DIW-STUDIE GRUNDSCHULEN : Ganztagsbetreuung sichert Erwerbsarbeit für Mütter und rechnet sich

20. Januar 2020 // Ulrike Günther

Ganztägige Betreuung für Grundschüler*innen soll gerechtere Chancen für benachteiligte Kinder schaffen. Familie und Beruf lassen sich für Eltern besser verbinden. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt, dass Ganztagsangebote es Müttern ermöglichen, häufiger und in größerem Umfang erwerbstätig zu sein, und dass sich dies auch gesamtwirtschaftlich rechnet.

Ganztägige Betreuung an Grundschulen - Bild: pixabay / Debbie Courson Smith
Ganztägige Betreuung an Grundschulen - Bild: pixabay / Debbie Courson Smith

zwd Berlin. Nach der vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) in Auftrag gegebenen Studie des DIW würden sowohl bisher nicht berufstätige Mütter von Kindern im Grundschulalter als auch bereits erwerbstätige Mütter von dem weiteren Ausbau der Ganztagsbetreuung profitieren. Als ein „prioritäres Vorhaben“ bezeichnete Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) bei der Vorstellung der Studie in Berlin die Absicht der Bundesregierung, bis zum Jahr 2025 einen Rechtsanspruch von Grundschulkindern auf ganztägige Betreuung im Sozialgesetzbuch festzuschreiben. Das Recht auf gesicherte ganztägige Betreuung an den Grundschulen sei in erster Linie ein „Beitrag zur Chancengerechtigkeit“ sowie ein Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit, erklärte Giffey.

Ganztagsbetreuung verbessert wirtschaftliche Situation von Familien

Die Erwerbsquote bei den noch nicht im Berufsleben stehenden Frauen mit Grundschulkindern würde sich um 2 bis 6 Prozent erhöhen. Mütter, die schon einer Erwerbsbeschäftigung nachgehen, könnten hingegen ihre wöchentliche Arbeitszeit um bis zu 2,6 Stunden erweitern. Das würde sich einerseits günstig auf die sozioökonomische Lage vieler Familien auswirken: „Damit wird sich auch die wirtschaftliche Situation von Familien bessern“, erklärte Prof. ´in Katharina Spieß, Leiterin der Abteilung Bildung und Familie am DIW, anlässlich der Präsentation der Studie im BMFSFJ. Die Familien hätten höhere Einkünfte zur Verfügung und wären seltener auf den Erhalt von Sozialleistungen angewiesen. Das DIW setzt aufgrund höherer Steuerbeiträge und eingesparter Sozialtransfers andererseits auch Mehreinnahmen für den Staat an, die das Institut auf 1 bis 2 Milliarden Euro jährlich beziffert. Das hätte laut DIW zur Folge, dass sich der geplante Ausbau der Ganztagsbetreuung zum großen Teil selbst finanzieren könnte.

Durch staatliche Mehreinnahmen finanziert sich Ganztag zum Teil selbst

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) wertet die Ergebnisse der Untersuchung als „ein weiteres, gutes Argument, um intensiv am Ausbau der Ganztagsbetreuung zu arbeiten.“ Das Hauptaugenmerk bei dem Vorhaben sei auf die Entwicklung der Kinder gerichtet: „Kinder aus schwierigen Verhältnissen brauchen Unterstützung“, so die Familienministerin. Bei für alle Kinder zugänglicher ganztägiger Betreuung würden die Grundschüler*innen „bessere Ergebnisse, bessere Leistungen“ erkennen lassen. Ziel der Regierung sei es vor allem zu gewährleisten, dass jedes Kind den Ansprüchen der modernen schulischen Bildung gewachsen ist.

Der Bund wird für die Länder Finanzhilfen in Höhe von ca. 2 Milliarden Euro aus einem Sondervermögen bereitstellen. Die insgesamten Betriebs- und Investitionskosten für die erweiterten Ganztagsangebote schätzt das Deutsche Jugendinstitut auf rund 3 bzw. 4 bis 6 Milliarden Euro. Gemessen an diesen Ausgaben, welche Kosten für Personal und neu einzurichtende Hortplätze einschließen, würde sich der Studie zufolge der Anteil der Selbstfinanzierung des Vorhabens auf 32 bis 72 Prozent belaufen. Die Studie des DIW betrachtet vorrangig die kurzfristigen Effekte der auszubauenden Ganztagsangebote in volkswirtschaftlicher Sicht. Neben den zu erwartenden größeren Bildungserfolgen bei den Grundschüler*innen nannte Spieß als mittel- und längerfristige Wirkungen u.a. Lohnzuwächse bei den betroffenen Müttern und steigende Alterseinkommen.

Grüne fordern schnelleres Umsetzen des Rechtsanspruches

Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen Katja Dörner forderte die Familienministerin Giffey auf, das Vorhaben der Regierung zu beschleunigen, um den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung durchzusetzen. In ihrer Stellungnahme zur DIW-Studie betonte Dörner, dass das Recht auf ganztägige Betreuung in Grundschulen "ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Armut" sei. Insbesondere für Alleinerziehende stelle es eine wesentliche Voraussetzung dafür dar, nicht in Armut abzugleiten.

Birke Bull-Bischoff, bildungspolitische Sprecherin der Linkenfraktion, bezeichnete Giffeys Anstrengungen zugunsten einer tatsächlichen Umsetzung des rechtlichen Anspruches als "noch zu dünn". Sie kritisierte, dass es bislang noch an Konzepten fehle, wie die Ganztagsbetreuung in inhaltlicher und pädagogischer Hinsicht auszugestalten sei. Dazu seien "konkrete bildungspolitische Ansätze" erforderlich. Vor allem sieht Bull-Bischoff die Frage als bisher ungeklärt, wie der zusätzliche Bedarf an fachlich kompetenten Erzieher*innen und Lehrkräften zu decken sei. Laut Giffey soll die im Oktober 2019 vom BMFSFJ gestartete Fachkräfteoffensive dazu beitragen, mehr qualifiziertes pädagogisches Personal auch für die Betreuung im Grundschulbereich auszubilden.

Durchschnittlicher Bedarf an Ganztagsbetreuung bei 75 Prozent

Um für Frauen mit schulpflichtigen Kindern möglichst gute Bedingungen für die Aufnahme einer Erwerbsarbeit zu schaffen, hat die mit der Frage beauftragte Bund-Länder-Arbeitsgruppe nach Angaben der Familienministerin dem gemäß Koalitionsvertrag zu erarbeitenden Plan ein am Alltag arbeitender Mütter orientiertes Modell zugrunde gelegt.Demzufolge ist für Kinder der Schulklassen 1 bis 4 an fünf Tagen pro Woche über acht Stunden eine Betreuung sicherzustellen, ebenso für die Ferienzeiten, mit Ausnahme von bloß vier Wochen, in denen der Hort geschlossen wäre. Den tatsächlichen Bedarf an Ganztagsangeboten veranschlagt die Regierung auf ca. 75 Prozent der Familien mit Grundschulkindern. In Großstädten wie Berlin und Hamburg sowie in den ostdeutschen Bundesländern liegt die Betreuungsquote schon jetzt weit über diesem Wert, in anderen Ländern, wie Bayern oder Baden-Württemberg, wo Frauen/ Mütter nach traditionellem Muster oft als Hausfrauen leben und die Pflege der Kinder übernehmen, mit rund 23 Prozent weit darunter.

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