EU-GEWALTSCHUTZRICHTLINIE : DF: „Vergewaltigung bleibt eine fatale Leerstelle“ - FDP blockierte

8. Februar 2024 // Ulrike Günther, Holger H. Lührig

EU-weite Mindeststandards zu Online-Stalking, Prävention sexueller Gewalt und Opfer-Betreuung – EU-Parlament (EP) und Europäischer Rat (EUCO) haben sich nach viel Verhandeln auf ein Gewaltschutzpaket geeinigt. Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Die Grünen) begrüßte die neue Richtlinie. Deutscher Frauenrat (DF), EU-Sozialdemokratie und -Liberale bemängelten den fehlenden Konsens zu Vergewaltigung. FDP-Justizminister Marco Buschmann blockierte aufseiten Deutschlands.

Junge Frauen demonstrieren in Barcelona für Frauenrechte.. - Bild: pxfuel.
Junge Frauen demonstrieren in Barcelona für Frauenrechte.. - Bild: pxfuel.

Buschmann machte „rechtliche Bedenken“ geltend

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) blockierte - mit Unterstützung von FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner - die in der Richtlinie vorgesehene Regelung, die über das in Deutschland geltende Recht hinausgehen würde. Dem Entwurf der EU-Richtlinie sollte die sogenannte „Ja heißt Ja“-Definition zugrunde gelegt werden, während das deutsche Strafrecht auf die „Nein ist Nein“-Variante abstellt. Die EU-Richtlinie hätte bewirkt, dass der Straftatbestand der Vergewaltigung nicht erst dann erfüllt ist, wenn eine Frau „Nein“ sagt. Fehlendes Einvernehmen wäre vielmehr auch dann gegeben, wenn die betroffene Frau dem Geschlechtsakt nicht ausdrücklich - also mit einem „Ja“ - zustimmt. In der Reaktion auf einen offenen Brief von 100 prominenten Frauen hatte Justizminister Buschmann seine Blockadehaltung "mit rechtlichen Bedenken" begründet. Seiner Meinung nach verfügten die EU-Institutionen „nicht über die notwendige Rechtsgrundlage“, Vergewaltigung über das in Deutschland und einigen anderen EU-Ländern geltende Recht hinaus zu definieren. Aufgrund des FDP-Vetos hatte sich die Bundesregierung der Aufnahme dieser laut Buschmann „fraglichen“ Bestimmung in den Entwurf widersetzt. Weil Deutschland ebenso wie Frankreich der weitergehenden Regelung nicht zustimmten, durfte diese aufgrund der fehlenden Mehrheit nicht in die EU-Richtlinie mit einbezogen werden.

Frauenministerin: Politische Gewaltschutz-Diskussion fortführen

Paus lobte gleichwohl die Übereinkunft der gesetzgebenden EU-Gremien als einen „Meilenstein für Frauen in Europa“. Die EU sende das eindeutige Signal, dass gegen Frauen gerichtete und im häuslichen Umfeld verübte Gewalt „konkret ein(zu)dämm(en)“ sei. Erstmalig gibt es damit laut der Bundesministerin in der gesamten EU Regeln zum Bekämpfen von Frauengewalt und „gemeinsame Mindeststandards“ zum Schutz von Opfern vor geschlechtsspezifischen Angriffen. Die „politische Auseinandersetzung“ für mehr Gewaltschutz werde jedoch weitergehen, bekräftigte Paus. Auf ihre Initiative hin habe sich das federführende Bundesjustizministerium mit dem Bundesfrauenministerium (BMFSFJ) ergänzend zur neuen EU-Richtlinie auf eine Evaluation des 2016 reformierten bundesdeutschen Sexualrechts verständigt, teilte das Frauenministerium mit. Noch in dieser Legislaturperiode solle ein Prüfauftrag erteilt werden, ob die Neuregelung gemäß der Formel „Nein heißt Nein“, wonach alle entgegen dem erkennbaren Willen ausgeführten sexuellen Handlungen strafbar sind, vollständig den Rechtsnormen der Istanbul-Konvention entspreche.

Nach Informationen des EP hatten EU-Parlament und -Ministerrat am 06. Februar einen „vorläufigen Kompromiss“ erreicht. Diese umfassten Maßnahmen zur Vorsorge gegen Vergewaltigung, strafrechtliche Vorgaben zu Zwangsheiraten und weiblicher Genitalverstümmelung (FGM), besondere Vorschriften gegen Internet-Kriminalität, z.B. Veröffentlichen von Intimbildern, sowie spezielle Hilfen für Opfer geschlechtsbezogener Gewalt zugunsten von mehr Sicherheit und besserer medizinischer Versorgung. Gegen den vom EUCO im Mai 2023 zum Entwurf der Europäischen Kommission (EK) vorgelegten Vorschlag, in dem der Vergewaltigungs-Tatbestand ersatzlos gestrichen war, hatten neben einer Reihe von EU-Mitgliedsländern, darunter Italien, Belgien und Griechenland, zahlreiche Feminist:innen und Frauenvereine in der Bundesrepublik und EU Protest (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) eingelegt.

Frauenrat: Richtlinie trotz „empörender" EUCO-Entscheidung relevant

Trotz grundsätzlicher Zustimmung kritisierte der DF ebenso wie die europäischen Sozialdemokrat:innen (S & D) und auch Liberale (Renew Europe), dass die im EU-Verfahren Verantwortlichen der Straftatbestand der Vergewaltigung nicht in den Geltungsbereich der Direktive aufgenommen haben. Sylvia Haller, Vorstandsmitglied im DF mit Arbeitsschwerpunkt Frauengewalt bezeichnete die Entscheidung, mit welcher der EUCO es abgelehnt habe, den Tatbestand in die Gewaltschutzrichtlinie einzubeziehen, als „empörend“. Dennoch sieht sie darin „ein wegweisendes Zeichen“, indem die Regelung die EU-Mitgliedsländer verpflichte, Schritte zum Beseitigen von Frauen- und häuslicher Gewalt zu unternehmen. Angesichts eines „drohenden Rechtsrucks“ bei der Europawahl in diesem Jahr bewertet Haller das als Erfolg.

ÖFR: Blockade einzelner EU-Länder „frauenpolitischer Backlash“

In der Blockade einer - vom EP mehrheitlich angestrebten – in der EU vereinheitlichten Bestimmung der Straftat Vergewaltigung auf der Basis von Zustimmung zu sexuellen Aktivitäten („Nur Ja heißt Ja“) durch „rechtskonservative und liberale Regierungen“ erkennt die Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings (ÖFR) Klaudia Frieben einen deutlichen „frauenpolitischen Backlash“, der „mit allen Mitteln“ zu bekämpfen sei. Obwohl die Übereinkunft nicht so ambitioniert, wie von S & D beabsichtigt, ausgefallen sei, schätzen die EU-Sozialdemokrat:innen diese als „konkreten Fortschritt für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt“. Nun verfüge man in der EU über ein Gesetzesinstrument, um gegen Frauen gerichtete Online-Gewalt, wie Cyber Stalking und Cyber Flashing (Überwachen/ Belästigen einer Person bzw. Senden obszöner Fotos im Internet) zu bekämpfen.

S & D: Bündnis „skandalös“, starke Überprüfungsklausel

Die EU-Sozialdemokrat:innen bedauerten hingegen, dass der EC ihre Forderung nach einem für die EU gültigen, auf Mangel an Einwilligung basierenden strafrechtlichen Begriff von Vergewaltigung zurückgewiesen habe. Anders als von einigen Mitgliedsländern behauptet, habe es ihrer Ansicht nach aber nicht an einer gesetzlichen Grundlage im EU-Recht, sondern vielmehr am „politischen Willen“ von führenden Regierungsvertreter/innen, wie dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron (Renaissance) und dem bundesdeutschen Justizminister Buschmann gefehlt. Die Chef-Berichterstatterin des EP zu geschlechtsbezogener Gewalt im Komitee für bürgerliche Freiheiten (LIBE-Ausschuss) Evin Incir (S & D) urteilte, es sei „skandalös“, dass das Bündnis der zwei Liberalen aus Frankreich und der Bundesrepublik mit einem „Anti-Liberalen“, dem ungarischen Premierminister Victor Orbán, einen solchen Fortschritt in der EU-Gesetzgebung verhindert hätten. Incir hob hervor, es sei andererseits gelungen, in die letztgültige Fassung Bestimmungen zur Prävention von Vergewaltigungen auf der Grundlage mangelnden Einvernehmens ebenso einzufügen wie „eine starke Revisionsklausel“, die es der Europäischen Kommission ermögliche, - nach der ersten Auswertung in fünf Jahren – einen neuen Gesetzesvorschlag zu machen, welcher durch den erhofften Paragraphen ergänzt werden könnte.

Liberale: EU-Staaten profitieren von Trainings für Behörden

Die Berichterstatterin für das Komitee Frauenrechte und Gleichstellung der Geschlechter (FEMM) Frances Fitzgerald (EPP) unterstrich die von der EU durch das beschlossene Gewaltschutzpaket übermittelte Botschaft, dass „wir Gewalt gegen Frauen als eine existenzielle Bedrohung unserer Sicherheit ernstnehmen“, und dass EU-Bevölkerung und leitende Gremien das nicht hinnehmen würden. LIBE-Komitee-Mitglied Lucia Ďuriš Nicholsonová (Renew Europe) wies darauf hin, dass verbesserter Opferschutz, Zugang zu Rechtsmitteln und Prävention für manche EU-Staaten „ein enormer Schritt vorwärts“ sein werde. Von verstärkten Schulungen von Staatsanwälten, Justiz- und Polizeibehörden würde z.B. ein Land wie die Slowakei „zweifellos profitieren“

Vereinfachte Strafanzeigen für Gewaltopfer

Die neue EU-Richtlinie legt nach Angaben des EP darüber hinaus die Gewalttaten erschwerende Umstände fest, wie gezielt entlang rassistischer, religiöser, sozialer etc. Merkmale diskriminierende Motive, und verpflichtet die EU-Staaten, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen unter Strafe fallen. Ebenso müssen EU-Länder professionelle Betreuung für Kinder gewährleisten, die Gewaltsituationen miterleben, Opfern einen weitreichenden Schutz der Privatsphäre in Strafprozessen und einen Anspruch auf Entschädigung durch die Täter/innen gewährleisten. Weitere Regeln betreffen Aussagen des EUCO zufolge u.a. einen vereinfachten Zugang zur Justiz und Opferbetreuung. Demnach sollen überall in der EU Leidtragende sexualisierter und häuslicher Tätlichkeiten Strafanzeigen erstatten können, einschließlich über Online-Meldungen und -Vorlage von Beweismitteln. Außerdem sind die Länder aufgefordert, Krisen-Center zum Beraten und Unterstützen von Vergewaltigungsopfern einrichten sowie eine rund um die Uhr erreichbare, nationale „Telefon-Hotline“ verfügbar machen. Nach den offiziellen Abläufen der EU-Gesetzgebung müssen EP und EUCO die Übereinkunft noch formell billigen, die Mitgliedsländer haben nach Inkrafttreten die Vorschriften innerhalb einer Frist von drei Jahren umzusetzen.

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