GESETZ KOALITION : Fit für den Wandel: Berufliche Weiterbildung soll Chancen auf dem Arbeitsmarkt sichern

24. April 2020 // Ulrike Günther

Schwache Konjunktur und COVID-19, Strukturwandel und Klimaziele: Der Bundestag will Erwerbstätige für die Herausforderungen einer veränderlichen, digitalisierten und umweltschonenden Arbeitswelt wappnen. Ein vom Parlament am Donnerstag (23. April) beschlossenes Gesetz soll den Zugang von Arbeitnehmer*innen zu Fortbildungen erleichtern und die Möglichkeiten geförderter Ausbildungen erweitern.

Erwerbstätige bei einem Weiterbildungskurs - Bild: flickr / Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken
Erwerbstätige bei einem Weiterbildungskurs - Bild: flickr / Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken

zwd Berlin. Laut Gesetzesvorlage der Koalition (Drs. 19/17740) sind umfangreiche Maßnahmen geplant, Beschäftigte zu qualifizieren und Fachkräfte durch berufliche Weiterbildungen für neue Aufgaben auf dem Arbeitsmarkt tauglich zu machen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) stellte das neue Gesetz insbesondere in den Zusammenhang der Corona-Krise, die seiner Ansicht nach „den Strukturwandel unserer Wirtschaft (…) massiv beschleunigen“ wird.

Bestimmte Trends der heutigen Wirtschaft, wie die verbreitete Anwendung digitaler und anderer, hochentwickelter Technologien, würden die Gesellschaft schneller erreichen, als vor der Corona-Krise vermutet. Um so wichtiger sei es laut Heil, Arbeitnehmer*innen durch Qualifizierungen die Chance zu geben, sich auf dem künftigen Berufsmarkt zu bewähren. „Es geht darum, dass wir (…) die Unterstützung von Unternehmen und Beschäftigten im Strukturwandel, was Investitionen in Weiterbildung betrifft, massiv verstärken“, betonte der Arbeitsminister.

Qualifizierungen sollen Arbeitskräfte an Anforderungen anpassen

Die Unionsabgeordnete Antje Lezius hob in der Debatte besonders die beschleunigte Geschwindigkeit hervor, mit dem sich die moderne Arbeitswelt zugleich mit dem technischen Fortschritt wandele. Sie bezog sich auf Studien, denen zufolge zwei Drittel der Beschäftigten fortdauernd ihre beruflichen Fähigkeiten den geänderten Bedingungen auf dem Berufsmarkt anpassen müssten. Durch das neue Gesetz sollten „weitere zielgerichtete Qualifizierungsmaßnahmen ermöglicht und so die langfristige Beschäftigungsfähigkeit gesichert“ werden, bekräftigte das Mitglied in der Enquete-Kommission Berufliche Bildung Lezius die Aufgabe, die sich die Koalitionsfraktionen mit dem Vorhaben gesteckt haben.

Eine wesentliche Grundlage für das Gesetz bildet die vom Bundesarbeitsministerium (BMAS) gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung im Sommer 2019 erarbeitete Nationale Weiterbildungsstrategie, welche für alle potenziellen Erwerbstätigen gleiche und gerechte Chancen in der modernen Berufswelt schaffen soll. Die bisher in der Arbeitsmarktpolitik eingesetzten Förderinstrumente, wie die im Qualifizierungschancengesetz getroffenen Regelungen, entwickelt der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen weiter und versucht vor allem, Weiterbildungen für Erwerbstätige besonderen Situationen besser zugänglich zu machen.

Ebenso liegt es in der Absicht von Union und SPD, mit dem neuen Gesetz Erwerbstätige in bestimmten Berufsfeldern dabei zu unterstützen, den Übergang in neue Arbeitsgebiete zu vollziehen. Dadurch wollen die Koalitionspartner dazu beitragen, Arbeitsplätze in der modernen, von rasanter wirtschaftlich-technischer Entwicklung geprägten Berufswelt zu sichern. Für den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen stimmten nach zweiter und dritter Lesung gemäß Beschlussempfehlung (Drs. 19/18753) außer Union und SPD auch FDP und Bündnis 90/Die Grünen, die übrigen Fraktionen enthielten sich. Der am 22. April in den Arbeitsausschuss überwiesene Gesetzesvorschlag der Regierung (Drs. 19/18076) wurde für hinfällig erklärt.

FDP: Digitale Regelungen für Gremien und Ämter sind überfällig

Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Johannes Vogel wies ausdrücklich auf vom Gesetz geschaffene „neue Hinzuverdienstmöglichkeiten“ im Rahmen von Kurzarbeit hin. Insbesondere begrüßte er die dem Gesetz vom Ausschuss Arbeit und Soziales anlässlich der Corona-Krise hinzugefügten digitalen Neuerungen, wie die rechtmäßige Teilnahme an Betriebsratssitzungen sowie Entschlussfindung solcher Gremien per Video- oder Telefonkonferenzen, als „überfällige Modernisierung“. Vogel kritisierte jedoch, dass diese Sonderregelungen bis zum Dezember 2020 befristet seien. Die Krise zeige, dass – in Hinsicht auf digitalisierte Abläufe – „ganz viel möglich ist, was angeblich gar nicht möglich war“, unterstrich der Sprecher der Liberalen und forderte, man solle auch bei Ämtern und Behörden „grundsätzlich (…) alle Vorspracheerfordernisse aus den Gesetzen tilgen“.

Mit dem Gesetz fördert die Regierung verstärkt lebensbegleitendes Lernen und Fortbildungen als entscheidende Hilfsmittel, um ArbeitnehmerInnen unabhängig von ihrem Lebensalter an den strukturellen Wandel im Berufsleben anzupassen. Wenn in einem Betrieb eine größere Menge von Angestellten erweiterter beruflicher Kompetenzen bedarf, wird das Unternehmen künftig höhere Zuschüsse zu den erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen erhalten. Arbeitgeber*innen wie Beschäftigte können Anträge auf Weiterbildungskurse nach einem vereinfachten Verfahren stellen und bewilligt bekommen. Darüber hinaus werden innerhalb der sog. Transfergesellschaften über das neue Gesetz von Arbeitslosigkeit bedrohte Beschäftigte egal welchen Alters oder welcher Vorausbildung förderfähig gemacht. Menschen mit geringer beruflicher Qualifikation wird ein Rechtsanspruch auf eine durch Arbeitsagentur oder Jobcenter geförderte Weiterbildung mit Bezug auf einen Berufsabschluss gewährt.

Grüne und Linke fordern Rechtsanspruch auf Weiterbildung

Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion Sabine Zimmermann kritisierte, die Bundesregierung setze „die Hürden für das Recht auf Weiterbildung so hoch“ an, so dass nur wenige davon profitieren würden. Zimmermann sieht hier den Bedarf, das Gesetz nachzubessern, da es der durch krisenbedingten Konjunkturrückgang angespannten Lage sowie den durch Klimawandel und digitale Technik gesteigerten Ansprüchen im Arbeitsleben nicht gerecht werde. In einem ebenfalls dem Parlament vorgelegten Antrag (Drs. 19/17753) schlagen die Linken daher vor, einen allgemeinen Rechtsanspruch auf Fortbildungen und ein Weiterbildungsgeld einzuführen.

Demnach sollen Arbeitslosengeld (ALG) -Empfänger*innen während der Fortbildungsmaßnahme 90 Prozent ihres Nettoarbeitslohnes erhalten, mindestens jedoch jeden Monat 200 Euro zusätzlich zum ALG I bzw. ALG II. In einem weiteren Antrag (Drs. 19/16456) entwerfen die Linken u.a. das Modell eines speziell an von Transformationen betroffene Unternehmen zu zahlenden Kurzarbeitergeldes, das es den Angestellten ermöglicht, sich zusätzliche Qualifikationen zu erwerben, und das gleichzeitig mit einem Rechtsanspruch der Betroffenen auf die erforderliche Weiterbildung verbunden ist.

Wie die Liberalen unterstützt die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen das Gesetz der Koalition. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Wolfgang Strengmann-Kuhn verlangte aber mit Blick auf die zu schwachen Wirkungen etwa des Qualifizierungschancengesetzes von 2018 „die darin enthaltenen Maßnahmen noch nachzuschärfen“. Aus Sicht der Grünen reichen die im Gesetz verankerten Regelungen noch nicht. Deshalb verlangen sie wie die Linken in einem eigenen Antrag (Drs. 19/17522) einen gesetzlichen Anspruch auf Weiterbildung, verknüpft mit dem Recht der Erwerbstätigen, für die Dauer der Qualifizierungsmaßnahme von der Berufstätigkeit freigestellt zu werden oder in Teilzeit zu arbeiten und dabei besser sozial abgesichert zu sein als bisher.

Regierung darf Bezug von Kurzarbeitergeld auf 24 Monate verlängern

Über eine Sonderverordnung wird die Regierung durch das Gesetz ermächtigt, für Zeiten der Krise der Erhalt von Kurzarbeitergeld über die bisher höchste Bezugsdauer von 12 Monaten hinaus auf 24 Monate zu verlängern. Zudem zielt das neue Gesetz darauf ab, die Förderung beruflicher Ausbildungen weiter zu stärken. Die sog. Assistierte Ausbildung, welche jungen Leuten, unabhängig von Schulabschlüssen oder Zeugnissen, eine berufliche Perspektive bietet, wird gemäß der vom Bundestag angenommenen Gesetzesvorlage weiterentwickelt und verstetigt. Auch Grenzgänger*innen, die in Deutschland eine Ausbildung absolvieren, soll diese Möglichkeit nun offenstehen. Betrieben Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten soll für diese als Anreiz dienen, zeitweilig in Kurzarbeit Tätigen Weiterbildungsantebote zu machen.

Durch das Gesetz entstehen voraussichtlich Mehrkosten im Bundeshaushalt von knapp 50 Millionen Euro im Jahr 2020 bis zu rund 275 Millionen Euro für 2024. Die Bundesagentur für Arbeit muss mit Mehrausgaben von etwa. 120 Millionen Euro 2020 bis zu rund 630 Millionen Euro im Jahr 2024 rechnen. Sämtliche Anträge der Oppositionsfraktionen wurden von der Mehrheit der Abgeordneten im Parlament abgelehnt.

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