EFI-JAHRESGUTACHTEN [UPDATE] : Fachkräftemangel droht: Mehr Dynamik bei der digitalen Bildung angemahnt

28. Februar 2018 // ticker

Der Bedarf an Fachkräften in Deutschland, die den digitalen Wandel aktiv gestalten sollen, ist hoch. Digitaler Bildung kommt daher eine entscheidende Bedeutung zu. Das geht aus dem Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung Innovation (EFI) hervor, das am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.

Bild: zwd
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zwd Berlin. „Vor uns stehen große Herausforderungen durch neue digitale Technologien auf Basis von künstlicher Intelligenz, autonomer Systeme, Robotik, Big Data oder Cloud Computing, die künftig Deutschlands bisherige Spezialisierungsvorteile in Frage stellen und zugleich aber auch neue Geschäftsmodelle ermöglichen“, betonte der Vorsitzende der Expertenkommission, Prof. Dietmar Harhoff vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb. Den neuen digitalen Anforderungen müsse sich deshalb auch das deutsche Bildungs- und Weiterbildungssystem stellen: „Fähigkeiten in Software- und Algorithmen-Entwicklung bzw. entsprechend qualifizierte Fachkräfte mit digitalen ‚Schlüsselkompetenzen‘ sind wichtige Voraussetzungen für Produktivitätswachstum und Innovation in alten wie in neuen Branchen.“

Hinsichtlich der Berechnung des Fachkräftebedarfs erlaube die Verwendung von Statistiken zu IT-Fachkräften im engeren Sinne bestenfalls eine konservative Abschätzung, da sich neu entwickelnde Berufsgruppen wie die der „Datenwissenschaftler“ in diesen Statistiken bisher nicht erfasst werden. Aber allein die auf IT-Fachkräfte im engeren Sinne bezogenen Zahlen seien eindeutig: Laut einer Umfrage beklagten Ende 2016 bereits 70 Prozent der deutschen Unternehmen einen wachsenden IT-Fachkräftemangel. Demnach waren 51.000 Stellen für IT-Fachkräfte unbesetzt, etwa 20 Prozent mehr als im Vorjahr und 35 Prozent mehr als im Durchschnitt der vorangegangenen neun Jahre. Darüber hinaus stieg die Anzahl ausgeschriebener Stellen für IT-Fachkräfte zwischen August 2016 und August 2017 um 20 Prozent. Jede dritte IT-Stelle ist länger als 60 Tage ausgeschrieben, also offenbar nur schwer zu besetzen.

Verschränkung mit anderen Fähigkeiten nötig

Zudem sei in vielen weiteren Berufen inzwischen auch die Fähigkeit zur Erstellung von Software erforderlich, so die EFI. Allerdings reiche ein Fokus auf Software allein nicht aus – vielmehr sei eine Verschränkung mit anderen Fähigkeiten nötig. „In jedem Fall muss das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften durch verbesserte digitale Bildung an den Schulen und Hochschulen, in der dualen Berufsausbildung und der Weiterbildung erhöht werden“, sagte Prof.´in Uschi Backes-Gellner von der Universität Zürich und Mitglied der Kommission. Sie warnte dabei vor einem möglichen „digitalen Analphabetentum“, das es zu verhindern gelte. „Schüler müssen zudem schon möglichst früh in die Lage versetzt werden, mit persönlichen Daten verantwortungsbewusst umzugehen.“

Das Schulfach Informatik, sofern überhaupt angeboten, werde in Deutschland frühestens ab der Sekundarstufe I und damit zu spät unterrichtet. Prof. Backes-Gellner weiter: „Zudem sind IT-Ausstattung und -Wartung sowie Internetzugänge an vielen Schulen, trotz eines leicht positiven Trends in den letzten Jahren, verbesserungsbedürftig. Auch die didaktische Weiterbildung der Lehrenden im Hinblick auf die sich stetig wandelnden IT-Inhalte ist stark verbesserungswürdig.“

Digitalkunde sollte bereits in der Grundschule gelehrt werden

Die Expertenkommission mahnte insbesondere bei „Schulen, dem Grundstein für die digitale Wissensgesellschaft“, eine deutlich höhere Dynamik an: Für einen frühen Beginn der Digitalkunde bereits in der Grundschule; für eine bessere Ausstattung der Schulen mit Computertechnik und Breitband-Internetzugängen; für Lernsoftware, -plattformen und -medien; für die Weiterbildung von Lehrpersonal und für neue Lehrpläne in Schulen und Berufsschulen. „Hier muss jetzt geklotzt und nicht gekleckert werden“, forderte Kommissionschef Harhoff. Deutschland falle sonst hinter anderen Ländern weiter zurück.

Die Expertenkommission begrüßte, dass die Bundesregierung digitale Schlüsselkompetenzen als Qualifikationsanforderung einer zunehmend digital geprägten Arbeitswelt ausdrücklich anerkenne. Sie sieht jedoch weiterhin einen großen Handlungsbedarf beim Ausbau der digitalen Bildung durch Bund und Länder.

Die stellvertretenden bildungspolitischen Sprecher*innen der SPD-Bundestagsfraktion, René Röspel und Manja Schüle, begrüßten die Empfehlungen der EFI; diese deckten sich mit SPD Zielen: „Eine schnelle Realisierung des Digitalpakts Schule ist hier ein erster Schritt für den Bund. Auch die Nutzung des neuen Artikels 91b GG zur Förderung von Hochschulen vor dem Hintergrund der Digitalisierung ist im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union geplant.“ Auch die im Gutachten formulierten Hinweise zur Robotik und Künstlichen Intelligenz seien wichtig für die Politik.

FDP: „Gutachten legt innovationspolitische Sünden von Union und SPD gnadenlos offen“

„Das Gutachten macht die jahrelangen Versäumnisse der bisherigen Forschungs- und Entwicklungspolitik der Bundesregierung deutlich: Bei digitaler Bildung hinkt Deutschland im internationalen Vergleich seit Jahren hinterher, die fehlende Breitbandversorgung bremst die Innovationskraft der Unternehmen aus und die längst überfällige steuerliche Forschungsförderung wird seit Jahren nur angekündigt statt eingeführt“, kritisierte Kai Gehring, forschungspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion angesichts des EFI-Gutachtens. Gerade kleine und mittlere Unternehmen warteten schon viel zu lange auf diesen wichtigen Anschub für ihre Forschungsaktivitäten. „Damit die enormen Innovationspotenziale in unserem Land tatsächlich ausgeschöpft werden, darf die Bundesregierung nicht länger nur ankündigen, sondern muss endlich anpacken“, mahnte Gehring.

Auch Thomas Sattelberger, forschungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sieht im Gutachten eine „schonungslose Offenlegung der innovationspolitischen Sünden von Union und SPD“. Statt Unternehmen mit neuartigen Produkten und Dienstleistungen den Marktzugang zu erleichtern, regulietren und erschwerten sie ihn. „Statt an der Spitze des Forschungszugs sitzt die Bundesregierung im Schlafwagen. Es fehlen Visionen, Förderung von Sprunginnovation und Experimentierfreude“, so Sattelberger. Das EFI-Gutachten liefere dafür ein breites Lösungs-Repertoire, dass die Fraktion der Liberalen teile: „Etwa Forschung steuerlich zu fördern, Technologietransfer zu unterstützen, Versicherungen und Pensionsfonds Wagniskapital-Investments zu erlauben.“

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