STUDIE BERTELSMANN STIFTUNG : Die Krise ist weiblich, Mütter sind die Verliererinnen

23. Juni 2020 // Ulrike Günther

Die Corona-Krise verschärft die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern: Gender Pay Gap, Unterschiede in Fürsorge- und Teilzeitarbeit machen sich stärker bemerkbar. Frauen arbeiten in schlechter bezahlten Berufen als Männer, Mütter betreuen wieder häufiger die Kinder. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung nimmt die Benachteiligung von Müttern in den Blick: Auf die Lebenszeit gerechnet, büßen sie im Mittel 40 bis 70 Prozent ihres Erwerbseinkommens ein.

Frauen leisten einen Hauptteil der Kinderbetreuung. - Bild: Pixabay / Mircea Iancu
Frauen leisten einen Hauptteil der Kinderbetreuung. - Bild: Pixabay / Mircea Iancu

zwd Berlin/ Gütersloh. Schon der allgemeine Vergleich der Bruttoeinkünfte von Erwerbstätigen zeigt, dass Frauen gegenüber Männern finanziell deutlich zurückstecken müssen. Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) betrug die sog. unbereinigte Lohnlücke 2019 in der Bundesrepublik durchschnittlich 20 Prozent. In der Zeit der Epidemie verstärken sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede noch, so dass die am 22. Juni veröffentlichte Studie die Krise "weiblich" nennt: Frauen arbeiten vielfach in systemrelevanten Berufen, wie Krankenschwester oder Verkäuferin, die schlecht bezahlt und wenig anerkannt sind.

Frauen wenden sich wieder Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen zu, da Kitas und Schulen geschlossen und Gesundheitsdienste weniger leicht zugänglich sind. Da sie eine Mehrheit der Angestellten im Dienstleistungsgewerbe ausmachen, sind weibliche Erwerbstätige häufiger von Verdienstausfällen betroffen. Frauen sind nach neueren Untersuchungen auch öfter geringfügig beschäftigt als Männer, bekommen daher seltener Kurzarbeitergeld und sind dadurch finanziell weniger abgesichert.

Trotz gleicher Qualifikation: Frauen verdienen weniger

Im Verlaufe des Lebens steigern sich die verdienstbezogenen Differenzen zwischen den Geschlechtern noch, wenn man das gesamte Erwerbseinkommen von Frauen und Männern untersucht. Während nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung 20- bis 30-jährige Männer in ihrem Berufsleben 2015 durchschnittlich 1,1 Millionen (Ostdeutschland) bis 1,5 Millionen Euro (Westdeutschland) verdienten, waren es bei Frauen derselben Altersgruppe nur 660.000 (ostdeutsche Länder) bis 830.000 Euro (westdeutsche Länder). Damit liegen die von Frauen durch Berufstätigkeit erzielten Einkünfte bei 55 Prozent (West) bis 60 Prozent (Ost) des Einkommens von Männern, umgekehrt beziffert sich der sog. Gender Lifetime Earnings Gap (Geschlechterlücke der Lebenserwerbseinkommen) auf 45 Prozent (West) bis 40 Prozent (Ost).

Dieser Unterschied der Gesamterwerbseinkünfte hat sich seit Jahrzehnten bloß geringfügig geändert, obwohl sich das Bildungsniveau von Frauen längst dem der Männer angeglichen hat. Für die Berufstätigkeit sind sie inzwischen gleich gut qualifiziert wie ihre männlichen Kollegen. Wie die neue Studie belegt, ist ein Hauptgrund für das weiter fortbestehende Einkommensgefälle in den meist durch Kindererziehung und Pflegearbeit zu erklärenden ausgedehnten Phasen von Teilzeitarbeit und Berufspausen bei den Frauen zu finden.

Tradierte Rollenmuster: Mütter bleiben bei den Kindern

Noch immer herrsche in der Bundesrepublik trotz anderweitiger Idealvorstellungen aufseiten der Ehepartner*innen das herkömmliche Familienmodell vor, urteilen die Verfasser*innen der Studie. Demnach nehmen die Männer weiterhin vorwiegend die Ernährerrolle ein, Frauen hingegen verdienen lediglich etwas dazu. Statt arbeiten zu gehen, kümmern sie sich um Kinder, Haushalt oder pflegebedürftige Angehörige. Nach Aussagen der Studie wird für Frauen ab einem Lebensalter zwischen 25 und 29 Jahren die Teilzeitarbeit zur vorherrschenden Erwerbsform, Männer arbeiten fast immer in Vollzeit. Erst ab einem Alter zwischen Mitte 40 (Ost) und Mitte 50 (West) sind die meisten Frauen wieder in Vollzeit beschäftigt.

Kinderkriegen geht mit hoher Verdiensteinbuße einher

Das wirkt sich der Studie gemäß entscheidend auf das Lebenserwerbseinkommen von Frauen aus. Vor allem Mütter büßen einen erheblichen Teil ihrer Lebensarbeitseinkünfte durch das Erziehen ihrer Kinder ein. Während sich 30-jährige Frauen ohne eigene Familie 2015 in Westdeutschland durchschnittlich 13 Prozent und 33-jährige ostdeutsche Frauen 3 Prozent weniger Lebenseinkommen erarbeiteten als Männer, betrug der Unterschied für Mütter dieses Alters im Westen ganze 62 Prozent, im Osten 48 Prozent.

Die Studie weist auf, dass sich die Diskrepanz desto mehr vergrößert, je mehr Kinder die Frauen zur Welt bringen. Konnten 33-jährige Frauen ohne Kinder 2015 Lebenserwerbseinkünfte von 1,1 (Ostdeutschland) bis 1,3 Millionen Euro (Westdeutschland) erwirtschaften, waren es bei Müttern mit einem Kind schon 37 Prozent (Ost) bis 43 Prozent (West) weniger. Bei Frauen mit zwei Kindern lag diese Verdiensteinbuße bei 48 Prozent (Ost) bis 54 Prozent (West), bei Müttern mit drei oder mehr Kindern sogar bei 63 Prozent (Ost) bis 68 Prozent (West).

Politik soll Familie und Beruf besser vereinbar machen

Um diesen schwerwiegenden Ungleichheiten entgegenzuwirken, welche die aktuelle Krise noch verstärkt, müsse sich die Politik nach Ansicht der Forscher*innen die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie das Schaffen günstigerer Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten von Frauen und Müttern ganz oben auf die Tagesordnung setzen. Dazu gehörten den Verfasser*innen der Studie zufolge der schnelle Ausbau einer hochwertigen Kita- und Ganztagsbetreuung von Kindern ebenso wie das Gestalten rechtlicher Rahmenbedingungen, welche das partnerschaftliche Aufteilen von Erwerbstätigkeit und Fürsorgearbeit ermöglichen.

Dementsprechend sollten Fehlanreize im Steuersystem, z.B. über eine Reform beim Ehegattensplitting, abgebaut werden, damit Mehrarbeit für Frauen mit und ohne Kinder attraktiver wird. Gleichzeitig sollte sich nach Auffassung der Wissenschaftler*innen aber auch ein kultureller Wandel in einer Gesellschaft vollziehen, die Frauen noch immer vorrangig die betreuerischen Aufgaben zuweist. Zugunsten auch in Krisenzeiten besser abgesicherter Einkommen von Frauen und einer geringeren Lohnlücke zwischen den Geschlechtern sehen die Verfasser*innen eine Debatte über flexiblere Arbeitszeiten für Mütter und Väter als erforderlich an, außerdem das Einführen tariflich festgelegter Gehälter in den systemrelevanten Berufen und ein verändertes Modell der geringfügigen Beschäftigungen, das die Arbeitnehmer*innen sozialversichert und höher entlohnt.

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