„CHANCENSPIEGEL 2017“ : Immer mehr Schüler*innen mit Migrationshintergrund ohne Schulabschluss

28. Februar 2017 // ticker

  • Anteil steigt auf 12,9 Prozent
  • Große Unterschiede zwischen den Ländern bei den Ganztagsschulen
  • Opposition kritisiert mangelnde Chancengleichheit

  • zwd Gütersloh/Berlin (hr). Die Quote der Schüler*innen mit ausländischen Wurzeln, die keinen Schulabschluss erreichen, ist in Deutschland seit 2002 von 12,1 auf 12,9 Prozent angestiegen. Das ergab der „Chancenspiegel 2017“ der Bertelsmann-Stiftung, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Bei den deutschstämmigen Schulabbrecher*innen gibt es hingegen einen positiven Trend. Er nahm von 6,2 auf 5,8 Prozent ab. „Es geht deutschlandweit voran – und gleichzeitig ergeben sich weitere Hausaufgaben für die Politik“, fasste die Bertelsmann-Stiftung der Ergebnisse zusammen.

    Einige positive Befunde der Studie: Es gibt mehr Abiturient*innen, die Zahl der Ganztagsschulen wächst und Schüler*innen mit und ohne Förderbedarf lernen zunehmend gemeinsam. Allerdings bleiben die Unterschiede zwischen den Ländern groß und sind zuletzt sogar gewachsen. Beispiel Ganztagsschule: Während in Sachsen 80 Prozent der Schüler*innen eine solche Schule besuchen, sind es in Bayern nur 15 Prozent. Auch ein Blick auf das gemeinsame Lernen und die Schulabschlüsse bestätigt den Befund: So besuchen beispielsweise in Bremen nur 1,5 Prozent der Schüler*innen eine Förderschule, in Mecklenburg-Vorpommern sind es noch fast 7 Prozent. In Brandenburg wiederum bleiben nur knapp 4 Prozent der ausländischen Schüler ohne Abschluss. Im Nachbarbundesland Sachsen hingegen sind es 27 Prozent.

    Ohnehin sei mangelnde Chancengerechtigkeit für junge Ausländer*innen eines der Hauptprobleme im deutschen Schulsystem. Für Jugendliche mit ausländischem Pass sei das Risiko eines Abbruchs – ohne zumindest den Hauptschulabschluss zu erreichen – mehr als doppelt so hoch wie für ihre deutschen Mitschüler*innen. „Es bleibt eine große Herausforderung, Jugendlichen zumindest einen Hauptschulabschluss zu ermöglichen – gerade, wenn sie als Flüchtlinge erst spät ins deutsche Schulsystem einstiegen“, erklärte Jörg Dräger vom Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Neben einem Migrationshintergrund kann auch die soziale Herkunft den Bildungserfolg erschweren. So liegen beispielsweise Neuntklässler*innen aus sozio-ökonomisch schwächeren Milieus in Sachen Lesekompetenz mehr als zwei Schuljahre hinter Klassenkamerad*innen zurück, die in wirtschaftlich besser gestellten Familien aufwachsen. Ein öffentliches Schulsystem müsse für vergleichbare Chancen sorgen und ein Mindestmaß an Fähigkeiten vermitteln – im Interesse der Jugendlichen und der Gesellschaft, unterstrich Prof. Nils Berkemeyer von der Universität Jena, einer der Autor*innen des aktuellen Chancenspiegels. Co-Autor Prof. Wilfried Bos von der TU Dortmund forderte Bund und Länder auf, über gemeinsame Standards gerechter Schulsysteme zu sprechen.

    Grüne fordern interkulturelle Bildung

    „Die Vergleichbarkeit der Bildungsangebote in den einzelnen Ländern müssen wir im Auge behalten“, stimmte Bundesbildungsministerin Prof.‘in Johanna Wanka (CDU) zu. Bildungschancen müssten für alle Kinder und Jugendlichen in allen Bundesländern gleich sein, betonte sie. Für die Linken-Bundestagsfraktion sind falsche sozialpolitische und bildungspolitische Entscheidungen die Ursache für die festgestellten Missstände. „Der leichte Rückgang darf nicht verschleiern, dass die notwendigen Änderungen im Bildungssystem viel zu schleppend vorangehen, ob es sich nun um Ganztagsschulen handelt oder die Umsetzung von Inklusion“, mahnte die bildungspolitische Sprecherin Rosemarie Hein. Lehrkräftemangel, Unterrichtsausfall und die Schulschließungen seien das Gegenteil einer verantwortungsbewussten Bildungspolitik, kritisierte sie. Für Özcan Mutlu, Bundestagsabgeordneter der Grünen, seien interkulturelle Bildung und multiprofessionelle Teams Voraussetzung für eine individuelle Förderung aller Schüler*innen. „Das ist nur möglich, wenn der Bund die Länder bei diesem Vorhaben unterstützen wird. Gerade auch im Hinblick auf die vielen jungen Menschen, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind“, so der bildungspolitische Sprecher der Fraktion. Nur durch eine Abschaffung des Kooperationsverbotes bleibe „Aufstieg durch Bildung“ keine leere Worthülse.

    Für den aktuellen Chancenspiegel hat die Bertelsmann-Stiftung zusammen mit Forscher*innen der TU Dortmund und der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Entwicklung der Schulsysteme der Länder zwischen 2002 und 2015 untersucht.

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