zwd-POLITIKMAGAZIN Nr. 377 : EU-Kommission macht Ernst mit der Gleichstellung

30. März 2020 // Redaktion

Diese Ausgabe steht im Zeichen neuer Chancen für einen frauen- und gleichstellungspolitisch Aufbruch, der sich genderfeindlichen und patriarchalen Beharrungstendenzen entgegenstellt. Das Jahr 2020 als Jahr der Gleichstellung?(!) Das klingt erst einmal hoffnungsvoll. Wir hinterfragen das anhand der Vorhaben von Bundesfrauenministerin Franziska Giffey einerseits und der gleichstellungspolitischen Strategie der Europäischen Kommission (EK) andererseits. Das andere große Thema: Schafft es die Politik, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2025 gesetzlich als obligatorisches Angebot festzuschreiben und mit den erforderlichen Ressourcen abzusichern?

DEUTSCHLAND UND EUROPA (Titelthema)


KOMMENTAR: zwd-HERAUSGEBER HOLGER H. LÜHRIG
Neuer Anlauf für die Frauenpolitik in Deutschland und Europa: 2020 könnte das Jahr der Gleichstellung werden...

zwd Berlin (ig). Am 20. Oktober vergangenen Jahres schoss das Nachrichtenmagazion „DER SPIEGEL“ eine Breitseite gegen Bundesministerin Franziska Giffey ab: „Was tut die Fauenministerin eigentlich für die Frauen?“ Sie sei doch nicht nur Bundesfamilienministerin, sondern auch Frauenministerin, fragte das Nachrichtenmagazin. Dass sie bei dem Thema „blass“ bleibe, „stört sie offenbar nicht“. Spiegel-Autorin Valerie Höhne moserte darüber, dass die Ministerin auf die Frage, ob sie sich als Feministin sehe, nicht mit einem uneingeschränkten „Ja“ geantwortet habe. Sie präsentiere sich vielmehr als Familienministerin und spreche vorzugsweise „über Kinder, über Vereinbarkeit von Familie und Beruf und über Mütter“. Giffey müsse sich – im Vergleich zu ihrer Vorgängerin Manuela Schwesig – mangelnde frauenpolitische Präsenz vorhalten. Der SPIEGEL vermeldete zugleich, auch in der SPD heiße es „hinter vorgehaltener Hand, frauenpolitisch sei zu wenig passiert“.
ab Seite 3

STRATEGIE DER GLEICHSTELLUNG DER GESCHLECHTER 2020 – 2025 FÜR EUROPA
EK will die Geschlechterperspektive in alle Politikbereiche konsequent einbeziehen

zwd Brüssel (no). Die Europäische Union nimmt weltweit eine Vorreiterrolle bei der Gleichstellung der Geschlechter ein. Für dieses gute Ergebnis sorgen Schweden und Dänemark, während Griechenland und Ungarn den Durchschnittswert enorm senken. Die EU-Kommission (EK) setzt nun programmatische Impulse, um in den Mitgliedstaaten wie auch in den EU-Gremien selbst Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen und Männern zu forcieren, – mit ihrer 24 Seiten umfassenden „Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020 – 2025“. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen löst damit ihr Versprechen ein, das sie vor ihrer Bestätigung durch das Europa-Parlament gegeben hat.
ab Seite 17

KERNAUSSAGEN AUS DER EK-GLEICHSTELLUNGSSTRATEGIE
Themenbereiche (Fakten und Zielplanungen):
1. Freiheit von Gewalt und Sterotypen
2. Entfaltung einer geschlechtergerechten Wirtschaft
3. Gleichberechtigte Führungsverantwortung in der Gesellschaft
... und welche Maßnahmen vom Parlament, Rat und den Mitgliedstaaten erwartet werden
ab Seite 18

BUNDESTAG



MEHR FRAUEN IN DEN DEUTSCHEN BUNDESTAG
Wahlrechtsreform nur mit Parität? (!)

zwd Berlin (ig). Bisher haben sich die Fraktionen des Bundestages nicht auf eine Wahlrechtsreform verständigen können. Einerseits geht es um die Verkleinerung des Bundestages, der nach Expertenschätzungen nach der nächsten Bundestagswahl mehr als 800 Abgeordnete zählen könnte. Gleichzeitig geht es um die Frage, mit welchen Lösungen erreicht werden kann, dass zukünftig mehr Frauen im Bundestag vertreten sind. Über das Ziel waren sich die Frauen im Bundestag einig, doch ein fraktionsübergreifendes Parlamentarierinnen-Bündnis (ohne Beteiligung der AfD) ist bisher gescheitert, weil die Frauen in der Unionsfraktion sich dort gegen die Männermehrheit nicht durchzusetzen vermochten. Jetzt hat die SPD-Bundestagsfraktion die Initiative ergriffen.
ab Seite 7

Wortlaut-Auszüge

  • Der Gruppenantrag der linken und grünen Frauen: Mehr Frauen in den Deutschen Bundestag
  • SPD: Eine faire und nachhaltige Wahlrechtsreform für Deutschland
    Seite 9

zwd-INTERVIEW: KAMPF UM DIE WAHLRECHTSREFORM
„Die Union muss ihren Widerstand aufgeben“ - zwd-FRAGEN AN KLARA GEYWITZ, STELLVERTRETENDE SPD-VORSITZENDE

zwd-POLITIKMAGAZIN (ig): Frau Geywitz, Sie haben innerhalb des Präsidiums Ihrer Partei unter anderem den Bereich Frauenpolitik übernommen. Im Brandenburgischen Landtag waren Sie im vergangenen Jahr maßgeblich an dem Zustandekommen des Paritätsgesetzes beteiligt. 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts ein wichtiger Schritt: Denn während das ­aktive Wahlrecht für Frauen seit 1919 selbstverständlich praktiziert wird, ist der Kampf um die gleichberechtigte Teilhabe am passiven Wahlrecht für Frauen immer noch nicht ausgefochten. Woran liegt es, dass der Frauenanteil im Bundestag und in einigen Landesparlamenten inzwischen sogar wieder rückläufig ist? Ist es eher ein Problem der Männer (in einigen Parteien) oder der Parteien generell?
Seite 10


FRAUEN & GLEICHSTELLUNG



KLEIN UND FEIN, DAS DARF ES NICHT SEIN - GASTBEITRAG DR. BARBARA STIEGLER
Der lange Weg zu einem unabhängigen Bundesinstitut für Gleichstellung

zwd Berlin. Bundesfrauenministerin Franziska Giffey hat in ihrer ersten Pressekonferenz dieses Jahres am 14. Januar in Berlin angekündigt, dass die im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD am 12. März 2018 getroffene Vereinbarung, ein Bundesinstitut für Gleichstellung zu errichten, in diesem Jahr umgesetzt werden soll. Sie denke dabei, sagte die Ministerin, an ein „kleines, feines Institut“, das zunächst einmal mit drei Mitarbeiter*innen auf den Weg gebracht werden solle. Die Ankündigung hat die Gender-Expertin Barbara Stiegler zum Anlass für einen Gastbeitrag in dieser Ausgabe des zwd-POLITIKMAGAZINs genommen.
ab Seite 5

GLEICHSTELLUNGSINDEX 2019
Weitab vom Ziel und mit Nachholbedarf: Auswärtiges Amt und Finanzministerium

zwd Wiesbaden (ug). Der Anteil von Frauen in Führungspositionen in den obersten Bundesbehörden ist zwar laut dem Gleichstellungsindex 2019 des Statistischen Bundesamtes (Destatis) gestiegen. Von der Gleichstellung sind die höchsten Ministerien und Ämter der Bundesverwaltung jedoch noch weit entfernt, kritisieren Frauenpolitikerinnen aus Regierung und Opposition.
ab Seite 11

RÜTTELN AM KOALITIONSVERTRAG
Bis 2025 Parität in den Leitungen der Bundes-unternehmen und mehr Frauen in die Vorstände der börsennotierten Großunternehmen

zwd Berlin (ig). In den Chefetagen der 70 wichtigsten Unternehmen der Republik ist die Stimmung „not amused“. Nach der Vorlage eines Referentenentwurfs zu einem Gesetzentwurf Frauen in Führungspositionen (FüPoG II) durch die sozialdemokratischen Bundesministerinnen Franziska Giffey (Frauen und Familie – BMFSFJ) und Christine Lambrecht (Justiz und Verbraucherschutz – BMJV) bringen sich die Quotengegner in CDU/CSU, FDP und AfD im Einklang mit den großen Dachorganisationen der Wirtschaft in Stellung. Denn jetzt geht es an das „Eingemachte“..
ab Seite 13

WAHLEN IN DER HANSESTADT
Frauenanteil höher denn je in neuer Bürgerschaft (43,9 Prozent)
zwd Hamburg (hk).
Hamburg kann auch die nächsten vier Jahre von einem rot-­grünen Bündnis regiert ­werden. Mit überwältigendem Vorsprung von 39,2 ­Prozent (SPD) und 24,2 ­Prozent (Grüne) hat die bisherige Koalition erneut den Regierungsauftrag erhalten. Als Erster Bürgermeister wird ­Peter Tschentscher (SPD) auch weiterhin an der Spitze der Hansestadt stehen.
Seite 15

THÜRINGEN
Ramelow will Paritätsgesetz aussetzen– um neues Wahlchaos zu vermeiden

zwd Erfurt (hk). Der am 4. März ­wieder ins Amt gewählte thüringische Ministerpräsident Bodo ­Ramelow (Linke) hat nach übereinstimmenden Medienberichten ­angekündigt, das vom Landtag im Juli vergangenen Jahres mit den Stimmen von Linken, SPD und Grünen beschlossene Paritätsgesetz für die im Jahre 2021 ­anstehende Landtagswahl auszusetzen. Die Mitteilung kommt jedoch nicht überraschend.
Seite 16


INTERNATIONALES



DIALOGFORUM UND 64. FRK-SITZUNG
Corona-Virus verkürzt Frauenrechts-Debatte

zwd Berlin (ug). Anlässlich der 64. Sitzung der Frauenrechtskommission (FRK) in New York haben Minister*innen und Regierungsvertreter*innen gefordert, die richtungsweisende Pekinger Deklaration umzusetzen. Doch Fortschritte im Kampf für Frauenrechte stellen sich nur allmählich ein. Politiker*innen wie Aktivist*innen verzeichneten sogar Rückschläge auf dem Weg zur echten Gleichstellung. Das Corona-Virus tat ein übriges: Die auf zwei Wochen anberaumte Debatte musste auf einen Tag verkürzt werden.
Seite 20


BILDUNG & POLITIK



BUND UND LÄNDER VOR FINANZVERFASSUNGSSTREIT
Rechtsanspruch auf Ganztag darf kein leeres Versprechen sein – doch wer bezahlt?

zwd Berlin (ig). Über die Finanzierung des von der GroKo geplanten Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung ab dem Jahre 2025 deutet sich ein harter Finanzverfassungsstreit zwischen Ländern und Bund an. Gegen den von der Bunderegierung auf den Weg gebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung eines Sondervermögens „Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter“ (Ganztagsfinanzierungsgesetz – GaFG) hat der Bundesrat erhebliche Einwände geltend gemacht. Im Bundestag gab es am 3. März mehr fragende Gesichter als Antworten.
ab Seite 21

KOMMENTAR zwd-CHEFREDAKTEURIN HILDA LÜHRIG-NOCKEMANN
Verlässliche Betreuung ist wichtig aber nicht ohne pädagogische Qualität

Der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz soll realisiert werden. Das sieht der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom März 2018 vor – ab dem Jahr 2025. ­Blicken wir zurück: Schon 2016 bestand eine „klare Diskrepanz zwischen vorhandenem Betreuungsangebot und den Bedarfen der Eltern“: Zwei Drittel aller Eltern wünschten sich einen Betreuungsplatz für ihre Kinder, aber nur 39 ­Prozent konnten einen solchen Platz in Anspruch nehmen – so der klare Hinweis des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in seiner damaligen Expertise „Ganztagsschulen in der ­Primarstufe“ auf das gravierende Fehlen von Ganztagsschulplätzen. Der Politik war das nicht neu, denn auch die KMK verfügte über entsprechende Zahlen. Im Jahr 2016 stand nur 40,1 Prozent aller Grundschüler*innen ein Ganztagsangebot zur Verfügung, 2018 war es auf 45,3 Prozent gestiegen. Doch auch wenn bis 2020 noch einmal von einer Steigerung des Betreuungsbedarfs um 5 Prozent auf 50,3 Prozent ausgegangen wird, hat immer noch die Hälfte aller Grundschüler*innen keine Chance auf einen Betreuungsplatz.
Seite 23

GANZTAGSGRUNDSCHULEN
Die Kinder im Blick: Ein Quantensprung für die pädagogischen Konzepte des Ganztags

zwd Berlin (no). Vom Jahr 2025 an soll es einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung geben. Die Umsetzung gestaltet sich schwierig, denn diesen Anspruch in eine gesetzliche Regelung zu gießen, obliegt der Verantwortung des Bundes. Hingegen müssen die Länder und Kommunen danach die praktische Umsetzung leisten. Dort besteht ein gewaltiges Gefälle im Hinblick auf die tatsächlichen Ganztagsangebote: Während sie in einigen Bundesländern schon jetzt zur Norma­lität gehören, ist in anderen Ländern zur Gewähr­leis­­tung des Rechtsanspruchs noch ein Quan­tensprung ­notwendig. Das zei­­gen die Ergebnisse der zwd-Recherche in den acht Ländern, die wir hier vorstellen – wie schon in der vorangegangenen Ausgabe des zwd-POLITIKMAGAZINs. Ein Rechtsanspruch darf jedoch nicht auf Quantität reduziert werden, sondern muss auch Qualität garantieren.
ab Seite 24

KOMMISSION LEBENSVERHÄLTNISSE (2)
In den Regionen mehr tun für gerechte Bildung

zwd Berlin (ug). Bildung sollte in allen Landesteilen die gleiche Qualität haben, darüber sind sich die Fraktionen des Bundestages einig. Der Bericht der Koalitionsregierung „Unser Plan für Deutschland“ macht jedoch deutlich: Auch im Bereich der Bildung gibt es regionale Unterschiede. Angesichts der von der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ aufgewiesenen Missstände fordern Union, SPD, Liberale, Grüne und Linke mehr Kooperation zwischen den Ländern, verbesserte ­Bildungsangebote und Ganztagsbetreuung. Unsere Berichterstattung knüpft an die Ausgabe 375 an.
ab Seite 27 Gabrysch

KINDERRECHTE INS GRUNDGESETZ
Zwei-Drittel-Mehrheit in Gefahr?

zwd Berlin (ug). Hinter den Kulissen des Bundestages wird über einen Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium diskutiert, der auf der Grundlage der Verhandlungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe im November 2019 mit dem Ziel erstellt wurde, die Rechte von Kindern im Grundgesetz (GG) zu verankern. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hat jetzt verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet. Ohnehin zeigen sowohl der Koalitionspartner CDU/CSU als auch die Oppositionsfraktionen aus unterschiedlichen Gründen nur wenig Neigung, dem BMJV-Entwurf zu folgen. Die für die Grundgesetzänderung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit scheint fraglich.

Seite 29

FRAUEN & KULTUR



250. GEBURTSTAG LUDWIG VAN BEETHOVENS – BTHVN 2020
Die Frauen im Leben des Komponisten
zwd Berlin (no). Wer war die „unsterbliche Geliebte“ von Ludwig van ­Beethoven? Darüber rätseln seit ­seinem Tod am 26. März 1827 bis zu seinem 250. Geburtstag, dem diesjährigen Beethoven-Jubiläum, die Musikhistoriker*innen und Biograf*innen. Gefunden wurde der (nie abgeschickte) Liebesbrief im Nachlass Beethovens von seinem Sekretär Anton Schindler. In dem dreiteiligen Brief findet sich aber kein Hinweis, wer mit „mein Engel, mein alles, mein Ich“, mit „mein theuerstes Wesen“ gemeint war.
ab Seite 30

DIE LETZTE SEITE
KUNSTHALLE SCHIRN, FRANKFURT: FANTASTISCHE FRAUEN - Gegen Ignoranz und Vergessensein

zwd Frankfurt/Main (ds). Die Frankfurter Schirn-Kunsthalle präsentiert bis zum 24. Mai Künstlerinnen des Surrealismus, die wenig bekannt und oft in ­Vergessenheit geraten sind. Unsere Redaktionskollegin Dagmar Schlapeit-Beck hat die Ausstellung vor der Schließung wegen der Corona-Pandemie (vorerst bis 14. April) besucht. Die Schirn Kunsthalle hat aus der Not eine Tugend gemacht und präsentiert nun ein „DIGITORIAL zur Ausstellung“ (https://schirn.de/fantastischefrauen/digitorial).

Seite 32


NAMEN SIND NACHRICHTEN

  • Prof.'in Dr. Sabine Gabrysch
  • Prof.'in Dr. Katja Becker
  • Prof.'in Dr. Maria Wersig
  • Dr. Katharina Wrohlich

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