zwd-GESPRÄCH: PROF.´IN DR. NIKE WAGNER : „Mit welcher Künstlerfigur stünde Deutschland besser da als mit dem Menschenrechtler Beethoven?“

12. November 2018 // Hilda Lührig-Nockemann

Sie zählt zu den wenigen Frauen, die an die Spitze eines international bedeutsamen Festivals berufen wurden. Seit 2014 ist Nike Wagner Intendantin des Bonner Beethovenfestes.

Prof.´in Dr. Nike Wagner (links) mit zwd-Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann. - Bild: zwd
Prof.´in Dr. Nike Wagner (links) mit zwd-Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann. - Bild: zwd

zwd-POLITIKMAGAZIN: Frau Professorin Wagner, erstmals wurde das Beethovenfest in Bonn 1845 anlässlich des 75. Geburtstages des Komponisten gefeiert. Dort war einer der Dirigenten Ihr Ururgroßvater Franz Liszt, der Vater Ihrer Urgroßmutter Cosima Wagner. Gibt es ein Band, das die drei Komponisten Ludwig van Beethoven, Franz Liszt und Richard Wagner verbindet?

Prof.´in Dr. Nike Wagner: Und ob! Ein Band tiefster Verehrung von Seiten Franz Liszts und Richard Wagners! Liszt übertrug alle neun Sinfonien von Beethoven für Klavier und verhalf damit dem damals erst aufblühenden bürgerlichen Musikleben – mit viel Hausmusik! – zur Kenntnis dieser Werke. Richard Wagner erlernte das Komponieren durchs Abschreiben der fünften und der neunten Sinfonie von Beethoven und stilisierte sich zu seinem Nachfolger und „Vollender“. Er habe fortgeführt, was Beethoven in der Neunten begonnen habe – das Hereinnehmen von Text in den sinfonischen Fluss. Da konnte sein Musikdrama ansetzen. Mit der Lizenzierung seiner Neunten ist Beethoven auch der einzige Komponist, der im Bayreuther Festspielhaus – außer Wagner – gespielt werden darf. Das will doch was heißen!

„Die Musik ist ein Weib.“ Diese Auffassung vertritt Ihr Urgroßvater Richard Wagner in seiner Schrift „Oper und Drama” im 10. Ka pitel. Das klingt 1852, dem Erscheinungsjahr seiner Schrift, erstaunlich fortschrittlich. Doch der Kontext gibt Aufschluss: Die Musik – hier auf das Volkslied bezogen – werde nur zur „wahren, lebendigen Melodie“ durch die Befruchtung des Dichters. Wagners Analyse gipfelt schließlich in der Feststellung, dass das Weib seine volle Individualität erst im Moment der Hingabe erhalte. Wie beurteilen Sie als ehemalige Intendantin des Weimarer Kunstfestes „Pèlerinages“ und jetzige Intendantin der Internationalen Bonner Beethovenfeste dieses Frauenbild Ihres Urgroßvaters?

Ach Gott, ach Gott...das Frauenbild! Geschlechter- Metaphern gehörten zum Stil der Zeit und Wagner benutzt sie gern zur Selbstklärung seiner Doppelbegabung als „Dichterkomponist“ – besser ließ sich das enge und produktive Verhältnis zwischen Wort und Ton bei ihm gar nicht besser beschreiben. Wir haben eine Neufassung des alten philosophischen Problems von Geist und Stoff, Form und Materie in Gender-Vokabeln, mit Kompliment an die gebärende Instanz „Weib“ – als der Musik. In seinen Opern/Musikdramen figuriert „das Weib“ zumeist als „Erlöserin“ des Mannes, sie bezahlt dies jedoch immer mit ihrem Leben. Senta stürzt sich ins Meer, um den Holländer zu „erlösen“, Elisabeth rettet den sündigen Tannhäuser erst vor den Schwertern der Ritter, dann „erlöst“ sie ihn durch Fürsprache im Himmel, Elsa sinkt „entseelt“ zu Boden, weil sie das Frageverbot Lohengrins übertreten hat und er sie nun verlassen muss, das selbstständige Handeln einer Frau führt ins Elend für beide. Im „Ring“ sieht das tragische Geflecht etwas anders aus, es kommt mehr Sex ins Spiel und eheliche Gesetze schützen – oder knebeln – die Frau. Opfer von Geldgier sind die Rheintöchter, aber da rächt sich ein verschmähter Mann; eine vatergebundene Tochter – Brünnhilde – schafft den Sprung in die Liebe, aber nur im Autodafé. Isolde und Tristan ziehen am gleichen Liebes todes-Strang und dann im „Parsifal“ verkehren sich die Rollen. Kundry ist es, die „erlöst“ werden muss, sie stirbt angesichts einer Männergesellschaft, die keinen Raum für sie hat.

Seit Gründung des Weimarer Kunstfestes 1990 gab es sieben Intendanz-Generationen. Nur zwei waren von Frauen besetzt. Aus der Taufe gehoben wurde es von Kari Kahl-Wolfsjäger und Sie haben es von 2004 bis 2013 geleitet. Ganz anders in Bonn. Hier sind Sie nach der Gründung der Internationalen Beethovenfeste Bonn 1998 in der Folge von drei Intendanzen nach Ilona Schmiel die zweite Frau. Warum haben es Frauen schwerer als Männer, in der Musikleitung Fuß zu fassen?

Das wird nun seit Jahrzehnten diskutiert, wobei es Frauen sowohl in der Opern- und Theater-Regie wie auch in der Leitung von Häusern inzwischen weit gebracht haben, sogar erfolgreiche Dirigentinnen gibt es mittlerweile, von Kuratorinnen und Museumsdirektorinnen gar nicht zu reden. Da hat sich viel verändert. In der Leitung von Musik-Festivals sieht es gemischt aus – und es sind wohl die alten Hemmnisse, die Frauen hier zu überwinden haben: ungenügendes Selbstbewusstsein und mangelndes Dominiergehabe. Frauen sind eher Teamplayer, Multitasking ist ihr täglich Brot, die Selbstausbeutung scheinen sie im Blut zu haben. Das verweist sie aber eben auf die zweite Ebene. Dort sind sie jedoch in Überzahl vorhanden, begabte junge Musikwissenschaftlerinnen und -Managerinnen gibt es zuhauf. Aber die Familienfrage kommt unweigerlich auf sie zu, und da wird es dann brenzlig.

Sie hätten 2001 Kultursenatorin von Hamburg werden können. Dieses Angebot nahmen Sie nicht an, weil Ihr Wunsch nach der Erhöhung des Kulturetats seinerzeit abgelehnt wurde. Zur Eröffnung des diesjährigen Beethovenfestes gab der Bonner Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan unter Hinweis auf den „Antrag einer Fraktion“ die Zusage, dieses Musikfest werde auch nach dem Jubiläumsjahr 2020 – dem 250. Geburtstag Beethovens – uneingeschränkt wie bisher mit einem Betrag von 1,6 Millionen Euro gefördert. Ist dieser Betrag bei anzunehmenden steigenden Kosten für eine Gestaltung auf dem gewohnten hohen künstlerischen Niveau im 3. Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts noch ausreichend?

Ganz klar: der Betrag reicht nicht aus für das größte und repräsentativste Musikfestival Nordrhein-Westfalens. Aber die Stadt Bonn ist hoch verschuldet und neue Lasten – wie die Sanierung der alten Beethovenhalle und des Opernhauses – kommen auf sie zu; überdies befindet sich hier die „Kultur“ in einem Dauer-Clinch mit der Sportfraktion. Das Beethovenfest ist also weiterhin abhängig von seinen Hauptsponsoren, Einzel-Sponsoren, und den Gaben von Kulturstiftungen – abhängig also vom Auf und Ab der wirtschaftlichen Konjunkturen. Das ist auf die Dauer kein Zustand, wenn Bonn „Beethovenstadt“ sein will. Daran könnte sich nur etwas ändern, wenn es mit Hilfe des Jubiläumsjahres 2020 gelingt, neue institutionelle Förderschienen zu erschließen.

Das Beethovenjubiläumsjahr 2020 fördert der Bund mit 27 Millionen Euro – mit dem Ziel einer nachhaltigen Wirkung. Wie kann aus Ihrer Sicht diese Nachhaltigkeit erreicht werden?

Vorerst investieren Bund, Land, Stadt und Rhein-Sieg-Kreis ja nur ins Jubiläumsjahr. Da darf dann auch Glanz und Lärm und so manches Exzentrische sein, ein Kulturhauptstadtsjahr ist zunächst mal zum Feiern da. Wirkliche „Nachhaltigkeit“ aber sähe folgendermaßen aus: es muss ein mittlerer und multipler Konzertsaal für etwa 500 bis 600 Besucher her – der fehlt schmerzlich! – und das Beethovenfest, von dem nicht nur Neuerungen, sondern auch ein Defilee großer Namen erwartet werden, muss in den Genuss einer kontinuierlichen Förderung von Land und Bund kommen. Bonn ist nun mal die einzige deutsche Stadt, die Beethoven für sich reklamieren kann – und mit welcher Künstlerfigur stände Deutschland besser da als mit dem Menschenrechtler Beethoven?

Ihre Kompetenz wird geschätzt, auch in der Bundeskulturpolitik. Von 2003 bis 2007 haben Sie als externe Sachverständige in der Enquête- Kommission „Kultur in Deutschland“ an der Bestandaufnahme zur Kultur in der Bundesrepublik mitgearbeitet. Vor diesem Hintergrund haben Sie damals im „Deutschlandfunk Kultur“ gesagt, man müsse dafür sorgen, „dass die Jungen in die Konzerte finden.“ Wie kann das erreicht werden?

Durch stetige und phantasievolle Musikvermittlungs-Programme der Opern- und Konzerthäuser und der einzelnen Festivals; für die Jugend und mit der Jugend – von Kindesbeinen an – wird da auch enorm viel getan, wird der drastisch mangelnde Schulunterricht vielfach aufgefangen. Auch die Wettbewerbe gehören dazu, wo die Jugend ihre eigenen Netzwerke auszubilden beginnt; auch die Förderprogramme der meisten Stiftungen und Unternehmen. Die meisten sind explizit darauf ausgerichtet, die Jugend zu erreichen – in einem Maß, dass wir heutzutage fast eine Schwemme von ausgezeichneten Musikern haben, und auch von Jugend-Ensembles und Orchestern. Da blüht die Landschaft! Aber eben auf dem freien Markt. Das Publikum – als Auslastungsfaktor – hält da kaum mit. Wir haben jedoch die tröstliche Erfahrung gemacht: wenn die Kinder und Jugendlichen einmal mit „Klassik“ in Berührung gekommen sind, kommen sie später wieder – nach ihrem Arbeitsleben. Es sind die Middle-Agers, die fehlen: die sind im Karriere-Stress.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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