70 JAHRE KULTUSMINISTERKONFERENZ : Gralshüterin des Kulturföderalismus: Fachministerkonferenz mit Anspruch

26. März 2018 // Holger H. Lührig

Wer 70 Jahre alt wird, hat als Seniorin oder Senior ein hoffentlich erfülltes Leben hinter sich. Manche Senior*innen sind noch fit. Auch die Kultusministerkonferenz hat in ihrer 70-jährigen Existenz ein vielfältiges Auf und Ab hinter sich und ist unverändert lebendig, aber als Gralshüterin des Föderalismus in die Jahre gekommen.

zwd-Herausgeber Holger H. Lührig
zwd-Herausgeber Holger H. Lührig

zwd Berlin. Die Geschichte der Konferenz steht auch als Spiegelbild für die vielfach nicht ausreichenden Bemühungen in der Nachkriegsgeschichte, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen.

Darum ging es schon am 19./.20. Februar 1948, als sich die Erziehungsminister*innen der Länder aus den vier Besatzungszonen auf Einladung des Kultusministers von Württemberg-Baden, Theodor Bäuerle, in Stuttgart-Hohenheim trafen (Bild unten). Das Februar-Treffen wird von der KMK als Geburtsstunde der Kultusministerkonferenz gewürdigt, obschon diese sich erst auf dem zweiten Treffen im Juli 1948 auf regelmäßige Treffen verständigte (weshalb das Bayerische Historische Lexikon von diesem als Starttermin 2. Juli 1948 spricht).

Vorausgegangen waren Vorgaben des Alliierten Kontrollrats der Besatzungsmächte, die vor allem auf eine Demokratisierung des Schulwesens und Umerziehung drängten. Aber bereits erste Zusammentreffen der Ministerpräsidenten in den Jahren ab 1946 wurden überschattet von den aufkommenden Ost-West-Gegensätzen zwischen den Besatzungsmächten. Die Erziehungsminister-Konferenz im Februar 1948 war Ausdruck des letzten Versuchs, die unter politischen Einfluss der Westmächte einerseits und der sowjetischen Militäradministration andererseits auseinander driftenden Schulsys-teme in West und Ost zusammenzubinden. Die in Stuttgart-Hohenheim verabschiedete Entschließung postuliert, dass der äußere und innere Aufbau des gesamten „organisch einheitlichen“ Schulwesens im Geiste der Demokratie, der sozialen Gerechtigkeit, des Friedens und der Völkerverständigung erfolgen müsse. In der Interpretation, wie dieser Anspruch umzusetzen sei, gingen die Auffassungen zwischen Ost und West auseinander, auf der einen Seite SED-Funktio-näre wie der Präsident der Zentralverwaltung für Erziehung und Volksbildung in der russischen Zone und spätere ersten DDR-Volksbildungsminister Paul Wandel (SED), auf der anderen, westdeutschen Seite Kultusminister*innen wie Adolf Grimme (SPD, Niedersachsen), Alois Hundhammer (CSU, Bayern) und Christine Teusch (CDU/NRW). Teusch war eine von vier Frauen unter 38 Teilnehmenden. In NRW war sie gegen vielfältige Widerstände, namentlich des dortigen CDU-Fraktionsvorsitzenden und späteren Bundeskanzlers Konrad Adenauer, an die Spitze des Kultusressorts in Düsseldorf berufen worden. Frauen seien „für hohe Führungsämter“ wie die Leitung eines Ministeriums „ungeeignet“, hieß es damals. Das ist Geschichte. Im Kontrast dazu steht, dass im sechsten Jahrzehnt der KMK-Geschichte Präsidentinnen selbstverständlich geworden sind und zeitweilig die Mehrheit der KMK-Mitglieder weibliche Ressortchef*innen waren.

Als die Erziehungsminister sich am 2. Juli 1948 erneut trafen, waren die politischen Verhältnisse durch die Berliner Blockade und die Währungsreform – Einführung der D-Mark – zementiert. Die ostdeutschen Minis­­ter*innen blieben weg und das sollte so bleiben bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahre 1990. Die Kultusminister der drei Besatzungszonen, des Vereinigten Wirtschaftsgebiets – der späteren Bundesrepublik – verständigten sich auf regelmäßige Treffen. Nach Gründung der Bundesrepublik gab sich die KMK eine Geschäftsordnung, die am 2. Dezember 1949 in Kraft trat und in einer modifizierten Form seit 1955 gilt. Darin ist die Einstimmigkeit bei der Beschlussfassung vorgeschrieben. In der KMK-Geschäftsordnung vom 29. August 2014 heißt es: „Für Beschlüsse, die der Herstellung der notwendigen Einheitlichkeit und Mobilität im Bildungswesen dienen, für Beschlüsse mit Auswirkungen auf die Landeshaushalte und Beschlüsse, die die Kultusministerkonferenz selbst betreffen oder zur Errichtung gemeinsamer Einrichtungen ist Einstimmigkeit erforderlich.“ In der Konsequenz läuft dieses Prinzip nach Auffassung von Kritiker*innen der KMK darauf hinaus, dass das langsamste Schiff das Tempo des Geleitzuges bestimmt – mit weitreichenden Folgen dieser Schwerfälligkeit für Reformansätze im Bildungsbereich, deren Verwirklichung durch parteipolitischen Gegensätze ausgebremst oder in Zuge der Konsensfindung verwässert wurden. Trotzdem ist es der KMK gelungen, wichtige Beschlüsse zur Vereinheitlichung des Schul- und Hochschulwesens zu fassen. Das Düsseldorfer Abkommen (1955) und das Hamburger Abkommen (1964) sowie die Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe (1972) waren wichtige Wegemarken.

Nach dem Beitritt der ostdeutschen Länder zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 erweiterte sich die Fachministerkonferenz der elf westdeutschen Länder auf alle 16 Länder. Die 251. Plenarsitzung am 7. Dezember 1990 bildete den Auftakt zur Neuauflage einer gesamtdeutschen KMK. Die föderale Struktur des Grundgesetzes, das in seiner Fassung vom 23. Mai 1949 die Gesetzgebungskompetenz für das Bildungswesen einschließlich der Hochschulen den Ländern überlassen hatte, ersetzte auch in den ostdeutschen Ländern den Zentralismus der DDR.

Diese Zuständigkeitsregelung für Bildung als Ausdruck „Staatsnatur der Länder“ war nicht von ungefähr gekommen. Schon in den ersten Landesverfassungen (Bayern 2.12.1946; Hessen 1.12.1946) war mit Zustimmung der amerikanischen Militärregierung der Anspruch festgeschrieben worden, dass Schulen und Hochschulen Ländersache seien. Hintergrund dafür war einerseits, dass die Länder das Wiederentstehen einer Hegemonialmacht á la Preußen verhindern wollten. Andererseits stimmten die politischen Kräfte in den Ländern mit den Alliierten in der negativen Bewertung der Weimarer Reichsverfassung überein, weil dadurch letztlich auch die nationalsozialistische Gleichschaltung des Staatsapparates begünstigt worden war. Darüber konnte der Parlamentarische Rat nicht hinwegsehen, als er am 1. September 1948 in Übereinkunft mit den Westalliierten die Ausarbeitung einer vorläufigen Verfassung für die spätere Bundesrepublik, begann.

In der Aufbauphase der Bonner Republik währte es freilich nicht lange, bis die Erfahrungen mit der Uneinheitlichkeit des Bildungswesen („Vater versetzt, Kind sitzengeblieben“) eine gesellschaftliche Debatte und Forderungen nach Reformen auslösten. Diese resultierten aus der Erkenntnis, dass die KMK nicht allein in der Lage war, auf dem Gebiet des Bildungswesens eine „Herstellung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ im Sinne des Art. 72 GG zu schaffen. Der Bund trat auf den Plan, Diskussionen über ein Bundeskultusministerium erreichten den Bundestag. Als Konsequenz kam es – erstmals in der Nachkriegsgeschichte – zur Schaffung eines unabhängigen Beratungsgremiums für Bund und Länder, dem „Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen“. Zu dessen Leistungen gehörten unter anderem die Aufstellung eines Rahmenplans für das öffentliche Schulwesen (Einführung einer zweijährigen Förderstufe nach der Grundschule, um die Selektion nach der 4. Klasse um zwei Jahre herauszuschieben). Doch die Umsetzung blieb umstritten zwischen konservativen „Bewahrern“ und progressiven „Reformern“ der auch in den folgenden Jahren die Bemühungen zur Modernisierung des Bildungswesens überschatteten.

Als 1964 die Debatte über den Bildungsnotstand in Westdeutschland aufbrandete, wurde der Ausschuss 1965 durch den „Deutschen Bildungsrat“ abgelöst. Er wurde – im Einverständnis von KMK und Bund – durch den Bundespräsidenten beauftragt, Bedarfs- und Entwicklungspläne für das deutsche Bildungswesen zu entwerfen (die Tätigkeit endete 1975). Der Rat, der unter anderem Empfehlungen zu Schulversuchen mit Ganztagsschulen (1968, vgl. S. 25 dieser Ausgabe), zu Schulversuchen mit Gesamtschulen (1969) und zur Struktur des Bildungswesen (Strukturplan 1970) herausgab, hat die bundesdeutsche Bildungsdebatte nachhaltig beeinflusst und wird heute noch in der Fachliteratur vielfach genutzt. Angesichts der parteipolitischen Kontroversen zwischen den Unionsparteien und dem sozialliberalen Lager (SPD und FDP) über zentrale Reformvorhaben hat er nur begrenzten Einfluss auf die Ausgestaltung des Bildungswesens im Sinne der Herstellung eines einheitlichen Bildungswesens gewinnen können.

Auch der 1957 gegründete Wissenschaftsrat hat nur im ersten Jahrzehnt seiner Tätigkeit mit seinen Empfehlungen auf die Entwicklung des Hochschulwesens und der Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik einwirken können. Das lag nicht zuletzt daran, dass in der Regierungskommission des Wissenschaftsrates (WR) die Kultusministerien der Länder und Bundesministerien stimmberechtigt vertreten waren – mithin war ein Gremium geschaffen worden, in dem sich die beteiligten Körperschaften selbst berieten. In den 60er Jahren mussten sich der WR (und letztlich die Länder) den Vorwurf des Versagens bei der Kapazitätsplanung der Hochschulen und mangelnde Reformbereitschaft vorhalten lassen. Indirekt wurden damit die Studentenunruhen der 68-Generation mit ausgelöst.

Mit der Schaffung eines neuen Grundgesetzartikels 91b wurde 1969 ein neuer Anlauf unternommen, die verkrusteten föderalen Strukturen zugunsten von mehr Einheitlichkeit durch Beteiligung des Bundes an der Bildungsplanung aufzubrechen. Doch auch dieser Versuch, Bildung und Wissenschaft – in den Worten von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) – „an die Spitze der Reformen“ zu katapultieren, war nur teilweise erfolgreich. Die in der sozialliberalen Ära von dem 1969 neu geschaffenen Bundesbildungsministerium (im „Bildungsbericht 70“) formulierten ehrgeizigen Reformpläne brachen sich am Widerstand der CDU/CSU-geführten Länder. Sie reklamierten auch in der Bund/Länder-Kommission für Bildungsplanung mit Hinweis auf den Kulturföderalismus einen einstimmigen Konsens für alle Reformvorhaben auch in der BLK. Dabei hatte das Abkommen für das Gremium vorgesehen, Mehrheitsentscheidungen treffen zu können.

Seit dem Ende der BLK werden alle wichtigen Maßnahmen im Bereich Wissenschaft und Forschung in der Gemeinsamen Wissenschaftskommission des Bundes und der Länder (seit 2008) vorbereitet und verabschiedet. Dadurch haben sowohl der Wissenschaftsrat als auch die KMK erheblich an Bedeutung eingebüßt. Die KMK ihrerseits hat mit ihren Reaktionen auf den PISA-Schock und der von ihr 1998 durchgesetzten Rechtschreibreform keine Lorbeeren verdienen können. Dass die soziale Herkunft immer noch maßgeblich über die Wahrnehmung von Bildungschancen entscheidet, wird den Ressortchef*innen ebenso angekreidet wie die in der KMK-Geschichte stetig wiederkehrenden Probleme, nicht rechtzeitig auf Geburtenentwicklung und Lehrkräftbedarf zu reagieren (vgl. Seite 22).

Im Jahr 2004 unternahm die niedersächsische CDU-geführte Landesregierung einen Anlauf, die KMK aufzulösen. Das Vorhaben wurde fallen gelassen, aber die Kultusministerkonferenz wurde in ihrer Bedeutung auf das zurückgestutzt, was sie eigentlich von Anbeginn an sein sollten: eine Fachministerkonferenz, abhängig von Entscheidungen ihrer Landeskabinette, in denen vor allem auch die Finanzminister das Sagen haben und den Ministerpräsidenten das Letztentscheidungsrecht zukam und zukommt. Auch in der Rolle als „Gralshüter des Föderalismus“ muss die längst in unterschiedliche Ressortbereiche (Bildung, Berufsbildung, Hochschule, Forschung und Kultur) aufgesplittete Ministerkonferenz kleine Brötchen backen. Letztendlich hat das von den CDU/CSU-Ländern 2007 erzwungene Kooperationsverbot zulasten einer bildungspolitischen Bundesmitwirkung dem föderalen Anspruch einen Bärendienst erwiesen. Die Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsident*innen (z.B. am 12.6.2008 Merkels Ankündigung der „Bildungsrepublik“) haben bildungspolitisch einen weit höheren Stellenwert als die KMK, in der dem Bundesbildungsministerium nur eine Gastrolle zugestanden wird. Jetzt macht die neue Bundesregierung einen weiteren Aufschlag. Die Not ist groß: Marode Schulen verlangen Investitionen, die Digitalisierung stellt die Bildungslandschaft vor große Herausforderungen. Ein neuer Bildungsrat und eine Neuordnung der Bund/Länder-Kooperation sind angesagt.

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