zwd-GESPRÄCH: PROF.´IN DR. ULRIKE BEISIEGEL : "Frauen müssen einfach mutiger werden"

26. September 2018 // Dr. Dagmar Schlapeit-Beck

Wie können junge Frauen bei der Karriere in der Wissenschaft besser unterstützt werden? Darüber sprach zwd-Chefredakteurin Dr. Dagmar Schlapeit-Beck mit der Präsidentin der Georg-August-Universität Göttingen, Prof.´in Dr. Ulrike Beisiegel.

Bild: Universität Göttingen / Christoph Mischke
Bild: Universität Göttingen / Christoph Mischke

zwd-POLITIKMAGAZIN: Frau Professorin Beisiegel, welchen Stellenwert besitzt für Sie die Gleichstellungspolitik an der Universität Göttingen?

Gleichstellungspolitik besitzt für mich einen extrem hohen Stellenwert. Ich weiß, wie wichtig die Unterstützung von jungen Frauen in der Wissenschaft ist. Das ist meine persönliche Karriereerfahrung, die sicher auch auf mein Amt abfärbt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch ganz klar den wissenschaftspolitischen Auftrag. Wenn man sich die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der DFG anschaut, die damit einen großen Aufschlag gemacht hat, oder wenn die Max-Planck-Gesellschaft und andere wissenschaftlichen Institutionen Frauenförderprogramme als großes Thema erkannt haben, dann ist das auch ein Signal an die Universitäten. Jetzt bei der Exzellenzstrategie ist Diversität inklusive Gleichstellung ein echter wissenschaftspolitischer Auftrag. Gleichstellung ist bei uns an der Universität ein Führungsthema auf allen Ebenen – unser Präsidium besteht beispielsweise seit ich hier bin aus drei Frauen und drei Männern.

Haben Sie in Ihrer wissenschaftlichen Karriere Förderung erlebt?

Ja, aber nicht in dem Maße, wie es sie heute gibt. Ich hatte als junge Wissenschaftlerin gute Mentoren, ich hatte gute Chefs und Betreuer, die mich wissenschaftlich sehr gut gefördert haben. Aber ich hatte keine Mentorinnen. Die Vorbilder, die Frauen brauchen, um zu lernen, wie man sich in dieser Männergesellschaft verhält und wie man sich durchsetzt, hatte ich nicht. Frauenförderprogramme gab es damals noch nicht. Und wenn man die gläserne Decke erreicht hat und sich das erste Mal auf eine Professur bewirbt, weht der Wind wirklich knallhart. Ich habe selbst sehr viel Gleichstellungsarbeit gemacht, ich war Frauenbeauftragte in der Medizin in Hamburg. Aber durch Gleichstellungsprogramme habe ich selbst keine Förderung erlebt.

Welchen Rat würden sie jungen Wissenschaftlerinnen geben?

Wichtig für die Karriere von Frauen sind gute Mentorinnen. Frauen, die sich selbst durchsetzen mussten und Führungspositionen erreicht haben. Beziehungen zu Führungspersönlichkeiten, die jungen Frauen Ratschläge geben, halte ich für extrem wichtig. Ich hatte auch selbst Mentees, die jetzt erfolgreiche Professorinnen sind. Die Programme für Frauen sind eigentlich Familienprogramme für die Phase, in der man Kinder bekommt und Karriere macht. Es geht dabei jedoch nicht nur um Kindertagesstätten, sondern auch darum, dass man die Kinder beispielsweise auch mal zur Arbeit mitnehmen kann, wenn man keine Betreuung für sie hat. Frauen müssen in dieser Hinsicht einfach mutiger werden. Die Universität Göttingen hat mit dem Dorothea Schlözer-Programm ihr eigenes Mentoringprogramm für junge Wissenschaftlerinnen auf Habilitationsstellen. Die früheren Stipendienprogramme für Frauen hatten den großen Nachteil, weil Frauen darüber immer benachteiligt waren: Der Mann bekam eine Stelle, die Frau ein Stipendium. Bei der Rente zeigte sich dann, dass die Frauen die falsche Karte gezogen hatten. Stipendienprogramme für Frauen wurden deshalb weitgehend abgeschafft, weil dabei keine Sozialversicherungsbeiträge anfallen und dies eine klare Benachteiligung für Frauen ist.

Was tun die wissenschaftlichen Gremien wie die Hochschulrektorenkonferenz oder der Wissenschaftsrat für die Gleichstellung von Frauen?

Ich halte nichts von Programmen, die ausschließlich auf Frauen zugeschnitten sind. Das ist auch meine Kritik am Professorinnenprogramm des Bundes und der Länder, das jetzt parallel zur Exzellenzstrategie läuft. Die Unis werden die Stellen aus dem Professorinnenprogramm mit Frauen und die Exzellenzstellen mit Männern besetzen, was zu einer erneuten Diskriminierung führt. Sonderprogramme für Frauen sind immer ein Stigma. Solange man für Gleichstellungsprogramme Geld gibt, verfolgen die Universitäten die Aufgabe, aber wenn es kein Geld mehr gibt, beenden sie ihr Engagement wieder. Deshalb muss Gleichstellung unbedingt strategisch politisch integriert werden, wie das jetzt in der Ausschreibung der Exzellenzstrategie geschehen ist.

Auch viele meiner Kolleginnen in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vertreten diesen Standpunkt. Wir müssen von den Sonderprogrammen für Frauengleichstellung wegkommen.

Darüber hinaus gibt es immer noch den gender-gap bei den Gehältern, auch an der Uni. Jede ordentliche Professorin und jeder ordentliche Professor kann alle drei Jahre einen Antrag auf Erhöhung seiner Leistungsbezüge stellen, und bei Berufungen wird das Gehalt getrennt verhandelt. Dabei gibt es zwei Punkte, die Frauen benachteiligen: Frauen sind sehr sachorientiert und verhandeln eher über die Ausstattung der Abteilung als über das Gehalt. Und Frauen verhandeln „schlechter“ als Männer. Frauen kommen meistens aus weniger gut bezahlten Jobs, und wenn man aus einem niedrigen Gehalt kommt, springt man nicht gleich in die höchste Stufe. Dadurch entsteht auch ein Teil des gender-gaps.

Es besteht der Eindruck, dass Frauen im Wissenschaftsbetrieb mehr leisten müssen als Männer und dass sie für ihre Karriere auf mehr verzichten müssen, wie Familie oder Kinder?

Bei den Professorinnen findet man tatsächlich überproportional viele alleinstehende Frauen. In meiner Generation ist das noch häufig so, da gibt es viele Frauen, die zwar in einer Partnerschaft leben, aber keine Familie haben. Das scheint sich aber zu ändern. Ich finde es toll, dass immer mehr junge Professorinnen Familien haben und ich glaube, dass sich die jüngere Generation die Familienarbeit besser teilt. Der Verzicht auf Familie geht nach meiner Beobachtung zurück.

Dass Frauen mehr arbeiten müssen, gilt jedoch noch immer. Man erlebt auch heute noch bei Personaldiskussionen, in Gremien bis hin zum Senat der Universität, dass auf den Lebenslauf einer Frau viel kritischer geschaut wird. Kann sie das denn auch? Ist sie ausgewiesen genug? Das scheint im System zu liegen und geht auch nicht nur von Männern aus. Es gibt auch Frauen in Führungspositionen, die sagen, hört bloß auf mit dieser Gleichstellungsfrage. Ich habe lange als Gleichstellungsbeauftragte gearbeitet und erlebt, dass in einer Kommission als Argument bei einer 50-jährigen Kandidatin kam, man könne sie nicht nehmen, weil sie vier große Kinder habe. Ich habe damals dagegen argumentiert: „Meine Herren, diese Frau hat vier Mal so viel geleistet wie Ihre ganzen männlichen Kandidaten. Sie hatte mit vier Kindern, die sie erzogen hat, einen vergleichbaren Lebenslauf und eine vergleichbare Leistung vorzuweisen.“ Und diese Kommission hat die Frau wegen ihrer Kinder nicht genommen. Das wäre heute hoffentlich nicht mehr so. Aber die Leistung von Frauen wird noch immer kritischer beäugt.

Warum unterstützen Sie die Forderung der Bundeskonferenz der Frauenbeauftragten und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen e.V. (BuKoF) nach Einrichtung eines bundesweiten Gleichstellungsrates?

Bewusstseinsbildung! Wir haben den Gleichstellungsrat im Sinne des Ethikrates diskutiert, der ja auch ein wichtiges Beratungsgremium ist. Ziel ist es, einen Kulturwandel zu erreichen. Das kann nicht schnell gehen, denn es geht um den tiefgreifendsten Kulturwandel der vergangenen 50 Jahre. Und weil es ein so tiefgreifender Kulturwandel ist, kann man nicht erwarten, dass Frauen und Männer die Gleichstellung sofort in ihren Köpfen haben. So ein Gleichstellungsrat mit prominenten Personen soll sich auch Förderprogramme wie z.B. das Professorinenprogramm kritisch anschauen und prüfen, ob es auch der richtige Zeitpunkt für dieses Programm ist. Ist es die richtige Maßnahme? Setzt es den richtigen Anreiz? Wir bekommen jetzt bundesweit 1.000 Tenure-Track-Professuren. Wo wollen wir denn aus dem Stand 1.000 Professorinnen hernehmen? Und über die Exzellenzstrategie werden noch weitere circa 250 Stellen geschaffen. Wir haben dadurch jetzt eine echte Chance, gute Frauen einzustellen, denn es gibt gar nicht genug gute Männer für diese Positionen.

Was das System braucht, sind Stellen für Frauen nach der Promotion. Wir brauchen das Geld für junge Nachwuchsgruppenleiterinnen. Das ist der Punkt, an dem die Frauen bisher aus dem System herausfallen. Und es wollen ja auch gar nicht alle Professorin werden. Mit der Junior-Professur hat man ja gleich die Organisationsverantwortung, und für ganz junge Frauen ist das womöglich die falsche Position. Die haben dann nicht genug Zeit für ihre wissenschaftliche Forschung, weil sie ein Sekretariat organisieren müssen, Lehrverpflichtungen haben und das leisten müssen, was sie noch gar nicht gelernt hat, nämlich Personal zu führen.

Bei den Nachwuchsgruppen muss man das weniger intensiv, weil sie nicht so selbständig sind. Wir brauchen Positionen, auf denen wir Frauen in dieser Phase den Rücken für die Forschung freihalten können. Ich würde Nachwuchsgruppenleitungen für Frauen schaffen, die nur mit zwei Stunden Lehre verbunden sind und ohne administrative Aufgaben. So, dass man wirklich an einer wissenschaftlichen Karriere arbeiten kann. Und es sollte Geld in die „back-up-Position“ gesteckt werden. Wenn Frauen schwanger sind oder Erziehungsaufgaben nachkommen, sollten sie zur Entlastung personelle Unterstützung bekommen. Das wäre aus meiner Sicht das richtige Programm gewesen, um mehr Frauen im System zu fördern.

Welchen Stellenwert hat das Networking für Frauen in der Wissenschaft?

Netzwerke sind das A und O. Aber Frauen sind oft schlechte Netzwerkerinnen in ihrer eigenen Sache. Als im Wissenschaftsrat 30 Prozent Frauen waren, habe ich als Vorsitzende der wissenschaftlichen Kommission angeregt, dass sich die Frauen auch alleine treffen. Die Männer haben das skeptisch beäugt. Frauen müssen aber unbedingt eigene Netzwerke haben. Bei der Hochschulrektorenkonferenz habe ich jetzt alle Präsidentinnen zu Veranstaltungen eingeladen, in denen wir uns gegenseitig stärken. Wir versuchen, ein Führungsnetzwerk für Frauen in der Wissenschaft aufzubauen.

Welchen Rat würden Sie jungen Frauen am Beginn einer Wissenschaftskarriere geben?

Sie sollten sich Rat suchen bei Frauen als Mentorinnen, weil Männer nicht die gleichen Erfahrungen haben. Wenn man die erfolgreichen Konstellationen ansieht, dann sind das Familien, die sich darauf einstellen, dass sie die Kindererziehung gemeinsam übernehmen. Und sie brauchen Mut. Frauen müssen sich mehr zutrauen.

Ich habe wirklich noch erlebt, dass in einer Ausschreibung sieben Punkte standen, die der Bewerber oder die Bewerberin zu erfüllen hatten. Da kam ein Bewerber herein und sagte, ich erfülle alle Punkte. Wenn man aber dahinter schaute, erfüllte er nur vier der sieben Punkte. Und dann kam eine Frau zur Berufungskommission und sagte, ich erfülle nur sechs der Kriterien, aber ich denke, das letzte Kriterium kann ich mir sehr gut aneignen. Die Frau formuliert gleich ihren Defizitansatz, das ist typisch. Frauen verweisen oft gleich auf das, was sie nicht können. Und als ich das später in der Kommission thematisiert habe, wurde mir entgegengehalten, der Bewerber habe doch gesagt, er erfülle alle Kriterien. Frauen müssen einfach ihre Stärken herausstellen und positiv formulieren.

Wie beurteilen Sie Ihre Vorbildfunktion als Universitätspräsidenten?

Ich möchte meine Vorbildfunktion wahrnehmen, und zwar laut und deutlich. Vorbildfunktion heißt für mich, dass ich mich konkret und klar für Gleichstellungsthemen ausspreche und mich für die jungen Frauen einsetze. Dabei muss ich mutig und offen und manchmal auch laut sein. Im Präsidium der HRK habe ich als einzige Frau erlebt, dass gesagt wurde, „jetzt kommt sie schon wieder mit dem Thema Gender und Diversität“, mit all diesen Frauenthemen. Ich habe darauf erwidert, ja, damit komme ich schon wieder. In dieser Beziehung will ich Vorbild sein, offensiv und zuweilen auch unbequem für die Gleichstellung eintreten.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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