HUMBOLDT-FORM | KUPPEL : Christliche Indizien an der Schlosskuppel - Thema für die Parlamente

10. Februar 2022 // Hilda Lührig-Nockemann

Steht der von Friedrich Wilhelm IV. zusammengefügte Bibelvers für ein christlich legitimiertes Recht auf Unterwerfung oder ist er ein bauhistorisches ­Dokument? Schon lange ist das biblische Spruchband um die Kuppel der teilrekonstruierten ­Hohenzollern-Residenz in Berlin Gegenstand der ­Debatten. Spätestens seit Dezember des letzten Jahres werden die kritischen Stimmen im Bundestag und im Berliner Abgeordnetenhaus nicht mehr ignoriert. Ein Hintergrundbericht.


Hilda Lührig-NockemannDer nachstehende Beitrag von zwd-Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann wurde im zwd-POLITIKMAGAZIN, Ausgabe 389, veröffentlicht.

Der preußische König Friedrich Wilhelm IV selbst hatte die Inschrift aus der Apostelgeschichte 4,12 und dem Paulusbrief an die Philipper 2,10 zusammengeschnitten. Damit wollte er laut Historiker:innen im Zuge der von ihm abgelehnten ­Revolution 1848/49 ein Zeichen für das Gottesgnadentum seiner Herrschaft setzen – gegen demokratische Bestrebungen. Sein Baumeister Friedrich August Stüler bekam den Auftrag, ­diese in die neu errichtete Kuppel mit der Schlosskapelle zu integrieren. Bei dessen Fertigstellung 1854 wurde sie dem Zeitgeist entsprechend (öffentlich) nicht als anstößig verunglimpft – weder als Unterwerfung aller Menschen unter das Christentum noch als christlich legitimierter Herrschaftsanspruch der Monarchie.

Knapp 150 Jahre später ist diese Anstößigkeit präsent. Entfacht wurde die Debatte darüber kurz vor Abschluss der Bauarbeiten im Mai 2020. Nach dem Abbau des Gerüstes wurde der Bibelspruch (siehe Bild oben) auf blauem Band mit den 34 Zentimeter hohen goldenen Buchstaben unterhalb der Kuppel sichtbar. Für die Öffentlichkeit überraschend, denn nur Insider waren über diese Maßnahme informiert! Auf dem Holzmodell des Architekten Franco Stella, dem Gewinner des Wettbewerbs, war auf der Kuppel noch nicht einmal ein Kreuz zu sehen. Dennoch wurde es, ausschließlich von Spenden finanziert, auf der Kuppel installiert. Auf Unverständnis stößt es, dass das ursprünglich nicht geplante und dann umstrittene christliche Symbol durch eine weitere christliche Insignie ergänzt wurde. Diese religiöse Symbolik stehe im Widerspruch zum Anspruch des Humboldt Forums, so die Kritiker: innen.

„Herrschaftskritische Verse“ oder „intolerante Exklusivitätsansprüche“?

Dieser Sichtweise widerspricht der katholische Erzbischof des Bistums Berlin Dr. Heiner Koch. „Die Bibelverse betonen, dass die Menschen sich nur vor Gott verbeugen und keiner irdischen Macht diese Ehre erweisen sollen: Welche Freiheit spricht aus diesen Worten!“ Ebenso sieht das der Kulturbeauftragte der evangelischen Kirche, der Theologe Johann Hinrich Claussen. Keineswegs stünden die Bibelverse für Staatsfrömmigkeit und Unduldsamkeit. Es seien „herrschaftskritische Verse, die für Glaubensfreiheit einstehen“, interpretiert er die Bibelstellen. Als „intolerante Exklusivitätsansprüche“ dagegen deutet sie der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Dr. Christian Stäblein. Selbst als historische Zitate seien sie gefährlich und brauchten Gegenbilder. Christoph Markschies, evangelischer Professor für antikes Christentum, sieht zwar auch die Problematik der Inschrift, möchte sie aber dennoch nicht ausblenden, sondern sich damit auseinandersetzen. „Für mich gehört es auch zur Ehrlichkeit dieser Rekonstruktion, dass man das Problematische der christlichen Theologiegeschichte zeigt“, erklärt er.

Nicht im Sinne der Namenspaten Wilhelm und Alexander von Humboldt

Die Bibelversion stehe für die ideologische Legitimation des Kolonialismus, denn „das Knie vor Jesus Christus zu beugen, war jahrhundertelang die Aufforderung, vor »den Weißen« zu knien“, schrieb im Juli 2020 der Architekturkritiker Nikolaus Bernau in deutsche bauzeitung. Diese Diskrepanz hatte auch der damalige und aktuelle Berliner Bürgermeister und Kultursenator Dr. Klaus Lederer (DIE LINKE) kritisiert. „Kreuz und Inschrift auf der Kuppel sind eine «Überschrift» über dem Humboldt Forum, die ich als falsches Signal empfinde. Die Alleinstellung eindeutig religiöser Zeichen konterkariert nahezu alles, was wir mit dem Humboldt Forum wollen: Ganz im Sinne der Namenspaten, ganz im Sinne von Humanismus und Aufklärung – und der Gleichwertigkeit von Menschen und Kulturen das Humboldt Forum mit Leben füllen“, bestätigte er dem zwd-Politikmagazin gegenüber. In einer Stadt, in der ein House of One entstehe, habe der Spruch aus der „Gedankenwelt eines Preußenkönigs“ keinen Platz mehr, gab auch der Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama, bis 2019 geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, in der Jüdischen Allgemeine zu bedenken. Das sieht der Vorsitzende des Olaf Zimmermann ähnlich. Er twitterte im Mai 2020: „#Humboldtforum mutiert zum #PreußenForum: (…) Erst jetzt habe ich die Umschrift unter dem Kuppelkreuz realisiert. Ich bin entsetzt! Das Kuppel-Kreuz war schon grenzwertig, aber die Umschrift geht nicht.“

Diese Probleme scheint die damalige Kulturstaatsministerin Prof.´in Monika Grütters (CDU) nicht zu teilen. Obwohl sie in ihrer Eröffnungsrede am 20. Juli 2021 betonte, das Humboldt Forum müsse mit Leben „im Geiste der Aufklärung, der Weltoffenoffenheit und der Toleranz – im Geiste der Brüder Humboldt“ gefüllt werden, verliert die bekennende Katholikin kein Wort über die Inschrift, die konträr zu diesen Attributen steht. Damit steht sie im Windschatten der Akteure des Humboldt Forums, die zu der Zeit noch argumentiert hatten, Kreuz und Inschrift seien „im Kontext ihrer historischen Entstehungssituation“ zu verstehen. Die ist nach Auffassung des Chef-Kurators des Landes Berlin im Humboldt Forum Paul Spies die Revolution 1848, die „erste machtvolle Demokratiebewegung in Berlin“. Als Reaktion darauf habe Friedrich Wilhelm IV. „als Herrscher von Gottes Gnaden (…) den Kniefall seiner Untertanen für sich selbst“ verlangt. Nach diesem Verständnis ist also das Beugen der Knie im Namen Jesu keine Unterwerfungsaufforderung, sondern ein Herrschaftsanspruch! Für Spies wohl kein Widerspruch zu Inhalt und Konzept des Humboldt Forum, denn das könne „auch mit einer Kuppel und einem Kreuz auf dem Dach ein weltoffener und diskursiver Ort werden“, glaubt er (https://www.humboldtforum.org/de/magazin/feature/kreuz-kuppel/2020).

„Neue Antworten formulieren“

Wenige Monate später distanziert sich das Humboldt Forum von den die Kuppel umlaufenden Bibelversen, steht aber grundsätzlich zu der Kuppel. Das geht aus den Ausführungen des für den Bau zuständigen Technikvorstands Hans-Dieter Hegner auf einem Pressetermin im Oktober 2021 hervor. „Alle Institutionen im Humboldt Forum distanzieren sich ausdrücklich von dem Allgemeingültigkeits- und Herrschaftsanspruch des Christentums, den die Inschrift zum Ausdruck bringt“ solle in einen Informationstext über den Kuppelbau integriert werden, erklärte er. Die entsprechende Bronzetafel werde auf der Dachterrasse neben der Kuppel angebracht. Gleichzeitig stellte er klar, dass die Kuppel ein „bauhistorisches Zitat im Rahmen der Schlosskonstruktion“ sei. Das legt die Hypothese nahe, dass die Existenz von Bibelspruch und Kreuz nicht in Frage gestellt werden sollen.

Chance für einen Perspektivwechsel bietet die neue Ampel-Regierung mit Claudia Roth (B‘90/Die Grünen) als Bundeskulturministerin. Für das Humboldt Forum prognostizierte die taz: „Aber vor allem dürfte Claudia Roth die von Grütters beförderte Preußen-Renaissance – siehe Fassade und Kuppel des Großprojekts Humboldt-Forum – nicht fortsetzen.“ Auch der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP, der explizit hervorhebt: „Wir entwickeln das Humboldt Forum als Ort der demokratischen, weltoffenen Debatte“, bietet Potenzial, die Kuppel mit ihren christlichen Insignien nunmehr dem Konzept des Humboldt Forums anzupassen. Auf ihn bezieht sich der Generalintendant des Humboldt Forums Prof. Dr. Hartmut Dorgerloh auf der Veranstaltung «VERKUPPELT. Die Sache mit dem Kreuz und der Inschrift» am 2. Dezember und kündigt an, auf die Fragen nach Kreuz und Inschrift, „neue Antworten zu formulieren“ und Ideen zu entwickeln, „wie wir mit etwas umgehen, was bis heute nicht befriedigt und nicht befriedet ist“. Unterstützung findet er bei anderen Diskussionsteilnehmer:innen. Sie heben unter anderem den säkulären Charakter des Hauses hervorheben. Diese Definition versteht der Vorsitzende des Fördervereins Berliner Schloss und erfolgreiche Spendensammler Wilhelm von Boddien als „Herrschaft der Säkularisierung über unsere 2000 Jahre alten Wurzeln im Christentum“ und befürchtet „einen kulturellen Bruch, wie wir ihn noch nie in der Geschichte hatten“.

Ohne Erfolg waren 2020 die Vorschläge der Überparteilichen Fraueninitiative Berlin geblieben, „den Geist des Humboldt Forums entsprechende Inschriften“, zum Beispiel „temporäre Leuchtschriften“ anzubringen (siehe Kasten auf der nächsten Seite). Nun nimmt dieser Vorschlag doch noch Gestalt an. Die anhaltende Kritik sowie die kulturpolitische Neuorientierung haben eine Kursänderung bewirkt. Zwar sollen die christlichen Insignien, die nicht als Symbol für Weltoffenheit und Demokratie verstanden werden können, nicht entfernt werden. Aber ihnen soll „eine dauerhafte, positive (…) Aussage entgegengesetzt“ werden, die „zum heutigen Deutschland“ passt. Ein Laufband mit Zitaten aus dem Grundgesetz und der Menschenrechtserklärung in verschiedenen Sprachen könnte die umstrittenen Bibelworte verschwinden lassen – allerdings nur bei Dunkelheit. Denn erst dann leuchten die auf einem unsichtbaren Netz installierten Leuchtdioden, sodass der biblische Spruch hinter ihnen verschwindet. So sieht es das von dem Informatiker Sven Lochmann und dem Juristen Konrad Miller entwickelte Kunstprojekt vor, für das sie im Juni 2020 ihre Initiative Leuchtturm Berlin gestartet haben. Im gleichen Jahr legten sie ihr Projekt der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters, dem Berliner Kultursenator, Klaus Lederer und dem Humboldt Forum vor. Laut Webseite der Initiative laufen Gespräche mit dem Humboldt Forum.

Das Statement von Erhard Grundl, kulturpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfaktion, zur Inschrift ist eindeutig:

Ob das nächtliche Kunstprojekt und die verbale Distanzierung vom Herrschaftsanspruch des Christentums tatsächlich ausreichen, die Weltoffenheit des Humboldt Forums nach innen und außen zu demonstrieren, oder sie nur ein Make-Up sind oder ob noch weitere darüber hinausgehende „Antworten“ gefunden werden, liegt in der Hand von Akteuren des Humboldt Forums und der Kulturpolitiker:innen im Senat und neugewählten Berliner Abgeordnetenhaus sowie der neuen Bundesregierung und des ebenfalls neugewählten Bundestages.


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