährige Anspruchsberechtigte erhalten die Leistung direkt.

Mit dem Garantiebetrag legen wir in dieser Legislaturperiode die Grundlage für unser perspektivisches Ziel, künftig allein durch den Garantiebetrag den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach Freistellung des kindlichen Existenzminimums bei der Besteuerung des Elterneinkommens zu entsprechen.

Bei der Leistungsbündelung prüfen wir Wechselwirkungen mit anderen Leistungen und stellen sicher, dass sich die Erwerbsarbeit für Eltern lohnt. Unter Federführung des Bundesministeriums für Frauen, Senioren, Familie und Jugend soll dazu eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe eingesetzt werden. Mit einem neuen digitalen Kinderchancenportal, in dem Leistungen für Bildung und Teilhabe zu finden sind, wollen wir Kindern einen einfachen Zugang ermöglichen. Gemeinsam mit den Ländern wollen wir dafür den Einkommensbegriff bis Mitte 2023 in allen Gesetzen harmonisieren. Bis zur tatsächlichen Einführung der Kindergrundsicherung werden wir von Armut betroffene Kinder, die Anspruch auf Leistungen gemäß SGB II, SGB XII oder Kinderzuschlag haben, mit einem Sofortzuschlag absichern. Alleinerziehende, die heute am stärksten von Armut betroffen sind, entlasten wir mit einer Steuergutschrift.

Zeit für Familie
Wir werden Familien dabei unterstützen, wenn sie Zeit für Erziehung und Pflege brauchen und dabei Erwerbs- und Sorgearbeit partnerschaftlich aufteilen wollen. Wir werden das Elterngeld vereinfachen, digitalisieren und die gemeinschaftliche elterliche Verantwortung stärken. Wir werden eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einführen. Diese Möglichkeit soll es auch für Alleinerziehende geben. Den Mutterschutz und die Freistellung für den Partner bzw. die Partnerin soll es bei Fehl- bzw. Totgeburt künftig nach der 20. Schwangerschaftswoche geben.

Die Partnermonate beim Basis-Elterngeld werden wir um einen Monat erweitern, entsprechend auch für Alleinerziehende. Wir werden einen Elterngeldanspruch für Pflegeeltern einführen und den Anspruch für Selbstständige modernisieren. Für die Eltern, deren Kinder vor der 37.
Schwangerschaftswoche geboren werden, erweitern wir den Anspruch auf Elterngeld. Wir werden den Basis- und Höchstbetrag beim Elterngeld dynamisieren.

Wir verlängern den elternzeitbedingten Kündigungsschutz um drei Monate nach Rückkehr in den Beruf, um den Wiedereinstieg abzusichern.

Wir werden die Kinderkrankentage pro Kind und Elternteil auf 15 Tage und für Alleinerziehende auf 30 Tage erhöhen.

Familienrecht
Wir werden das Familienrecht modernisieren. Hierzu werden wir das „kleine Sorgerecht“ für soziale Eltern ausweiten und zu einem eigenen Rechtsinstitut weiterentwickeln, das im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden kann. Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen Vereinbarungen zu rechtlicher Elternschaft, elterlicher Sorge, Umgangsrecht und Unterhalt schon vor der Empfängnis ermöglichen.

Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist. Die Ehe soll nicht ausschlaggebendes Kriterium bei der Adoption minderjähriger Kinder sein.

Auch außerhalb der Ehe soll die Elternschaftsanerkennung unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder von einem Scheidungsverfahren möglich sein. Wir werden ein statusunabhängiges Feststellungsverfahren einführen, in dem ein Kind seine Abstammung gerichtlich klären lassen kann ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen. Das Samenspenderregister wollen wir auch für bisherige Fälle, private Samenspenden und Embryonenspenden öffnen.

Wir werden die partnerschaftliche Betreuung der Kinder nach der Trennung fördern, indem wir die umgangs- und betreuungsbedingten Mehrbelastungen im Sozial- und Steuerrecht besser berücksichtigen. Wir wollen allen Familien eine am Kindeswohl orientierte partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder auch nach Trennung und Scheidung der Eltern ermöglichen und die dafür erforderlichen Bedingungen schaffen. Wir wollen im Unterhaltsrecht die Betreuungsanteile vor und nach der Scheidung besser berücksichtigen, ohne das Existenzminimum des Kindes zu gefährden.

Wir wollen gemeinsam mit den Ländern die Erziehungs-, sowie Trennungs- und Konfliktberatung verbessern und dabei insbesondere das Wechselmodell in den Mittelpunkt stellen. Wir werden den Kindern ein eigenes Recht auf Umgang mit den Großeltern und Geschwistern geben. Das Namensrecht liberalisieren wir, z. B. durch Einführung echter Doppelnamen.

Wir werden in familiengerichtlichen Verfahren den Kinderschutz und das Prinzip der Mündlichkeit der Verhandlungen stärken. Die Hürden für die Nichtzulassungsbeschwerde werden wir senken sowie einen Fortbildungsanspruch für Familienrichterinnen und Familienrichter gesetzlich verankern. Wenn 3häusliche Gewalt festgestellt wird, ist dies in einem Umgangsverfahren zwingend zu berücksichtigen.

Wir ermöglichen es unverheirateten Vätern in den Fällen, in denen die Eltern einen gemeinsamen Wohnsitz haben, durch einseitige Erklärung das gemeinsame Sorgerecht zu erlangen. Widerspricht die Mutter, so muss das Familiengericht über die gemeinsame Sorge entscheiden. Das Kindeswohl ist dabei besonders zu berücksichtigen. Wir werden die Modernisierung im Kindschafts- und Unterhaltsrecht mit Studien begleiten.

Senioren
Erfahrungen und Kompetenzen älterer Menschen sind für unsere Gesellschaft unverzichtbar. Wir wollen, dass Menschen im Alter selbstbestimmt in ihrem frei gewählten Umfeld leben können. Wir werden seniorengerechte Ansätze auf allen staatlichen Ebenen und im digitalen Raum fördern. Dabei geht es u. a. um Partizipation, Engagement, soziale Sicherung, Alltagshilfen, Wohnen, Mobilität, Gesundheitsvorsorge, Bildungs- und Begegnungsangebote und die Überwindung von Einsamkeit.

Wir werden ältere Menschen vor Diskriminierung und vor finanzieller Ausbeutung – insb. durch Vorsorgevollmachten – schützen. Die gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände sind eine wichtige Stütze der Daseinsvorsorge, wir wollen für sie weiterhin verlässliche Partner sein.


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