CORONA-EPIDEMIE : Frauenhäuser sind systemrelevant: Giffey will Hilfseinrichtungen verstärkt unterstützen

14. April 2020 // Ulrike Günther

In der Corona-Krise sehen sich Frauenhilfseinrichtungen durch die geltenden Schutzmaßnahmen vor besondere Herausforderungen gestellt. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) plant, über eine neue Förderleitlinie das Hilfssystem zu verbessern. Die Dachorganisationen der Zufluchtstätten und Beratungsstellen zum Schutz gegen Gewalt an Frauen begrüßen das angekündigte Vorhaben.

Keine Gewalt gegen Frauen - Bild: Pixabay / Alexas Fotos
Keine Gewalt gegen Frauen - Bild: Pixabay / Alexas Fotos

zwd Berlin. Die Frauenhauskoordinierung (FHK) und der Bundesverband der Fachberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) lobten das Gespräch mit Familienministerin Giffey am vorigen Mittwoch (08. April). Diese habe laut der FHK-Geschäftsführerin Heike Herold eine „sehr große Wertschätzung für die Arbeit der Kolleginnen in den Frauenhäusern und Beratungsstellen“ gezeigt.

Katharina Göpner, Referentin beim bff, nannte die Unterredung mit der Frauenministerin Giffey einen „gute(n) Auftakt“. Insbesondere die Entscheidung der Ministerin, die Tätigkeit von Frauenhäusern und Fachberatungsstellen als systemrelevant einzustufen, bezeichnete Göpner als „wirklich gut“. „Das Unterstützungssystem für gewaltbetroffene Frauen ist systemrelevant“, hob die bfff-Referentin hervor. Der Begriff der Systemrelevanz unterstreicht die Bedeutung der Frauenhäuser und Beratungsstellen und macht deutlich, dass ihr Funktionieren und ihre finanzielle Sicherheit des besonderen Schutzes bedürfen.

Frauenhilfsverbände sehen BMFSFJ in der Pflicht

Bisher haben Frauenhilfseinrichtungen zwar noch keinen Anstieg bei der Nachfrage nach Beratungen bzw. der Menge schutzsuchender gewaltbetroffener Frauen verzeichnet. Fachleute befürchten aber eine zeitlich verzögerte Zunahme nach der Krise, da es vermutlich für viele Frauen in der erzwungenen Privatheit mit dem (potenziell gewalttätigen) Partner schwierig ist, Kontakt zu Anlaufstellen und Zufluchtstätten aufzunehmen.

Nach Ansicht von Göpner verschärft die Krisensituation durch den aus der unfreiwilligen Beschränkung der Familien auf die häusliche Sphäre resultierenden erhöhten Stress die von den Frauen erfahrene Gewalt und wirke sich auch auf das Beratungs-Setting in den Schutzeinrichtungen aus. Der bff sieht daher das BMFSFJ in der Verantwortung, auf die veränderte Situation zu reagieren und die Frauenhäuser und anderen Hilfsinstitutionen ausreichend zu unterstützen, um diese problematische Entwicklung abzufangen.

Giffey will Schutzsystem für Frauen verstärkt absichern

Giffey hatte anlässlich der Telefonkonferenz betont, die Arbeit von Frauenhäusern und Beratungsstellen müsse „in der Krise gesichert werden“. Die Beschäftigten bräuchten einen Zugang zur Notfallbetreuung für Kinder und die erforderliche Ausrüstung zum Infektionsschutz. Bund und Länder müssten ihr „Möglichstes tun, um die Rahmenbedingungen für die Arbeit in den Frauenhäusern und Fachberatungsstellen zu verbessern und von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen zu helfen“, erklärte die Ministerin.

Für Ausbau und Modernisierung von Schutzhäusern stellt das BMFSF über das Bundesinvestitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ bis 2024 120 Millionen Euro bereit, die Antragsfristen hat das Ministerium mit Rücksicht auf die Corona-Krise bis zum 30. Juni bzw. 30. September verlängert.

Frauenschutzeinrichtungen brauchen bessere technische Ausstattung

Der FHK, der bff und die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) befürworten die von Giffey in der Telefonkonferenz vorgebrachten Ideen, die technische Ausstattung der Hilfseinrichtungen für gewaltbetroffene Frauen auszubauen und das Angebot der Dolmetscherdienste für telefonische Gespräche mit ratsuchenden Frauen zu erweitern. „Beide Punkte sind dringend notwendig“, betonte Herold von der FHK gegenüber dem zwd. Wegen der Schutzmaßnahmen gegen die sich ausbreitende Epidemie sind zurzeit nur Online-Beratungen möglich, viele Frauenberatungsstellen sind darauf jedoch noch nicht angemessen vorbereitet.

Die von Giffey anvisierte neue Förderleitlinie soll die technische Ausrüstung von Schutzhäusern und Beratungsstellen verbessern, um vor allem in der Krise Gespräche mit den hilfesuchenden Frauen per Telefon, Internet oder Video sicherzustellen. Über die gegenwärtige Situation hinaus plant Giffey nach Angaben des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ), die Infrastruktur der Beratungsangebote insgesamt zu erweitern. Mit Blick auf den hohen Bedarf an Übersetzer*innen und Sprachmittler*innen schlägt die Ministerin demnach u.a. ein vom BMFSFJ gefördertes bundesweites Angebot von Telefon-Dolmetsch-Diensten vor.

Krise macht mangelnde Finanzierung der Fraueneinrichtungen sichtbar

In der Krise zeige sich einmal mehr, dass das „Frauenhilfssystem chronisch unterfinanziert“ sei, erklärte bff-Referentin Göpner. Ihren Angaben zufolge fehlt es bislang an technischem Know-how und an Geldmitteln, um entsprechende digitale Angebote bereitzustellen. Göpner stellte im Interview mit dem zwd heraus, Giffeys Pläne würden Lücken im vorhandenen Rettungsschirm füllen, da bis jetzt nur über Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch geförderte Frauenberatungsstellen davon profitieren könnten.

Die nach Aussagen von FHK-Geschäftsführerin Herold in der Corona-Krise besonders dringliche Aufstockung des in Frauenhäusern und Beratungsstellen beschäftigten Personals wird der Bund allerdings nicht gewährleisten können. Hier seien aufgrund des föderalen Systems Herold gemäß die einzelnen Bundesländer gefordert, mehr Personal einzustellen, um nötige Schutzmaßnahmen, wie das „Social Distancing“, tatsächlich durchzuführen.

Frauenorganisationen fordern schnelle und unbürokratische Umsetzung

Der bff wie die ZIF betrachten es als wichtigen nächsten Schritt, dass das BMFSFJ die Vorhaben konkret umsetzt und ausgestaltet. Beide Koordinierungsstellen fordern schnelle und unbürokratische Lösungen. bff-Referentin Göpner hält vor allem vonseiten des Bundes zu gewährende finanzielle Sicherheiten für wesentlich. Den Frauenberatungsstellen drohten durch die Schutzmaßnahmen, z.B. wegen wegfallender Veranstaltungen, teilweise empfindliche Einnahmeverluste, vor welchen die Einrichtungen zu bewahren seien.

Sylvia Haller von der ZIF erwartet vom BMFSFJ vor allem genauere Angaben, wie niedrigschwellig und in welcher Höhe die von Giffey in Aussicht gestellten Fördermittel für die Dolmetscher-Dienste sowie die technische Ausrüstung für die Frauenhäuser verfügbar gemacht würden.

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