KOALITIONSVERTRAG : djb: Frauen- und familienpolitisches Verständnis in der Koalition nicht ausreichend

14. Januar 2014 // zwd Berlin (at/ticker).

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) beurteilt den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD aus frauenpolitischer Sicht

Die Ablehnung, auf die der Vorschlag von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD), die Arbeitszeit beider Elternteile auf 32 Wochenstunden zu verkürzen und den Verdienstausfall auszugleichen, beim Koalitionspartner CDU/CSU gestoßen ist, zeigt, „dass das Verständnis für frauen- und familienpolitische Belange immer noch nicht ausreichend ist.“ Diese Auffassung vertrat Prof. Dr. Heide Pfarr, Vorsitzende der Kommission ‚Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht’ beim Deutschen Juristinnenbundes (djb) am Mittwoch in Berlin. Im Rahmen eines öffentlichen Gesprächs beleuchteten die Leiterinnen der verschiedenen djb-Kommissionen den Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU unter frauenpolitischem Blickwinkel. Die Juristinnen konstatierten dabei positive Ansätze, bemängelten aber auch Leerstellen und lediglich vage formulierte Vorhaben.

Unternehmen fehlen konkrete Strategien

djb-Präsidentin Ramona Pisal wertete die Vereinbarung, eine Frauenquote von 30 Prozent für neu zu besetzende Aufsichtsräte börsennotierter und voll mitbestimmter Unternehmen ab 2016 per Gesetz einzuführen, als „echten Durchbruch“. Wichtig sei ebenfalls die verabredete Einführung einer verbindlichen Selbstverpflichtung der Unternehmen, ab 2015 verbindliche Zielgrößen für die Erhöhung des Frauenanteils im Aufsichtsrat, Vorstand und in den obersten Managementebenen festzulegen, zu veröffentlichen und transparent hierüber zu berichten sowie Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in sämtlichen Betriebshierarchien durchzusetzen. Der djb, so Ramona Pisal, wisse durch Nachfrage bei den Vorständen großer Unternehmen, dass dort konkrete Strategien fehlten, mit denen sich Frauen aus den unteren Führungsebenen in höhere Positionen bringen ließen.Deshalb vertrete der djb die Auffassung, dass eine gesetzliche Regelung" auch für Führungspositionen und Vorstände" unverzichtbar sei.

Auf die Umsetzung kommt es an

Arbeitsrechtsexpertin Heide Pfarr begrüßte die im Koalitionsvertrag formulierte Absicht, die Durchsetzung des Rechtsgrundsatzes des gleichen Entgelts für gleiche und gleichwertige Arbeit zu fördern, kritisierte aber die „vage“ und "lückenhafte" Formulierung des Vorhabens. Es käme jetzt auf die konkrete Umsetzung an: Der Wortlaut des Koalitionsvertrags ermögliche ein gutes Gesetz, erzwinge es jedoch nicht. Ähnlich verhalte es sich mit dem vereinbarten Mindestlohn von 8,50 Euro, der flächendeckend und ohne Ausweichmöglichkeiten für alle Beschäftigten gelten müsse.
Im Bereich der Teilzeitarbeit seien der Anspruch auf befristete Teilzeitarbeit, die geplante weitere Flexibilisierung der Elternzeit sowie der geplante Partnerschaftsbonus zur Förderung geschlechtergerechter Verteilung der Sorge- und Erwerbsarbeit „gute erste Schritte, die aber weiterer Entwicklung bedürfen.“ Schwesigs Vorschlag der 32-Stunden Woche für beide Elternteile beurteilte Pfarr als „frauen- und familienpolitisch sinnvoll“. Das fehlende frauenpolitische Problembewusstsein, von dem die Ablehnung dieses Ansatzes in der Koalition zeuge, lasse befürchten, dass dies auch die Umsetzung der übrigen Ankündigungen im Koalitionsvertrag prägen werde.

Kriminalisierung von Freiern ist nicht zielführend

Dagmar Freudenberg, Vorsitzende der djb-Kommission ‚Strafrecht’, lobte die Aussagen des Koalitionsvertrags zu den Themen Menschenhandel, Opferschutz und häuslicher Gewalt. Bei der Bestrafung der Täter im Bereich Menschenhandel und Zwangsprostitution werden nach Freudenberg nicht die bereits vorhandenen Strafvorschriften „eine maßgebliche Rolle“ spielen, „sondern die im Koalitionsvertrag angesprochenen flankierenden Maßnahmen einschließlich ihrer gesetzlichen Ausgestaltung“ – zum Beispiel Verbesserungen im Aufenthaltsrecht. Davon ausgenommen aber bleibt für die Strafrechtsexpertin „die nicht zielführende Einführung der Freier-Strafbarkeit“. Der djb werde im Kontakt mit den Betroffenen Vorschläge zur Intensivierung und Optimierung der Bekämpfung des Menschenhandels entwickeln.
Die im Koalitionsvertrag enthaltene Aussage, die Möglichkeiten für Opferbetreuung und -beratung zu stärken, sei für die weiblichen Opfer von Gewaltstraftaten ein wichtiges Signal. Der djb werde die Umsetzung der EU-Opferschutz-Richtlinie (2012/29/EU) konstruktiv begleiten. Dies gelte für die Programme der Ausbildung und Fortbildung aller, die professionell mit Opfern von Straftaten in Kontakt kämen.
Freudenberg begrüßte ebenfalls die Fokussierung der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder im Koalitionsvertrag. Die Lücken im Hilfssystem – die zu schließen im Koalitionsvertrag beabsichtigt werde – könnten nur durch eine flächendeckende Finanzierung von Beratungs- und Schutzeinrichtungen wirklich beseitigt werden.

Familienrecht muss besser abgestimmt werden

Für Dr. Kerstin Niethammer-Jürgens, stellvertretende Vorsitzende der Kommission ‚Zivil-, Familien- und Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften’, erklärte, das Familienrecht müsse nach djb-Auffassung „stimmiger“ gestaltet werden. Die Wechselwirkungen der einzelnen Rechtsgebiete untereinander (etwa Unterhalt/Betreuungsgeld oder auch SGB II) seien zu untersuchen. Familienarbeit sei der Erwerbsarbeit keineswegs gleichgestellt, wobei dies etwa dadurch deutlich werde, dass die Frauen während des Bestehens ihrer Ehe keine eigene Altervorsorge erhielten.

Ausbau der ‚Mütterrente’ greift oftmals nicht gegen Altersarmut von Frauen

Dr. Maria Wersig, die der djb-Kommission ‚Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich’ vorsitzt, konzentrierte sich vor allem auf die Präsenz des Themas ‚Altersarmut von Frauen’ im Koalitionsvertrag. Die Rente bleibt für Wersig auch mit dem Ausbau der ‚Mütterrente’ primär an der Erwerbstätigkeit orientiert. „Umso wichtiger“ sei es, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu fördern. Doch leider, so Wersig, „schweigt der Koalitionsvertrag zum Ehegattensplitting und hält an den Minijobs fest.“

Kaskadenmodell als geeignete Strategie

Die Vorsitzende der djb-Kommission ‚Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht’, Sabine Overkämping, sprach sich nachdrücklich für den im Koalitionsvertrag vorgesehenen Ansatz aus, Zielquoten auf der Basis des Kaskadenmodells einzuführen. Dies sei eine geeignete Vorgehensweise, um die Präsenz eines angemessenen Anteils von Frauen auch auf den höheren Ebenen des Wissenschaftssystems zu gewährleisten.
Im europarechtlichen Bereich kritisierte Overkämping, dass der Koalitionsvertrag verschiedene – wünschenswerte – Vorhaben festschreibe, sich aber nicht zu den schon länger vorliegenden, diesbezüglichen europäischen Rechtssetzungsvorschlägen äußere. Dies betreffe unter anderem den Vorschlag zur Änderung der Mutterschutzlinie oder zur Einführung einer europaweiten Frauenquote für Aufsichtsräte in großen börsennotierten Unternehmen. Die bisherige Bundesregierung habe diese Anregungen auf europäischer Ebene „erfolgreich blockiert“. Der djb erwarte von der neuen Bundesregierung, sich konstruktiv in die Verhandlungen auf EU-Ebene einzubringen.

Artikel als E-Mail versenden