EUROPA VOR DER WAHL : Es geht um nichts weniger als um die Gleichstellung von Frauen und Männern

16. Mai 2019 // Holger H. Lührig

​Wer sich die Geschichte der Europäischen Union von seinen Anfängen mit der Montan-Union 1952 bis zur Europäischen Union mit ihren Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Lissabon vor Augen führt, kann nicht an der Vielzahl frauenpolitischer Errungenschaften vorbeisehen, die nicht nur auf europäischer Ebene, sondern vor allem auch für das nationale Recht der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft maßgeblich geworden sind.

zwd-Chefredakteur Holger H. Lührig.
zwd-Chefredakteur Holger H. Lührig.

zwd Berlin. Erinnert sei an

  • den seit 1957 geltenden Grundsatz, dass Männer und Frauen gleiches Entgelt für gleiche Arbeit erhalten sollten (Art. 157 des AEUV) und das Recht der EU, generell auf dem Gebiet der Chancengleichheit und Gleichbehandlung im Bereich Beschäftigung und Arbeit – also auch mit positiven Maßnahmen zur Stärkung der Rolle der Frauen – ­tätig zu werden (Art. 153 AEUV);
  • die Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels (Art. 79 und 83 AEUV) sowie an das Recht der EU, Maßnahmen zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen zu ergreifen und zu finanzieren (Art. 168 AEUV).

Gender Mainstreaming

Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft im besten Sinne unseres Grundgesetzes. Sie fördert die Gleichstellung von Frauen und Männern (Art. 2 und 3 Abs. 3 des EU-Vertrages), gestützt auch auf Art. 21 der Charta der Grundrechte der EU. Bei all ihren Tätigkeiten soll die EU nach Art. 8 AEUV darauf hinwirken, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern (Gender Mainstreaming).

Es ist diese Regelung des Amsterdamer Vertrages von 1997, die bei vielen Rechtspopulisten, aber auch bei einigen männerdominierten Parteien des konservativen ­Lagers, wenn sie auf die EU angesprochen werden, geradezu Hasstiraden auf die EU auslösen. Sie möchten das Rad der Geschichte zurückdrehen, zurück zur Staatengemeinschaft der EWG, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass gerade die EWG-Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19.12.1978 eine schrittweise Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit in Gang gesetzt hat.

Vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen der EU-Kommission zu bewerten, wieweit sie im Sinne von mehr Geschlechtergerechtigkeit wirksam geworden sind. Dabei ist kritisch anzumerken, dass die eingesetzten Instrumente in ihrer Wirksamkeit begrenzt waren: Zwar wurde ein mehrjähriger Finanzrahmen (MFR 2014-2020) und das zeitgleich angesetzte Programm „Gleichstellung, Rechte und Unionsbürgerschaft“ auf den Weg gebracht, doch der Aktionsplan für die Gleichstellung (2016-2020) blieb auf halber Strecke stehen, als es darum ging, einen verbindlichen Arbeitsrahmen für die Folgejahre bis 2025 zu verabschieden. Hier wurde deutlich, über welch begrenzte Handlungskompetenz die EU-Kommission verfügt. Sie ist stets abhängig von dem einstimmigen Votum des Europäischen Rates der Regierungschefs. Nicht selten führt der vorauseilende Gehorsam die Feder. Für uns in Deutschland ist beklemmend zuzusehen, dass sich gerade die deutsche Bundesregierung unter Angela Merkel und angesichts des Widerstandes der Unionsparteien dabei den Sonderpreis „Blockierer der EU“ erworben hat.

Demontage des Europäischen Hauses von innen

Ein Dorn im Auge ist den EU-Gegnern auch der Europäische Gerichtshof, der durch seine Rechtsprechung eine wichtige Rolle bei der Förderung der Gleichstellung spielt. Wenn Rechtsuchende bei den jeweiligen nationalen Gerichten nicht zum Zuge gekommen sind, bleibt ihnen der Weg zum EuGH als letzte Instanz. Die Gewaltenteilung als zentrales rechtsstaatliches Prinzip auf europäischer Ebene auszuhebeln und das nationale über das europäische Recht zu stellen, ist für die „Freunde“ des Europas der „Vater“länder ein Kernanliegen.

Nun haben sich die Rechtspopulisten – getreu den faschistische Vorbildern - dafür entschieden, in das Europäische Parlament einzuziehen. Sie wollen dessen Bühne nutzen, um das europäische Haus von innen zu demontieren. Was Wunder, wenn dabei gerade im Vorfeld der Wahlen die frauenpolitischen Errungenschaften ins Blickfeld der Rechten genommen wurden. Doch so stark werden sie nicht werden. Umso mehr wird es darauf ankommen, dass die Reformkräfte in Straßburg das Heft selbst in die Hand nehmen, bevor es ihnen aus der Hand geschlagen wird.

Wieviele Wählerinnen (und Wähler) wissen, was in Europa auf dem Spiel steht?

Wie viele Frauen bis zum 26. Mai an den Parlamentswahlen teilnehmen, lasst sich gegenwärtig nicht abschätzen. Nicht einmal, wie viele überhaupt wählen dürfen, hat das Statistische Amt der EU bislang benennen können. Die Auskunft auf zwd-Nachfrage lautete: 52 Prozent der Wahlberechtigten von etwa 417 Millionen EU-Bürger*innen. Was wissen die Wählerinnen von der Tragweite dieser Parlamentswahl? Ich fürchte, viel zu wenig. Auch wie viele Frauen für das Parlament kandidieren, oder gar auf aussichtsreichen Listenplätzen stehen, lässt sich nur mit umfänglichen Recherchekünsten abschätzen. Von einer Parität wird die europäische Volksvertretung sicherlich noch weit entfernt bleiben. Aber es gibt ein wenig Licht am Ende des Tunnels: Nach dem Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokrat*innen, Frans Timmermanns, hat auch sein Hauptkontrahent Manfred Weber (CSU/Europäischen Volkspartei) angekündigt, dass die nächste EU-Kommission paritätisch aus Frauen und Männern gebildet werden soll. Auch die Liberalen wollen – anders als in Deutschland – nicht abseits stehen und haben sich Timmermanns und Weber angeschlossen. Darauf dürfen wir nun hoffen.

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Die PDF-Datei des zwd-POLITIKMAGAZINs Nr. 369 finden Sie hier.

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