ABSCHLUSSBERICHT DER WAHLRECHTSKOMMISSION : SPD, GRÜNE UND LINKE: Paritätsgesetz ist verfassungsrechtlich möglich und geboten

27. April 2023 // Holger H. Lührig

Die vom Bundestag zur Modernisierung des Wahlrechts eingesetzte Kommission hat festgestellt, dass der Frauenanteil im Parlament erhöht werden sollte. Die Kommission blieb aber uneins, auf welchem Wege das erreicht werden könnte. SPD, Grüne und Linke – im Gegensatz zu CDU/CSU, FDP und AfD - halten dazu eine Paritätsgesetzgebung für verfassungsrechtlich möglich und geboten. Hier der vorläufige Wortlaut der Kommissions-Empfehlung. Ausführliche Berichterstattung im Ausgabe 396 des zwd-POLITIKMAGAZINs.

Abschlussabstimmung der Wahlrechtskommission des Bundestages  am 27. April 2023 (Livestream BTG)
Abschlussabstimmung der Wahlrechtskommission des Bundestages am 27. April 2023 (Livestream BTG)

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion schlägt entsprechend den Vorschlägen der von ihr benannten Sachverständigen ein Maßnahmenbündel unterhalb der Schwelle einer verbindlichen (starren) Quote vor. Die FDP hält entsprechende Regelungen grundsätzlich für verfassungswidrig und befürwortet, es den Parteien als "Akt der Selbstorganisation" zu überlassen, sich auf Verfahren zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in der Politik zu verständigen.

Ausführlich berichten wir in Ausgabe 396 des zwd-POLITIKMAGAZINs über den Abschlussbericht der Wahlrechtsreform. Er soll am 4. Mai der Bundestagspräsidentin übergeben und dann veröffentlicht werden. Vorab publizieren wir die vorläufige Fassung der von der Kommission beschlossenen Empfehlungen zur gleichberechtigten Repräsentanz von Frauen und Männern im Bundestag.

Sie hat folgnden Wortlaut (ohne Fußnoten):

"4.3 Empfehlungen

Die Kommission stellt mehrheitlich fest:

1. Der Frauenanteil im Deutschen Bundestag sollte erhöht werden.

2. Hinsichtlich des konkreten Handlungsbedarfs bestand innerhalb der Kommission Uneinigkeit:

Die Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halten ein Paritätsgesetz für verfassungsrechtlich geboten und aus folgenden Gründen für zwingend notwendig: Mit einem Anteil von etwa 35 Prozent Frauen im Deutschen Bundestag liegt keine gleiche Teilhabe von Frauen und Männern vor. Bisher haben es nur wenige politische Parteien vermocht, hier eine Angleichung zu erreichen. Das Gleichstellungsgebot aus Artikel 3 Absatz 2 GG gilt auch für den politischen Prozess und sieht damit einen klaren Verfassungsauftrag vor, der derzeit nicht erfüllt wird und dem der aktuelle Zustand in den Parlamenten nicht entspricht. Angesichts der strukturellen Nachteile für Frauen in der Politik fehlt es an der gleichen Gestaltungsmöglichkeit und der Verwirklichung von bürgerschaftlicher Teilhabe am Staatswesen. Die grundgesetzliche Zielvorgabe, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu erreichen, verpflichtet dazu, sich diesem Auftrag anzunehmen und entsprechende Lösungen und Vorschläge zur Erfüllung des Auftrags vorzubringen. Damit wird die reale Möglichkeit von Frauen gestärkt, sich im politischen Wettbewerb durchzusetzen. Durch eine Paritätsgesetzgebung wirkt der Gesetzgeber darauf ein, wie die Parteien ihre verfassungsrechtliche Vorgabe aus Artikel 21 GG erfüllen, die personelle Vorauswahl für die demokratische Repräsentation durch das Parlament als Volksvertretung zu leisten. Die gleichmäßige Repräsentanz von Frauen kann darüber hinaus mit den Instrumenten der Parteienfinanzierung oder der Wahlkampfkostenerstattung zusätzlich gefördert werden.

Die Fraktion der FDP lehnt Regelungen im Wahlrecht, die eine Besetzung des Bundestages mit Personen eines bestimmten Geschlechts zu einem bestimmten Prozentsatz bewirken, ab und hält sie überdies für verfassungswidrig. Auch Regelungen im Rahmen der Parteienfinanzierung, die geschlechterparitätische Wahlvorschläge staatlicherseits finanziell honorieren, lehnt die Fraktion der FDP ab und hält sie überdies für verfassungswidrig. Sie empfiehlt dem Bundestag, es den Parteien als Akt der Selbstorganisation („von den Parteien für die Parteien“) zu überlassen, sich auf Verfahren oder Regeln einen Kodex zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in der Politik zu verständigen.

Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, ein Maßnahmenpaket unterhalb der Schwelle einer verbindlichen (starren) Quotenregelung zu ergreifen, um den Anteil von Frauen im Bundestag zu erhöhen. Dieses Paket könne folgende Maßnahmen vorsehen: Verabschiedung eines Kodex zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in der Politik durch die Bundestagsfraktionen; Einführung von Regelungen zu Mutterschutz; Elternzeit und Elterngeld im Abgeordnetengesetz des Bundes; Ergänzung des § 6 Absatz 2 PartG um eine Vorschrift, wonach es Satzungsvorschriften geben muss, die sich zum Thema „Gleichstellung“ verhalten; Schaffung finanzieller Anreize im Rahmen der Parteienfinanzierung für Parteien, die der parteiinternen Parität dienliche Maßnahmen ergreifen.


Die Fraktion DIE LINKE spricht sich für die Erreichung der Parität aus, indem ein Paritätsgesetz zur Chancengleichheit bei der Kandidatur eingeführt wird. Die Kandidatur ist notwendige Bedingung, um bei der Wahl überhaupt eine Möglichkeit zu haben gewählt zu werden. Die Zusammensetzung des Parlaments ist eine Frage des jeweils gewählten Wahlsystems. In dem beschlossenen Wahlrecht würde durch die unveränderbaren Listen die Chancengleichheit in der Kandidatur durch die Verteilung der Sitze an Wahlkreisbeste auf die paritätische Zusammensetzung des Bundestages Einfluss nehmen. In einem Modell veränderbarer Listen läge es in der Hand der Wählenden die Zusammensetzung des Parlaments zu bestimmen. Mit einem Paritätsgesetz, welches an die Chancengleichheit bei der Kandidatur anknüpft, wird in die Wahlrechtsgrundsätze und die Parteienfreiheit eingegriffen, es liegt aber eine Rechtfertigung für diese Eingriffe vor. Verfassungsrechtlicher Maßstab für eine Rechtfertigung von Gesetzen zur Chancengleichheit in der Kandidatur ist Art. 3 Abs. 2 GG als sachlich zwingender Grund, der von der Verfassung legitimiert und von einem Gewicht ist, welches dem Grundsatz der Wahlgleichheit die Waage halten kann. Das BVerfG hat im Hinblick auf das Verhältnis des Gleichstellungsgebotes des Art. 3 Abs. 2 S.2 und den Wahlrechtsgrundsätzen des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG ausgeführt: „Vielmehr spricht vieles dafür, dass sich diese Verfassungsgüter gleichrangig gegenüberstehen und es Sache des Gesetzgebers ist, zwischen ihnen einen angemessenen Ausgleich herbeizuführen.“ (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2020, 2 BvC 46/19, Rdn. 112). Insbesondere ist mit einem Gesetz zur Chancengleichheit in der Kandidatur im Hinblick auf die Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze und die Parteienfreiheit Verhältnismäßigkeit gewahrt. Die Eingriffe sind lediglich einschränkende Eingriffe, im Gegensatz zu suspendierenden Eingriffen wie z.B. der Sperrklausel oder Festlegung des Wahlrechts auf 18 Jahre. Diese Unterscheidung ist nicht banal, da das BVerfG abgestellt hat, dass sich das erlaubte Ausmaß „auch danach (richtet), mit welcher Intensität in das -gleiche- Wahlrecht eingegriffen wird (BVerfGE 121, 266, Rdn. 99)."

Ausführlich: zwd-POLITIKMAGAZIN, Ausgabe 396, die Anfang Mai erscheint.

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