TRÜMMERFRAUEN : Ein Mythos, aber auch ein Aufbruch aus den traditionellen Frauenrollen nach 1945

16. Juni 2020 // Hildegard Lührig-Nockemann

Mit der Lage dä den ersten Jahren der Nachkriegszeit (1945/1946) beschäftigt sich zwd-Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann in ihrem zuerst im zwd-POLITIKMAGAZIN Nr. 378 am 31. Mai 2020 veröffentlichten Beitrag über den Mythos der Trümmerfrauen.

zwd Berlin. Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. In der ehemaligen DDR wurde er von Anfang an als Tag der Befreiung von Krieg und Diktatur gedeutet. In der Bundesrepublik tat man sich schwer mit dieser Definition. Doch spätestens mit seiner Rede zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges veränderte der damalige Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (CDU) das Bewusstsein der Deutschen. „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung […] von dem ­menschenveractenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Gleichzeitig lenkte er den Blick auf das „schwere Leiden für viele Menschen“ – auch auf das, das erst mit dem 8. Mai begonnen hatte.

Mit insgesamt 60 bis 70 Millionen Toten – darunter 6 Millionen Juden, hunderttausende Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung sowie politisch Andersdenkende – steht der Zweite Weltkrieg für eine Tragödie unendlichen Ausmaßes. In Deutschland verloren laut Statista 7,7 Millionen Menschen – darunter 2,167 Millionen Zivilisten – ihr Leben. 12 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge brauchten ein neues Zuhause. Dabei waren 5 Millionen Wohnungen zerstört oder beschädigt. 400 Millionen Kubikmeter Schutt türmten sich in den Großstädten. Auf den Trümmerbergen standen Frauen.

Die Trümmerfrauen – Ikonen einer Frauengeneration

Mit Schaufeln oder bloßen Händen trugen die Frauen den Schutt zerbombter Häuser ab. Sie schoben Loren, klopften Steine und schleppten Balken aus den Ruinen. Kaum 20 Jahre alt und älter als 60 Jahre waren sie – die Trümmerfrauen! Der Wiederaufbau der Städte nach dem Zweiten Weltkrieg ging größtenteils auf ihr Konto! So das idealisierte Bild und ein Mythos, der nicht der Realität entspricht, wie die Historikerin Leonie Treber in ihrer Dissertation belegt. Den Hauptanteil der Trümmerräumung erledigten Männer und Maschinen. Nur für einen kurzen Zeitraum und regional begrenzt waren Frauen eingesetzt. In größerer Zahl waren sie an der Räumung der Trümmer nur in Berlin und der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) beteiligt. Dennoch waren es immer noch weniger als fünf Prozent der Berliner Frauen im arbeitsfähigen Alter. In allen vier Besatzungszonen wurden ehemalige NSDAP-Mitglieder und Arbeitslose für die Aufräumarbeiten verpflichtet. Auch Frauen – jedoch in der Mehrzahl als Konsequenz des Männermangels – waren unter ihnen, unter den Arbeitslosen jedoch nur in Berlin, der SBZ und der britischen Zone. Freiwilligkeit schied also bei vielen Frauen aus. Bei den anderen war auch nicht Selbstlosigkeit die Motivation, sondern ihre soziale Notlage. Wenn es auch für die Schwerstarbeit nicht viel war, so verdienten sie doch 70 Pfennig pro Stunde und bekamen bessere Lebensmittelkarten und daher größere Rationen.

Beide Staaten haben den Mythos Trümmerfrau für ihre jeweiligen Bedürfnisse instrumentalisiert und eine ganze Frauengeneration zur Ikone erklärt. In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurden „die Trümmerfrauen“ schon mit Beginn der 50er Jahren zum Ideal der neuen gleichberechtigten Frau stilisiert. In der Bundesrepublik (BRD) spielte das Thema erst in den 80er Jahren eine Rolle. Sowohl in der Frauengeschichtsschreibung wie auch der rentenpolitischen Debatte wurde der Mythos der Trümmerfrauen – abgekoppelt von der Berliner und der SBZ-Realität – auf die Frauen aller vier Besatzungszonen ausgeweitet.

Der Verlust des Mythos „Trümmerfrau“ macht weder die seelischen Verletzungen der Frauen in der Nachkriegszeit vergessen noch schmälert er die Überlebensarbeit der Frauen in der Nachkriegszeit.

Vergewaltigung, Säuglingssterblichkeit, Vertreibung – Traumatisierungen der Nachkriegsjahre

Das Ende des Krieges bedeutete nicht auch das Ende von seelischen Verletzungen und Traumatisierungen. Nur Schätzungen liegen über die – oft von mehreren Männern hintereinander durchgeführten – Vergewaltigungen von Frauen vor, denn die Mehrzahl sprach nicht darüber. Von mindestens 860.000 weiblichen und auch etlichen männlichen Opfern geht die Historikerin Miriam Gebhardt in ihrem Buch „Als die Soldaten kamen“ aus. Das weitverbreitete Vorurteil, dass hauptsächlich die Rotarmisten zu Tätern wurden, widerlegen ihre Forschungsergebnisse. Frauen wurden auch Opfer sexueller Gewalt durch alliierte Soldaten, in mindestens 190.000 Fällen durch amerikanische. Viele von ihnen – Forscherinnen um die Filmemacherin Helke Sander gehen von 20 Prozent aus – wurden schwanger. Die Mehrzahl der Schwangerschaften wurde abgebrochen, oft unter entwürdigenden Verhältnissen. Mindestens 200.000 Kinder sollen aus ‚Beziehungen‘ zu Besatzern stammen, schätzen Historiker*innen. Die unverheirateten Mütter dieser „Besatzerkinder“ waren der Stigmatisierung ausgesetzt. Das lange Stillschweigen über dieses Thema begründet Gebhardt damit, dass weder Politiker*innen noch Wissenschaftler*innen sich gegenüber den Besatzungsmächten in den beiden deutschen Staaten illoyal zeigen wollten.

Die Kampfhandlungen waren eingestellt, der Kampf ums Leben – jetzt insbesondere das der Kinder – hielt an und wurde oft verloren. Im ersten Nachkriegsjahr 1946 mussten mehr als 10 Prozent der insgesamt 922.000 Neugeborenen von ihren Vätern und Müttern zu Grabe getragen werden, bevor sie das erste Lebensjahr erreicht haben. Der Osten Deutschlands war besonders stark betroffen. Während von 1.000 lebend Geborenen hier über 130 Säuglinge starben, waren es im Westen Deutschlands 97 Säuglinge, wie das Bundesinstitut für Bevölkerung (BiB) ausweist. Stärker gefährdet waren die männlichen Neugeborenen. 10,7 Prozent von ihnen erreichten das erste Lebensjahr nicht, während es bei den Mädchen 7,8 Prozent waren. Besonders häufig waren unverheiratete Mütter vom Tod ihrer Säuglinge betroffen. Hier lag die Sterblichkeitsrate nahezu doppelt so hoch (15,2 %) wie bei ehelich Geborenen (8,8 %) (Münchener Statistik). Unsäglich hoch war die Säuglingssterblichkeit bei den aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten Vertriebenen. Katastrophale Lebensbedingungen führten dazu, dass die im Sommer 1945 in Brandenburg Registrierten von zehn lebend geborenen Kindern neun während des ersten Lebensjahres verloren. Das geht aus einem Bericht der Gesundheitsverwaltung der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) hervor.

Mit dem Jahreswechsel 1944/45 setzte die Fluchtbewegung ein und erreichte im Herbst 1945 nach Abschluss des Potsdamer Abkommens einen neuen Höhepunkt. In mehreren Phasen verließen zahlreiche Trecks aus alten Menschen, Kindern und Müttern ihre Heimat.

Es waren Frauen, die überwiegend die Verantwortung übernahmen. Sie mussten miterleben, dass ca. 2 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge, darunter vor allem kleine Kinder, ums Leben kamen – nicht nur aufgrund von Hunger und Kälte, sondern auch von Vertreibungsverbrechen. Diejenigen, die oft unter dramatischen Umständen ans Ziel kamen, stießen nach anfänglichem Wohlwollen der einheimischen, selbst ausgebombten und unter Entbehrungen leidenden Bevölkerung auf Ressentiments.

Mutterfamilie, Ehescheidung, Berufstätigkeit – Zeichen einer neuen selbstbewussten Frauengeneration

Die Frauen, denen während des Nationalsozialismus die Rolle als Mutter und als Unterstützerin des Mannes (gesetzlich) verordnet worden war, legten diese Funktion schon während und unmittelbar nach dem Ende des 2. Weltkrieges ab – zum Teil wegen des Männermangels notgedrungen. Zerrüttete Geschlechterverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg – in Deutschland lebten 7 Millionen mehr Frauen als Männer – brachten die tradierten Geschlechterklischees ins Wanken und trugen dazu bei, dass Frauen eine neue Unabhängigkeit entwickelten.

Mutterfamilien gehörten zum Nachkriegsalltag. Aufgrund der toten, vermissten oder sich noch in Kriegsgefangenschaft befindenden Soldaten waren die Mütter gezwungen, die alleinige Verantwortung für ihre Kinder – in Deutschland 2,5 Millionen Halbwaisen – zu tragen. Der Männermangel führte auch dazu, dass eine Schwangerschaft nicht automatisch eine Ehe nach sich zog. So wurden 1946 in der SBZ 19,3 Prozent der Kinder nichtehelich geboren, in den westlichen Besatzungszonen 16,4 Prozent (Berechnungen des BiB). Die ledigen Mütter konnten das ökonomisch durch eigene Erwerbstätigkeit kompensieren, psychologisch waren sie im Westen mit Diffamierungen konfrontiert. Hier traute man ihnen oft nicht zu, ihrer Erziehungsverantwortung gerecht zu werden, während im Osten den nichtehelichen Kindern und ihren Müttern unvoreingenommen begegnet wurde.

„Neben vielen sonstigen Krisen geht auch die Krise der Ehe durch die Welt“, stellte DIE ZEIT vom 21.11.1946 fest. Das war tatsächlich die Realität, denn Frauen hielten nicht mehr selbstverständlich an der Ehe fest. Für sie war es nicht akzeptabel, ihre gerade gewonnene Freiheit und Selbstständigkeit gegen das Risiko einer Ehe aufzugeben. Viele der heimgekehrten Männer dagegen konnten nicht mit der neuen weiblichen Stärke umgehen. Das sichtbare Zeichen für ­diese Diskrepanz der jeweiligen Rollenerwartung war die Verdoppelung der Anzahl von Scheidungen im ersten Nachkriegsjahr im Vergleich zu 1939. Allein in Berlin lagen im ersten Halbjahr 1946 laut obiger ZEIT-Ausgabe 24.465 Ehescheidungsanträge vor. 1950 ließen sich in der neu gegründeten Bundesrepublik 84.740 Paare (15,8 %) scheiden, in der neu gegründeten Demokratischen Republik lag die Scheidungsrate mit 49.860 Trennungen mehr als sieben Prozentpunkte höher (Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, 15.12.2016).

Den ökonomischen Hintergrund für das Scheidungsverhalten in den ersten Nachkriegsjahren hatten sich die Frauen durch ihre Berufstätigkeit geschaffen. Oft arbeiteten sie in typischen Männerberufen. Allein in Berlin waren 60.000 Frauen im Baugewerbe tätig, in der britischen Besatzungszone 7.427 Frauen. Sie übten unter anderem Berufe als Dachdecker, Maurer, Tiefbauarbeiter oder Ziegler aus. Karin Böttcher vom Max-Planck-Institut bezifferte für das Jahr 1950 die Frauen-Erwerbsquote für Westdeutschland mit 43,7 Prozent, für Ostdeutschland mit 51,9 Prozent. In Thüringen legten 1946 1.793 Frauen die Meisterprüfung als Handwerkerin ab. Im selben Jahr hatte die sow­jetische Militäradministration die gleiche Entlohnung von Mann und Frau bei gleicher Arbeitsleistung angewiesen. Erleichtert wurde den Frauen die Berufstätigkeit mit einem bezahlten Hausarbeitstag pro Monat. Darauf bestand in Ostberlin ein Anspruch ab 1948. 1952 stellte ihn auch die DDR auf gesetzliche Füße für alle verheirateten Frauen. Unverheiratete Frauen mit Kind mussten bis 1965 auf dieses Privileg warten. Mit der Emanzipation der Frauen hatte das weniger zu tun, vielmehr wurden – da sich nicht wahlweise Mann oder Frau für den sogenannten Haushaltstag entscheiden konnten – die tradierten Rollenbilder zementiert.

Dennoch, die junge BRD war noch weiter von der Emanzipation der Frau entfernt, denn hier hatten die berufstätigen Frauen gegenüber dem Mann erhebliche Nachteile in Kauf zu nehmen. 1950 erhielten zum Beispiel Industriearbeiterinnen nur 59 Prozent des Lohnes von Industriearbeitern. In sogenannten Frauenlohngruppen wurden sie für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt als ihre männlichen Arbeitskollegen. Auch als diese 1955 durch das Bundesarbeitsgericht verboten wurden, bedeutete das für die Frauen keine Aufhebung der Diskriminierung, denn deren Ersatz durch sogenannte Leichtlohngruppen war nur ein Wechsel der Begrifflichkeit. Auch hier waren wiederum vor allem Frauen vertreten. Verheiratete Frauen wurden durch das „Doppelverdienergesetz“ ebenso wie durch die Zölibatsklausel für Beamtinnen wieder an den heimischen Herd zurückbeordert – im vermeintlichen Interesse der Familie.

Diese Entwicklung war ganz im Sinne des ersten Familien-ministers der BRD Franz Josef Wuermeling (CDU). Das DDR-Recht, das auch verheirateten Frauen explizit ein Recht auf eigene Berufstätigkeit garantierte, hielt er für fehlgeleitet. Seiner Auffassung nach war die Erwerbstätigkeit von Müttern ein „erzwungenes Unheil“. Bis heute ist das Synonym „Schlüsselkind“ bekannt, mit dem berufstätige Mütter und ihre Kinder in der Adenauer-Ära diffamiert wurden. Selbst zwei Jahre nachdem der Deutsche Bundestag das Gleichberechtigungsgesetz beschlossen hatte, erklärte Wuermeling 1959 immer noch „Mutterberuf ist Hauptberuf […] und hat höheren Wert als jeder Erwerbsberuf“.

Politische Verantwortung, Frauenausschüsse – Ausdruck der Emanzipationsbestrebungen

Ganz anders sahen das die Alliierten. Schon 1948 hatten die englischen Behörden in einem Schreiben vom 25. Mai den Stadtdirektor von Münster gemahnt, die Fähigkeiten der Frauen „­ueber die Aufgaben der Hausfrau hinaus“ zu nutzen und dafür Sorge zu tragen, dass bei den Kommunalwahlen „mehr Frauen an den oertlichen Regierungen teilhaben“. Doch ohne Erfolg, wie die Wahlen im Oktober 1948 zeigten! Von 33 Mitgliedern des Stadtrates waren nur zwei Frauen. Dieser Anteil von nur 6 Prozent – in Berlin waren es dagegen 25 Prozent – rief die Entrüstung der Münsteranerinnen auf den Plan. Vertreten durch Frauenverbände wiesen sie den Stadtrat mit Schreiben vom 3. November darauf hin, dass sie es in Anbetracht ihrer politischen Mündigkeit für recht und billig gehalten hätten, wenn man der Frau in so „schicksalhafter geschichtlicher Stunde einen entsprechenden Einfluss eingeräumt hätte bei Neuaufbau des Staates und in der Arbeit der Kommunen“ (Heide-Marie Lauterer im Internetportal „Westfälische Geschichte“).

Damit standen die Münsteranerinnen nicht allein. In allen vier Besatzungszonen erhoben Frauen den Anspruch, am Aufbau einer friedlichen demokratischen Republik mitzuarbeiten. Vielleicht als Relikt des Nationalsozialismus, als Frauen die Mitgliedschaft in der NSDAP verweigert wurde, trat nur ein Minimum in eine Partei ein. Dennoch wirkten im ersten deutschen Bundestag 29 Frauen – am Ende der Legislaturperiode 38 – von 410 Abgeordneten am politischen Wiederaufbau der neuen Bundesrepublik mit. Diesen 7 bzw. 9,3 Prozent stand in der Volkskammer der DDR ein Anteil von 23 Prozent gegenüber – 111 Frauen von 466 Abgeordneten. Diese Zahlen ­dokumentieren, dass Frauen im Politik-Machen zugelassen wurden, dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie viel Widerstand Männer aufboten, wenn Frauen politische Verantwortung, insbesondere in einem höheren politischen Amt übernehmen wollten. Nach nur vier Jahren wurde in der DDR die 1946 von der SED ausgegebene Verpflichtung, Frauen mit ­einer Mindestanzahl in Parteivorständen und Sekretariaten zu beteiligen, wieder abgeschafft. In Nordrhein-Westfalen verkündete der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer, damals CDU-Fraktionschef im NRW-Landtag, ganz unverblümt: „Es ist nicht wünschenswert, daß eine Frau das Kultusministerium Nordrhein-Westfalen führt“. Damit hatte er sich dezidiert gegen die Ernennung seiner Partei„freundin“ Christine Teusch zur Kultusministerin ausgesprochen. Dessen ungeachtet prägte „Frau Minister“ – wie Teusch sich ansprechen ließ – während ihrer Amtszeit von Dezember 1947 bis Juni 1954 die Schulpolitik des aus drei Bezirken gebildeten Bundeslandes Nord-rhein-Westfalen, in dem 80 Prozent der Schulen zerstört waren. Schon 1946 hatte die Sozialdemokratin Martha Fuchs als Minis­terin für Wissenschaft und Volksbildung vom Mai bis November die Verantwortung für das Erziehungs- und Bildungswesen in dem damals noch existierenden Land Braunschweig übernommen. Nach der Gründung des Landes Niedersachsen am 1. November 1946, in das Braunschweig integriert wurde, wurde sie als Staatskommissarin für das Flüchtlingswesen (mit Minis­terrang) ernannt. Leicht gemacht wurde ihr die eineinhalbjährige Amtsführung nicht, denn sie besaß weder einen eigenen Etat noch politische Entscheidungsgewalt. Dass änderte sich erst, als 1948 ein Flüchtlingsministerium geschaffen wurde, an dessen Spitze aber nicht sie, sondern ihr Parteigenosse Heinrich Albertz gesetzt wurde.

Es waren die Frauen, die gleich nach der Befreiung vom Faschismus politisches Denken und Handeln in organisatorische Formen gossen. Noch bevor die Besatzungsmächte ihr Okay zur Gründung der Parteien gegeben hatten, hatten sie mit deren Zustimmung an allen größeren Orten in den vier Besatzungszonen mehr als 5000 Frauenausschüsse gegründet. Neben der Bewältigung von Alltagsproblemen und der Erhaltung des Friedens ging es ihnen auch um die berufliche und politische Gleichstellung von Frauen. Gemeinsam wollten sie sich alle für den Fraueneinfluss in Politik und Wirtschaft stark machen. Dementsprechend galt schon für die überparteilichen – und im Osten auch antifaschistischen – Frauenausschüsse in allen vier Zonen, was im Oktober 1949 bei der Gründung des Deutschen Frauenrings in der Präambel seiner Satzung aufgenommen wurde: „Wir Frauen aller Nationen schließen uns […] hiermit zum Bund von Frauen aller Rassen, Nationen, Glaubensbekenntnisse und Klassen zusammen“ (Archiv der deutschen Frauenbewegung, AddF). Damals hatten sich in Bad Pyrmont 15 Frauenvereine zusammengeschlossen, nur aus den Westzonen und Westberlin. Zweieinhalb Jahre zuvor, im März 1947, hatten auf dem Gründungskongress des DFD im Admiralspalast in Berlin noch Delegierte aller vier Besatzungszonen teilgenommen und der DFD war für kurze Zeit die alleinige zonenübergreifende Frauenorganisation. Schon bald an die Richtlinien der SED gebunden, reduzierte sich der Einflussbereich der einzigen Frauenorganisation im Osten auf die SBZ und spätere DDR und entwickelte sich schließlich zu einer Massenorganisation im Gefolge der SED. Im Westen dagegen wurde die Überparteilichkeit und damit die Pluralität in Frage gestellt. Spätestens mit Beginn des Kalten Krieges löste sich die Vision einer unparteilichen Frauenarbeit auf. Die Kommunistinnen wurden ausgegrenzt.

In der DDR „Emanzipation von oben“, in der BRD „Emanzipation von unten“

In den ersten Nachkriegsjahren haben Frauen in allen vier Besatzungszonen – oft aus der Not heraus – das Überleben gesichert, Entscheidungen getroffen, Verantwortung übernom­men, sich in typischen Männerberufen bewiesen und politi­sche Weichen gestellt. Diese den frühen Nachkriegsjahren ge­­schul­dete Emanzipationsbewegung führte in beiden neuge­gründeten deutschen Staaten in den fünfziger Jahren nicht dazu, eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Privatbereich zu leben und nur in Ausnahmen dazu, politische Verant-wor­­tung zwischen Frauen und Männern zu teilen. In der jungen sozialistischen DDR jedoch wurde gemäß der Maxime von August Bebel „Dem Sozialismus gehört die Zukunft, das heißt in erster Linie dem Arbeiter und der Frau“ die Gleichstel­lung –vor allem in der Arbeitswelt von Beginn an in frauenpolitische Gesetze gegossen. Das sei eine „Emanzipation von oben“ gewesen, die von Männern gesteuert und dem öffentlichen Diskurs entzogen gewesen sei, sagt Dr. Rainer Geißler, emeritierter Professor für Soziologie. Der jungen BRD dagegen bescheinigt er eine „Emanzipation von unten“, die demokratisch-öffentlich erfolgt und von den Frauen selbst ausgegangen sei. Das hatte zur Folge, dass es nur gegen Widerstände und mit großen Zeitabständen gelang, die Gleichstellung der Frauen in Deutschland gesetzlich zu verankern. Häppchenweise, über Jahrzehnte verteilt, musste auf Initiative von Frauen – später mit Unterstützung einiger Männer – das aus dem 19. Jahrhundert stammende Frauenbild und dessen Rekonstruktion in der Adenauer-Ära überwunden werden.

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