zwd-POLITIKMAGAZIN Nr. 382 : Gender*stern, großes Binnen-"I" oder wie? - Wege zu einer geschlechtergerechten Amtssprache

16. Dezember 2020 // Redaktion

Liebe Leserin, lieber Leser, liebe LeserInnen, Leser_innen, Leser*innen, welche geschlechtergerechte Schreibweise Sie auch immer bevorzugen – wir haben uns vor einigen Jahren für das Gender*-Sternchen entschieden, um Frauen (und Diverse) in Politik und Gesellschaft auch in unserer Schreibweise sichtbar zu machen. Diese Ausgabe handelt von dem verbissenen Kampf der Verteidiger des generischen Maskulinums, die inzwischen mit nicht nur polemischen, sondern sogar hasserfüllten Parolen auf die Fürsprecher*innen einer geschlechtergerechten Sprache und Schreibweise eindreschen.


EDITORIAL


zwd-HERAUSGEBER HOLGER H. LÜHRIG & HILDA LÜHRIG-NOCKEMANN

Geschlechtergerechte Sprache

zwd Berlin (ig). Diese Ausgabe handelt von dem verbissenen Kampf der Verteidiger des generischen Maskulinums, die inzwischen mit nicht nur polemischen, sondern sogar hasserfüllten Parolen auf die Fürsprecher*innen einer geschlechtergerechten Sprache und Schreibweise eindreschen. Offenbar scheinen einige der selbsternannten Sprach- und Weltretter ernstlich zu glauben, durch die verfassungsrechtlich gebotene Einführung des dritten Geschlechts könne ein „geschlechtsneutrales“ generisches Maskulinum fröhliche Urständ feiern. Doch eher ist das Gegenteil der Fall. Die deutsche Gesellschaft, mithin auch der maßgebliche Rat für die deutsche Rechtsprechung, kommt nicht mehr daran vorbei, neue Schreib- und Sprechpfade als notwendig anzuerkennen.

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TITELTHEMA GESCHLECHTERGERECHTE SPRACHE


STREIT UM DIE GENDER-SPRACHE

Gender*sternchen statt generisches Maskulinum - Der Kampf um das geschlechtergerechte Schreiben

zwd Berlin (ig). Das Rauschen im Blätterwald war vernehmlich: „Für diesen Genderwahnsinn fehlt mir jedes Verständnis“, empörte sich der Leiter der Tagesspiegel-Hauptstadtredaktion Georg Ismar, dabei den stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Thorsten Frei „auf Anfrage“ zitierend. Nach Darstellung des TSP-Autors werde auch in der SPD das „Verharken einiger Sozialdemokraten bei Themen, die für viele Bürger an ihrer eigenen Lebensrealität vorbeigehen“, kritisch beäugt – ohne freilich Ross und Reiter solcher Parolen zu nennen. Dafür musste dann die Erwartung des Vizevorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion Stephan Thomae an die SPD herhalten, „dass das ein einmaliger Ausrutscher bleibt“. Was war geschehen?

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POSITIONEN

Prof.´in Luise F. Pusch: Gegen den Genderstar und für das große Binnen-‚I´

zwd Berlin. Seit Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat sich die promovierte und habilitierte Anglistin Luise F. Pusch für eine geschlechtergerechte Sprache engagiert. 1984 hat sie mit einer Textsammlung – im Bild das bei Suhrkamp im Jahre 1991 veröffentlichte Buch „Das Deutsche als Männersprache“ – einen wesentlichen Anstoß für die Debatte gegeben.

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Kathrin Kunkel-Razum, Chefredakteurin der Dudenredaktion:: Gendersternchen oder Unterstrich?

zwd Berlin. Das grammatische Phänomen, an dem sich der Streit besonders entzündet, ist das sogenannte generische Maskulinum. Gemeint ist Folgendes: Die Ärzte behandeln die am Coronavirus Erkrankten auf einer Isolierstation. Dieser Satz mit dem „generischen Maskulinum“ Ärzte gilt nach traditioneller Auffassung als geschlechtsneutral – die Form Ärzte würde eben Ärzte und Ärztinnen umfassen. Nach neueren Auffassungen und belegt durch zahlreiche Tests stimmt das so aber nicht – Testpersonen assoziieren viel eher Männer als Frauen in solchen Beispielen.

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GESCHLECHTERGERECHTE SPRACHE

zwd-DISKURS mit Professorin Dr. Gabriele Diewald über Binnen-„I“, Gender*stern, Doppel:punkt und Unter_strich, über „richtig gendern“ und das verbissene Beharren auf dem „generischen Maskulinum“

zwd Hannover. Der Verein Deutsche Sprache (VDS) hat im Jahre 2019 einen „Aufruf zum Widerstand“ unter der Überschrift „Schluss mit dem Gender-Unfug!“ veröffentlicht. Seitdem hat der Disput über Geschlechtergerechtigkeit in Sprache und Schrift erheblich an Schärfe zugenommen. Gestützt auf eine von konservativen Zeitungen und Zeitschriften (FAZ, Welt, Cicero) geförderte VDS-Kampagne werden die vielfältigen Ansätze und Formen einer geschlechtergerechten Sprache mit einem von der AfD erstmals verwendeten Begriff des „Genderwahn“ diffamiert. Nicht von ungefähr nutzt die AfD die VDS-Thesen programmatisch und hat sie zum Gegenstand ihrer Wahlprogramme gemacht. Ein sachlicher Diskurs über die Entwicklung einer geschlechtergerechten sprachlichen Entwicklung scheint kaum noch möglich. Deshalb haben wir mit einer der führenden Sprachwissen­schaftler*innen in Deutschland, der Professorin Dr. Gabriele Diewald, den Versuch unternommen, die verschiedenen kontroversen Diskussionsbeiträge im Rahmen einer seriösen Auseinandersetzung auf ihren sachlichen Gehalt zu prüfen und einzuordnen. Professorin Diewald lehrt und forscht über Germanistische Linguistik am Institut für Deutsche Sprache der Leibniz-Universität Hannover. Sie ist Herausgeberin und Autorin verschiedener Veröffentlichungen zur geschlechtergerechten Sprache.

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WAHLRECHT | BUND & LÄNDER


WAHLRECHTSREFORM

Bundestag bleibt männerbeherrscht

zwd Berlin (ig). Alle parlamentarischen Initiativen, alle Gespräche zu einer Wahlrechtsreform waren am Ende vergebens: Der Bundestag wird nicht merklich verkleinert, der Frauenanteil unter den Parlamentarier*innen wird höchstens stagnieren. „Wahlrechtsreform nur mit Parität?!“ – hatte das zwd-POLITIKMAGAZIN in Ausgabe 377 geschrieben. Doch der Gruppenantrag (Drs. 19/16485), den weibliche Abgeordnete von Grünen und Linken auf den Weg gebracht und zugleich die Frauen der anderen Fraktionen (ohne AfD) zum Mitmachen eingeladen hatten, scheiterte am Widerstand der Unionsfrauen und der FDP, weshalb auch aus Koalitionsraison die SPD(-Frauen) ihre Mitwirkung verweigern mussten.

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DAS AKTUELLE BUCH ZUM THEMA PARITÄT

Dorothee Beck und Annette Henninger (Hrg.): Konkurrenz für das Alphamännchen. Politische Repräsentation und Geschlecht (2020)

zwd Berlin (bs). In anregenden Beiträgen und lebendigen Interviews geht es um die politische Teilhabe von Frauen* in Parteien und Parlamenten und die Veränderungen der Geschlechterverhältnisse in politischen Ins-titutionen. Zu Wort kommen namhafte Wissenschaftlerinnen, wie etwa die Staatstheoretikerin Birgit Sauer (Universität Wien) und die Partizipationsforscherin Gesine Fuchs (Hochschule Luzern).

Seite 16

PARITÄT JETZT! - GASTBEITRAG VON ELKE FERNER, VORSTANDSMITGLIED DES DEUTSCHEN FRAUENRATES

Der Frauenanteil in den Parlamenten: ein Armutszeugnis für die demokratische Teilhabe

zwd Berlin. Seit einigen Jahren gibt es die Diskussion um ein Paritätsgesetz auch in Deutschland. An Fahrt gewonnen hat die Diskussion im letzten Jahr als das 100-jährige Jubiläum des Frauenwahlrechts gefeiert wurde. Als ich selbst 1990 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt wurde lag der Frauenanteil erstmals über 20 Prozent. Seither ist er dank parteiinterner Quotenregelungen bei SPD, Grünen und Linken kontinuierlich wenn auch langsam angestiegen. Nach der Bundestagswahl 2017 ist der Frauenanteil im Deutschen Bundestag von knapp 40 Prozent am Ende der 18. Wahlperiode auf knapp über 30 Prozent zu Beginn der 19. Wahlperiode gesunken.

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URTEILE DER VERFASSUNGSGERICHTE IN WEIMAR UND POTSDAM - GASTBEITRAG VON PROF.´IN SILKE RUTH LASKOWSKI

Das Grundgesetz gilt seit 30 Jahren auch in Brandenburg und in Thüringen

zwd Berlin. Wie kann es nach den Paritätsurteilen der Landesverfassungsgerichte in Weimar und Potsdam weitergehen? Die Verfassungsjuristin Professorin Silke Laskowski hat die Urteile einer kritischen Bewertung unterzogen. Das Ergebnis: Die Entscheidungen ignorieren die Rechtswirklichkeit, widersprechen der langjährigen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts und blenden durch Auslegungsfehler die Vorgaben des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes aus. Nun sei das Bundesverfassungsgericht gefordert. Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde hat die Autorin unseres Beitrages bereits formuliert und dem Gericht in Karlsruhe zugeleitet [Aktenzeichen 2 BvR 2074/20].

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FRAUEN & POLITIK


GREVIO-BERICHT DER BUNDESREGIERUNG

Istanbul-Konvention: „Noch viel zu tun“

zwd Berlin (ug). Zum Erscheinen des Staatenberichts der Bundesrepublik zur Umsetzung des Istanbul-Übereinkommens haben sich Frauenrechtsvereine ebenso wie Grüne und Linke kritisch zum Gewaltschutz-System geäußert. Das Bündnis Istanbul-Konvention erarbeitet derzeit einen Alternativbericht. Feminist*innen wie Politiker*innen bemängeln, dass es an Frauenhausplätzen, qualifiziertem Personal und Finanzmitteln fehle. Zudem mahnen sie einen neuen Aktionsplan, eine bundesweite Koordinierungsstelle und gezielte Hilfen für besondere Schutzgruppen an.

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UN-RESOLUTION FRAUEN, FRIEDEN, SICHERHEIT

Feministische Außenpolitik: Grüne und Linke fordern umfassende Teilhabe von Frauen

zwd Berlin (ug). Die Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen erhöht die Chancen auf haltbare Abkommen, doch nur selten finden Aktivistinnen Gehör. Stattdessen sind Frauen in Konflikten verstärkt sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Grüne und Linke fordern konsequente feministische Außenpolitik, die Rechte von Frauen stärkt und Gleichstellung unterstützt. Ein Koalitionsantrag für „Frauen, Frieden, Sicherheit“ als Leitlinie der Außenpolitik ist am Widerstand von Teilen der Union gescheitert.

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AKTUELLE NACHRICHTEN AUS DEM zwd-INTERNET-PORTAL

  • BUNDESHAUSHALT 2021 Ortleb (SPD): Grünes Licht für Bundesstiftung Gleichstellung
  • "HISTORISCHER DURCHBRUCH" Koalition einigt sich über Frauen-quote in VorständenHistorischer Durchbruch“
  • BUNDESHAUSHALT 2021 Rekordetats für BMFSFJ und BMBF

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ISLAMISMUS | SCHULE & POLITIK


EINE AUFGABE DER POLITIK, NICHT NUR DER SCHULE

Wie immunisieren wir Schülerinnen und Schüler gegen die Übernahme radikal islamistischer Lehren?

zwd Berlin (no). Groß war das Entsetzen, als muslimische Schüler*innen die vom französischen Bildungsminister Jean-Michel Blanquer europaweit erbetene Schweigeminute störten. In mehreren deutschen Schulen rechtfertigten sie die Enthauptung des französischen Lehrers Samuel Paty mit der Begründung, der Lehrer habe schließlich ihren Propheten beleidigt. Dass dies kein französisches Problem ist, zeigt der schon im Juni 2020 im Deutschlandfunk geäußerte Vorwurf des Islamismusexperten und Psychologen Ahmad Mansour, die „demokratische Mitte“ vermeide unbequeme Islamdebatten: „Es ist natürlich wichtig, dass wir gerade über Corona sprechen. Aber wir haben auch andere Probleme in dieser Gesellschaft. Dazu gehört Radikalisierung von muslimischer Seite, aber auch von Rechtsradikalen.“

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SCHULE UND RELIGION

MDI-Recherche: „Religion an Schulen – Islamischer Religionsunterricht in Deutschland“

zwd Berlin (no). An 917 öffentlichen Schulen wird islamischer Religionsunterricht angeboten. Während er in Hessen und Niedersachsen seit Beginn des Schuljahres 2013/14 ordentliches Schulfach ist, fehlt er auf den Stundenplänen der ostdeutschen Länder. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zieht aus den uneinheitlichen Regelungen der Bundesländer das Resümee, dass „für die Einführung eines flächendeckenden und regulären Islamunterrichts allerdings der Konsens der Kultusminister“ fehle (Sachstand WD 10 3000 – 083/19).

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BILDUNG & POLITIK


SCHULE UND CORONA-KRISE

Schleppende Fortschritte bei Digitalisierung

zwd Berlin (ug). Die Krise hat deutlich gemacht, wie wichtig digitale Ausstattung von Schulen ist. Die von der Bundesregierung zusätzlich zum DigitalPakt vereinbarten 1,5 Milliarden Euro Förderhilfen sollen die Digitalisierung in Schwung bringen. Doch nur mithilfe von Computern lassen sich die durch Studien belegten Rückstände nicht aufholen, kritisiert der Bundesverband für Informationswirtschaft Bitkom.

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GESETZENTWURF GANZTAGSAUSBAU

3,5 Milliarden für gleiche Lernchancen von Kindern

zwd Berlin (ug). Gerechte Bildungschancen für alle Schüler*innen und gleiche Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben soll Ganztagsbetreuung gewährleisten. Bundestag und Bundesrat haben das Gesetz gebilligt, das 3,5 Milliarden Euro für den Ausbau der Ganztagsangebote bereitstellt. Doch bevor der von der Koalition postulierte ­Rechtsanspruch auf Ganztag in das Gesetzgebungsverfahren gelangt, müssen sich Bund und Länder noch über die Gesamtfinanzierung einigen. Grüne, Linke und GEW mahnen gesicherte Qualitätsstandards, mehr Personal und finanzielle Förderung an.

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AKTUELLE NACHRICHTEN AUS DEM zwd-INTERNET-PORTAL

Zukunft des Bildungswesens: Plädoyer für einen „echten“ Bildungsrat und die Einberufung einer Bundesschulkonferenz

zwd Berlin (ig). Für die Einberufung einer Bundesschulkonferenz hat sich der Sprecher der Gesellschaft Chancengleichheit (GesCh) Holger H. Lührig ausgesprochen. Adressat der Initiative ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

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DIE LETZTE SEITE


35 JAHRE ENGAGEMENT FÜR CHANCENGLEICHHEIT

Einladung zu einem virtuellen Diskurs über Bildungs- und Geschlechtergerechtigkeit

zwd Berlin. Die Gesellschaft Chancengleichheit e.V. und das zwd-POLITIKMAGAZIN (ehemals „zweiwochendienst“ bzw. „zwd FRAUEN UND POLITIK“) feiern im Jahr 2021 das 35-jährige Bestehen. Dazu sind nach heutigem Stand je eine Fachtagung zur Bildungspolitik und zur Frauen- und Gleichstellungspolitik geplant. Unter den Bedingungen der Pandemie sollen sie als virtuelle Konferenzen stattfinden.

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