Vorabinfo: Lesen Sie im zwd-POLITIKMAGAZIN (Ausgabe 380) eine differenzierte Bewertung des Urteils sowie darüber, welche sechs Richter mit welchem juristischen Hintergrund mit ihrer Mehrheit die Entscheidung durchgesetzt haben. Neben dem Mehrheitsvotum der sechs Richter männlichen Geschlechts gibt es zwei Minderheitsvoten (zwei Frauen, ein Mann). Dem neunköpfigen Richterkollegium des Erfurter Landesverfassungsgerichts gehören acht Richter und eine Richterin an. In der Ausgabe gehen wir auch auf die mündliche Verhandlung vor dem Potsdamer Landesverfassungsgericht zum Brandenburgischen Paritätsgesetz ein.
Juristinnenbund: Paritätsregelungen sind angesichts der strukturellen Benachteiligung von Frauen vertretbar und verhältnismäßig
Der Verfassungsgerichtshof hat in einem von der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag angestrengten Normenkontrollverfahren mit der Mehrheit der Stimmen von sechs Richtern entschieden, dass die Verpflichtung der politischen Parteien zur paritätischen Listenaufstellung eine Beeinträchtigung des Rechts auf Freiheit und Gleichheit der Wahl (Art. 46 Abs. 1 ThürVerf) darstellt sowie das Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) verletzt. Der Juristinnenbund verweist in diesem Zusammenhang auf die mit guten überzeugenden Argumenten in den Sondervoten von drei Richter*innen. Diese vermissen in der Entscheidung der Mehrheit eine angemessene Auseinandersetzung mit dem Verfassungsauftrag in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Thüringer Verfassung (entsprechend Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG). Sie führen vielfältige Belege für die strukturelle Benachteiligung von Frauen, gerade in der Politik, an. Die Mehrheitsmeinung setze sich nicht ausreichend mit der Eingriffsintensität gegen die genannten Freiheiten, insbesondere des Wahlrechts, auseinander. Bei anderen als zulässig anerkannten Regelungen sei der Eingriff deutlich stärker, z. B. bei der Sperrklausel, den Überhangmandaten oder dem Mindestwahlalter. Die Präsidentin des Juristinnenbundes Prof.'in Maria Wersig erwartet deshalb von den Sondervoten eine Signalwirkung für die anstehende Entscheidung in Brandenburg: "Eine geschichtsbewusste Interpretation des Frauenfördergebots des Art. 3 Abs. 2 GG kann mit guten Gründen zu dem Ergebnis gelangen, dass Paritätsregelungen unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen vertretbar und verhältnismäßig sind."
Frauenrat: Bundesverfassungsgericht muss Verbindlichkeit im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz herstellen
Elke Ferner, Mitglied im Vorstand des Deutschen
Frauenrats sieht.in dem Erfurter Urteil einen herben Rückschlag für die
Gleichstellung in Thüringen und darüber hinaus. Die Entscheidung mit der
Freiheit und Gleichheit der Wahl zu begründen, ignoriere, dass Wähler*innen
auch heute das Geschlechterverhältnis im Parlament nicht beeinflussen könnten,
wenn auf Wahllisten hauptsächlich Männer stehen. Die ehemalige Vorsitzende der SPD-Frauenarbeitsgemeinschaft ASF erinnerte an die grundgesetzliche Verpflichtung des Staates, gemäß Art. 3.2 GG die Gleichberechtigung von Frauen und Männern
durchzusetzen und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Das habe auch für Thüringen zu gelten. Deshalb muss nach Überzeugung Ferners jetzt das Bundesverfassungsgericht klären,
ob Paritätsgesetze ein legitimes Mittel sind, dieses Gleichberechtigungsgebot
zu erfüllen. Das höchste deutsche Gericht müsse Verbindlichkeit in der Sache herstellen und ein Zeichen setzen, dass gleichberechtigte Teilhabe von Frauen elementar für unsere Demokratie sei, fügte Ferner hinzu. Völlig unverständlich ist aus Sicht der Dachorganisation der deutschen Frauenverbände, dass der mit acht Richtern und nur einer Richterin
besetzte Weimarer Verfassungsgerichtshof trotz des Gleichstellungsgebotes aus
Artikel 3 GG nun der Klage der Partei mit dem geringsten Frauenanteil
stattgegeben hat.