Die im Konsens formulierten 15 Thesen sind nur scheinbar eine Ansammlung von Allgemeinplätzen. Genauer hingesehen, veranschaulichen sie zentrale Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens über politisch-weltanschauliche Grenzen hinweg. Die Zentralräte der Juden und Muslime, Flüchtlings- und Migrantenorganisationen sowie Sport- und Medienverbände eint mit den Repräsentant*innen aus Bundesressorts, Ländergremien und kommunalen Spitzenverbänden die Einsicht, dass die Solidarität – zum Beispiel mit Flüchtlingen – zu den Grundprinzipien des Zusammenlebens zählt, die sich im Engagement vieler Bürger*innen ausprägt und ausgelebt wird.
Integration, heißt es in der Präambel, könne weder verordnet werden noch sei sie allein Aufgabe der Politik. Den Ausgangspunkt bilden das Grundgesetz und der Kulturbegriff der UNESCO. Die Thesen werben für eine demokratische Debatten- und Streitkultur, die durch Zuhören und eine konstruktive sowie kompromissfähige Auseinandersetzung das Gegenteil von Populismus ist, dessen Vertreter*innen nur die eigene Ansicht gelten lassen. Wichtig ist auch die Klarstellung in den Thesen, dass Einwanderung und Integration zu unserer deutschen Geschichte („Einwanderungsland“) zählen und einen Teil unseres kulturellen Erbes und unserer Identität bilden.
Eine kritische Anmerkung mag der politische Beobachter der Veranstaltung im noblen Haus der Stiftung Brandenburger Tor am Pariser Platz freilich nicht ersparen. Hatte die Initiative nicht in These 3 die Geschlechtergerechtigkeit als einen „Eckpfeiler unseres Zusammenlebens“ herausgestellt?
Sie gehöre zu den grundlegenden Prinzipien unseres Zusammenlebens und verlange Achtung und Respekt vor Frauen und Männern. Es bleibe eine Aufgabe für Staat und Gesellschaft, Geschlechtergerechtigkeit gemäß dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau „weiter zu verwirklichen“. Hier nun hätte die Veranstaltung selbst ein Zeichen setzen können, in dem die vier Panels in ihrer Zusammensetzung der Podien selbst eine Gleichstellung der Geschlechter praktiziert hätten. Tatsächlich war lediglich bei einer Diskussionsrunde eine Parität hergestellt, während die drei anderen Diskussionsrunden „frauenfrei“ blieben. Insgesamt 27 Männern durften - die Grußworte mitgezählt (!) – gerade einmal vier Frauen „zur Seite“ stehen. Vielleicht erklärt das auch, warum sich in den übrigen 14 Thesen die Rolle von Frauen nicht widerspiegelt.
Der Deutsche Kulturrat und seine maßgebliche Förderin, die Beauftragte für Kultur und Medien Staatsministerin Monika Grütters, hatten sich bei anderer Gelegenheit für die geschlechtergerechte Teilhabe in Kultur und Gesellschaft stark gemacht. Hier aber wurde diese Chance vertan. Der Mund wurde gespitzt, doch das Pfeifen unterblieb.