KOMMENTAR: zwd-HERAUSGEBER HOLGER H. LÜHRIG : Thüringen vor der Wahl: Offene Gesellschaft contra völkischen Populismus

17. Oktober 2019 // Holger H. Lührig

Es ist schon bemerkenswert, wenn ein deutsches Gericht dem Spitzenkandidaten der AfD-Thüringen Björn Höcke bescheinigt, er könne ungestraft als „Faschist“ bezeichnet werden. Dies passt zur Faktenlage, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz den von Höcke angeführten „Flügel“ und die AfD-Jugendorganisation zum „Verdachtsfall“ deklariert hat.

Holger H. Lührig, zwd-Herausgeber
Holger H. Lührig, zwd-Herausgeber

zwd Berlin. Aber nicht nur die verfassungsfeindlichen ­Umtriebe innerhalb der AfD, sondern auch deren gezielte Infiltration in Polizei und Bundeswehr muss Sorgen bereiten. Dass fünf Polizisten auf der Landesliste der AfD in Thüringen antreten – vier davon auf aussichtsreichen Plätzen – hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf den Plan gerufen. Vergeblich habe man sich bemüht, von ihnen eine Abgrenzung gegenüber Höcke und seinem „Flügel“ zu erreichen, heißt es aus GdP-Kreisen.

In das Bild passt auch, dass sich aus den Ergebnissen der polizeilichen Kriminalstatistik herauslesen lässt, in welchem Maße rechtsterroristische Kreise und die sogenannte Identitäre Bewegung sich aufrüsten. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei geht hervor, dass bei der Aufarbeitung rechtsradikaler Straftaten im vergangenen Jahr 1.091 Waffen sichergestellt wurden (Vorjahr: 676). Im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Waffengesetz wurden 37.545 Tatverdächtige polizeilich ermittelt (+4,9 %), davon waren männlich 90,1 Prozent und deutscher Nationalität 75 Prozent. Bei Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz wurden 634 Tatverdächtige ermittelt (+11,8 %), der Anteil der deutschen Tatverdächtigen: 82,6 Prozent. Der statistische Anstieg zeigt zweierlei: Einerseits sind bessere Ermittlungserfolge erkennbar, andererseits ist die gestiegene Zahl festgestellter Waffen bei rechten Straftätern alarmierend. (Der rechtsextremistische Anschlag in Halle war, als dieser Kommentar geschrieben wurde, noch nicht geschehen – Red.).

Was hat das mit der Landtagswahl in Thüringen zu tun? Die geistigen Brandstifter in der sogenannten Alternative präsentieren sich dort als Wölfe im Schafspelz, indem sie sich mit einem Landtagswahlprogramm präsentieren, das an vielen Stellen scheinbar populäre „Volks“meinungen aufgreift, die in Wahrheit rechtes Stammtischgerede widerspiegeln. Es gilt also schon genauer hinzuschauen. Stichwort Innere Sicherheit: Die AfD ist, wen wundert‘s, klar gegen jede Verschärfung des Waffenrechts und ebenso für einen umfassenden Ausbau statt (angeblicher – Red.) „Gängelung“ der Polizei. Den Thüringer Verfassungsschutz setzt die AfD schon mal gleich mit dem Ministerium für Staatssicherheit(MfS) der ehemaligen DDR. Die AfD möchte – wie in anderen Ländern ähnlich – die Familie (mit Vater, Mutter, Kind) als „biologische und kulturelle Zentralstation der Gesellschaft“ wiederhergestellt wissen und bezeichnet die Genderforschung „als Wissenschaft getarnte Ideologieprogramme“ und als „Kennzeichen totalitärer Regime“. Eine absurde Argumentation. Und nicht nur das: Die AfD präsentiert sich nicht nur als rechtspopulistische, sondern auch als europafeindliche Partei, die das „Volk“ alsbald über den „Verbleib in der EU“ abstimmen lassen möchte. Die solches fordern, zielen nicht nur auf die Zerstörung der Europäischen Union ab, sondern auf die Grundlagen unseres Staatswesens. Nicht von ungefähr erhebt das AfD-Programm den Anspruch, „den Freistaat Thüringen grundsätzlich neu auszurichten“.

Es ist nun an den 1,73 Millionen Wahlberechtigten, darunter 75.000 Erstwähler*innen, sich ein Urteil zu bilden und am 27. Oktober ihre Stimme zu vergeben. Auf den folgenden Seiten haben wir – wie traditionell zu jeder Landtagswahl – wichtige frauen- und gleichstellungspolitische sowie bildungspolitische Fakten aus der abgelaufenen Legislaturperiode zusammengetragen und bilanziert. Ein Vergleich der Wahlprogramme komplettiert unser Wahl-Extra.

Es wird deutlich, dass die rot-rot-grüne Landesregierung unter Führung des einzigen aus der Linkspartei kommenden Ministerpräsidenten in Deutschland, Bodo Ramelow, eine achtbare Arbeitsbilanz hingelegt hat, die ein Weiterregieren rechtfertigen würde. In dem strukturkonservativen Land, das ein Vierteljahrhundert seit der Neugründung 1990 bis 2014 von der Union regiert wurde, könnte der auch jenseits des linken Spektrums hoch geachtete Ramelow, wenn er den Chefsessel in der Thüringer Staatskanzlei verteidigt, es dem (einzigen) grünen Regierungschef in Baden-Württemberg gleichtun. Die Wahlprognosen deuten darauf hin, dass die Linkspartei von der Schwäche der SPD zu profitieren scheint. Den Sozialdemokrat*innen mit ihrem Spitzenkandidaten, Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee, der in der Popularität nur wenig hinter dem Regierungschef rangiert, fehlt im historischen Stammland der Sozialdemokratie der notwendige Rückenwind aus Berlin – ähnlich wie auch dem CDU-Spitzenmann Mike Mohring.

Die Groko könnte diesen schon noch entfachen, wenn ihr sowohl beim Klimakompromiss als auch bei der Grundrente ein glaubwürdiger Durchbruch gelänge. Kluges, authentisches Regieren mit Ergebnissen, welche die Lage der Menschen und des Landes verbessern, sind und waren schon immer Bollwerke gegen die Rechtsextremisten. Gerade in Thüringen, wo die von Höcke geführten Rechtspopulisten beanspruchen, für ganz Deutschland zu sprechen, ist ein klares Votum zur Erhaltung einer freien und offenen Gesellschaft das Gebot der Stunde.

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