PARAGRAF 219A StGB IM RECHTSAUSSCHUSS : Expert*innenstreit: Vier zu vier zu eins

17. August 2018 // Julia Trippo

Am 27. Juni haben neun Expert*innen vor dem Rechtsaus­schuss des Bundestages zum Paragrafen 219a Stellung bezogen und die Fragen der Abgeordneten beantwortet. In der öffentlichen Anhörung wurde eine hitzige Debatte um den Strafgesetzbuchparagrafen geführt, der Werbung und Informationen über Schwangerschaftsabbrüche durch Ärtz*innen verbietet. Hintergrund der Anhörung sind drei Gesetzentwürfe aus der Bundestagsopposition, die die Abschaffung beziehungsweise Änderung des Paragrafen fordern.

Kundgebung zur Abschaffung des Paragrafen 219a vom 22.02.2018 - Bild: zwd
Kundgebung zur Abschaffung des Paragrafen 219a vom 22.02.2018 - Bild: zwd

zwd Berlin. Die eingeladenen Expert*innen vertraten verschiedene Fachrichtungen aus Medizin, Recht, der katholischen Kirche und Zivilgesellschaft. Ulrike Lembke vom Deutschen Juristinnenbund (djb) sah in dem derzeitigen Gesetz keine Möglichkeit zur sachlichen Information von Ärzt*innen. 219a unterscheide „nicht zwischen Werbung und sachlicher Information für rechtswidrige, rechtmäßige oder tatbestands­lose Schwangerschaftsabbrüche“ beklagte die Juristin. Sie wies darauf hin, dass die heutige inhaltliche Fassung des Paragrafen aus dem Jahre 1974 veraltet sei. In der digitalisierten Informationsgesellschaft sei eine Neureglung geboten.

Ebenso wie Lembke sprach sich Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg, für eine Strei­chung des Paragraphen aus und forderte eine Neuregelung für anstößige Werbung im Ordnungswi­drigkeitsgesetz. Merkel bewertete die Verurteilung von Ärzt*innen als verfassungswidrig. Damit stimmten beide Expert*innen mit den Forderungen der Linken- und Grünen-Fraktionen überein, die eine Abschaffung des Paragrafen verlangen.

Der Rechtswissenschaftsprofessor Thomas Weigend befürwortete die Reformierung des Paragrafen gemäß des FDP-Gesetzesentwurfes, der den Paragrafen auf ein Werbeverbot redu­ziert, um aggressive Werbung zu untersagen. Demgegenüber plädierten die Vertreterin des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Katharina Jestaedt, und der Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Michael Kiworr, für eine Beibehaltung der derzeitigen Gesetzeslage. Jestaedt warnte vor der Gefahr „unkontrollierter, privater Werbung“, sollte die staatliche Aufsicht nicht mehr gegeben sein. Kiworr teilte ihre Argumentation, dass Sachinformationen und Werbung schwer von einander zu trennen sein.

Kiworrs Kollegin, die Berliner Gynäkologin Christiane Tennhardt, sprach sich für eine Streichung der Regelung aus. Sie gab zu bedenken, dass durch potenzielle rechtliche Ver­urteilungen gemäß Paragraf 219a eine Bedrohung für Ärzt*innen entstehe. Demnach schaffe dies ein Klima, in dem Ärzt*innen den medizinischen Eingriff des Schwangerschaftsabbruchs vermehrt nicht mehr durchführten. Dies führe zu uneinheitlichen Standards und unzureichender Forschung.

Protestaktion auf Zuschauertribüne

Wie sehr das Thema polarisierte, war nicht nur an der Bandbreite der vertretenen Positionen offensichtlich. Mitglieder des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung erhielten aufgrund einer Protestaktion einen Saalverweis. Die Aktivist*innen standen inmitten der Anhörung auf, um bedruckte T-Shirts für die Abschaffung des Paragrafen zu präsentieren und hielten sich symbolisch den Mund zu. Der Ausschussvorsitzende Stephan Brandner (AfD), der die Gästetribüne mehrmals zum Stillschweigen ermahnt hatte, ließ die Protestierenden schließlich von der Polizei aus dem Saal führen. Wie im zwd-POLITIKMAGAZIN (Nr. 358/März 2018) berichtet, rückte der Paragraf 219a im letzten Jahr in den Fokus, nachdem das Landgericht Gießen die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt hatte, weil diese auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informiert hatte. Dem Bundestag liegen drei Gesetzentwürfe der Linken, Grünen und FDP vor, die im Rechtsausschuss federführend bearbeitet werden.

Artikel als E-Mail versenden