70 JAHRE KULTUSMINISTERKONFERENZ : Die KMK vor einer Reformdebatte über ihre eigene Zukunft

26. März 2018 // Hilda Lührig-Nockemann

Die Kultusministerkonferenz ist 70 Jahre alt! Sie ist nicht nur die älteste Fachministerkonferenz in Deutschland, sondern auch älter als die Bundesrepublik. Das Jubiläum wurde am 15. Januar in Berlin mit einem Festakt begangen, doch dieser konnte über die Kritik von Bildungsexperten und Gesellschaft am Bildungsföderalismus nicht hinwegtäuschen.

zwd-Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann
zwd-Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann

zwd Berlin. Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke), dem turnusgemäß in diesem Jahr die KMK-Präsidentschaft übertragen wurde, sah Eile geboten. Schon bei den Jubiläumsfeierlichkeiten gab er die Lösung an, die Reform der KMK gehöre bei der nächsten Sitzung am 15. März auf die Agenda.

Mit dieser Einschätzung stand Holter nicht allein und erhielt in der Diskussionsrunde im Rahmen des Festaktes Unterstützung. „Wir müssen uns dringend strategisch neu aufstellen“, mahnte auch seine Vorgängerin, die baden-württembergische Bildungsministerin Dr. Susanne Eisenmann (CDU). Und der dienstälteste, seit 2008 in Bayern amtierende Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle (CSU) appellierte mit Fingerzeig auf das viel diskutierte Kooperationsverbot „Länder müssen in der Lage sein zu handeln, sonst werden sie behandelt“.

Für einheitliche Rahmenbedingungen: ein Bildungsstaatsvertrag

Eine Gebrauchsanweisung für die Reform der 1948 gegründeten Länderkonferenz haben drei Bildungspolitiker, ehemalige Mitglieder der Kultusministerkonferenz, schon Anfang Januar in einem offenen Brief in der „Zeit“ geliefert. Zur Optimierung der Arbeitseffizienz der KMK schlagen sie vor, die einjährige Präsidentschaft, das Einstimmigkeitsprinzip und die Sitzungsfrequenz zu überdenken. Für die Schulbildung seien stabile, verlässliche Rahmenbedingungen unabdingbar, erklärten Bildungsstaatssekretär a. D. Burkhard Jungkamp (SPD, Brandenburg), Wissenschaftsstaatssekretär a. D. Dr. Josef Lange (Niedersachsen) und Schulstaatsrat a.D. Dr. Michael Voges (SPD, Hamburg). Sie forderten vordringlich überall in Deutschland geltende Regelungen unter anderem für Beginn und Dauer der Schulpflicht, zentrale Abiturprüfungen mit einem deutschlandweit identischen Kern, vergleichbare Besoldung von Lehrkräften sowie eine einheitliche Ausgestaltung der Lehrer*innenausbildung. Für die fehlende Vergleichbarkeit sehen sie Ursache in unterschiedlichen Schulgesetzen, Rahmenbedingungen und Leistungsanforderungen. Sie plädierten für einen Bildungsstaatsvertrag, der sowohl einheitliche Rahmenbedingungen als auch ein neues Statut der KMK festschreibt. Mit diesem könne die KMK gestärkt und als „schlagkräftiges politisches Gremium weiterentwickelt werden“. Damit der Bildungsstaatsvertrag im Jahr 2019 geschlossen werden könne, solle zur Erarbeitung von Eckpunkten und Empfehlungen von den Ländern eine Arbeitsgruppe aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft eingesetzt werden.

Nationaler Bildungsrat: überflüssiges Organ oder Chance für mehr Bildungsqualität?

Diese Arbeitsgruppe, wenn sie denn mit dem in den Koali-­tionsvereinbarungen von CDU, CSU und SPD ausgehandelten „Nationalen Bildungsrat“ identisch ist, stieß nur bedingt auf Gegenliebe. „Den brauchen wir nicht!“, hatte schon KMK-Generalsekretär Udo Michallik in seiner Begrüßung klargestellt. KMK-Präsident Holter dagegen erachtete einen Bildungsrat für notwendig, um mehr Bildungsqualität und -gerechtigkeit zu schaffen. Deutlich wurde, dass der politische Blickwinkel entscheidet, ob in dem versprochenen „gemeinsamen Schulterschluss von Bund und Ländern“ in Form des Bildungsrates ein Infragestellen der Kulturhoheit der Länder oder eine Verbesserung der Bildungschancen für Kinder gesehen wird. Durch die Äußerung des erstmals von den Linken gestellten KMK-Präsidenten Holters „Ich halte es für notwendig, dass der Bund sich stärker in Bildung engagiert“, fühlte sich CSU-Kultusminister Spaenle veranlasst, klarzustellen: „Ich bin froh, dass die Kultusministerkonferenz keinen Chef hat.“ Tatsächlich leitet nach den Statuten der Präsident die KMK und vertritt sie nach außen. Die Kultusministerkonferenz hat keine Rechtssetzungsbefugnis, alle Beschlüsse müssen vielmehr von jedem Land in eigene Rechtsvorschriften umgesetzt werden. Deutlich zeichnete sich ab, dass der Leitspruch der Kultusministerkonferenz „Einheit in der Vielheit“ neu definiert werden muss. Die Auftaktveranstaltung der KMK lässt ahnen, dass „Vielheit“ zukünftig bedeutet, Bildung politisch divergierender zu denken. Folglich müsste für die „Einheit“ sowohl der Passus „Im Sinne der gewollten Vielfalt im Bildungswesen wird auf Detailregelungen verzichtet.“ – den die KMK auf ihrer Homepage proklamiert – als auch die Einstimmigkeit – wie von den drei Bildungspolitikern vorgeschlagen – dringend überdacht werden. Vor diesen Hintergrund gilt zwar immer noch, was in der Geburtsstunde der KMK, der „Konferenz der deutschen Erziehungsminister“ am 19. und 20. Februar 1948 in Stuttgart-Hohenheim ihr Tagungspräsident, der württemberg-badische Kultusministers Theodor Bäuerle als Ziel vorgab. Mit dessen Worten „gemeinsame Grundlagen […] schaffen und unsere Maßnahmen aufeinander abstimmen“ umschrieb auch Michallik in seiner Begrüßung den Weg der KMK als einer föderalen Bildungsinstitution. Ergänzt werden muss die-se Zielvorgabe jedoch mit dem Attribut ‚Verbindlichkeit‘ damit in Papiers Worten „die wohl älteste institutionelle Ausprägung des kooperativen Föderalismus für die Zukunft […] unverzichtbar“ bleibt.

Legitimationsgrund für Föderalismus: Selbstbestimmungsrecht des Volkes

Die föderale Struktur der Kultuspolitik, deren Grundstein – ein Jahr vor der Konstituierung der Bundesregierung – von den Erziehungsministern aller vier Besatzungszonen gelegt wurde, nahm der ehemalige Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Hans-Jürgen Papier, aus verfassungsrechtlicher Sicht unter die Lupe.

Auch Papier bezog sich in seinem Vortrag auf die zunehmende Kritik in der Öffentlichkeit an der föderalen Ordnung, die seit den Zeiten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zum historischen Erbe Deutschlands gehöre. Er leitete daraus die Frage ab, worin der Föderalismus heute noch seinen Legitimationsgrund finde. Dieser, so Papier, legitimiere sich aus dem Selbstbestimmungsrecht des Volkes. „Wer hier dem weiteren Verfall der eigenstaatlichen Souveränität der Bundesländer das Wort redet, nimmt […] einen weiteren Verlust an gelebter demokratischer Selbstbestimmung des Volkes […] in Kauf“, war sein Fazit. Nur noch wenige Lebensbereiche, insbesondere Schule, Bildung und Kultur, seien der Gesetzgebungshoheit der Gliedstaaten überantwortet. Dieser „Markenkern, der Bildungsföderalismus“ stehe für die demokratische Mitbestimmung, was sich in gewonnenen oder verlorenen Landtagswahlen aufgrund der Schulpolitik dokumentiere. Es sei auch ein „ziemlich naiver Glaube“, der Bund könne mit den Bildungsmängeln professioneller umgehen als die Länder. Selbst wenn Papier auf der einen Seite klarstellte, dass der „Entmachtung der Landesparlamente“ grundgesetzliche Schranken gesetzt seien, räumte er auf der anderen Seite ein, dass sich auch „bewährte Verfassungen immer wieder fragen lassen müssen, ob sie den Herausforderungen der Zeit noch in jedem Fall gerecht werden.“

Weiterentwicklung zu einem „schlagkräftigen politischen ­Gremium“

Das wird von vielen Kritikern in Frage gestellt. Sie verweisen auf viele Bildungsdefizite. In Europa ist Deutschland das Land mit der geringsten Chancengleichheit. Im internationalen Vergleich stagnieren die Schulleistungen und sind zudem nicht vergleichbar. Ein „länderübergreifendes Vergleichbarkeitsdefizit der Abiturnoten“ hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum Numerus clausus im Studienfach Medizin den Ländern erst im Dezember 2017 attestiert und bis 2019 Zeit zur Änderung des Zulassungsverfahrens gegeben. Laut Statistik der Kultusministerkonferenz reichte 2016 die Schere mit einem Abiturnotendurchschnitt mit einer eins vorm Komma von 17 Prozent in Niedersachsen bis 38 Prozent in Thüringen. Allein in der Grundschule fehlen nach einer kürzlich vorgestellten Studie der Bertelsmann-Stiftung bis 2025 rund 35.000 Lehrkräfte.

Andererseits hat die KMK Tatkraft bewiesen. Seit 1997 nehmen die Schulen in Deutschland regelmäßig an großen Schulvergleichen wie PISA, TIMSS und IGLU teil. 2003 wurden Bildungsstandards in den Kernfächern mit bundesweiter Geltung beschlossen und mit Schuljahresbeginn 2004/2005 verbindlich eingeführt. Im Zuge der unbefriedigenden Ergebnisse in internationalen Schulleistungsstudien gründete die KMK 2004 das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Gleichwertiger und damit vergleichbarer sollte das Abi-tur mit dem Beschluss der KMK aus dem Jahr 2012 werden, Bildungsstandards in den Fächern Deutsch und Mathematik sowie Englisch und Französisch einzuführen. Erstmalig im Jahr 2017 stand ein Aufgabenpool zur Verfügung.

Indizien dafür, dass – wenn die KMK unter der Maxime der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ (Art.72 Abs.2 GG) den Mut zu umgreifenden Reformen aufbringt – sie das Potenzial hat, sich zu einem „schlagkräftigen politischen Gremium“ weiterzuentwickeln.

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