DIE WIEDERKEHR DER ALTEN STREITORDNUNGEN : Kampf um den neuen Deutschen Bildungsrat

27. November 2019 // Holger H. Lührig & Hannes Reinhardt

In ihrer Koalitionsvereinbarung hatten CDU/CSU und SPD vereinbart, einen Nationalen Bildungsrat einzusetzen. Jetzt droht das auf Betreiben der SPD im Groko-Vertrag verankerte Vorhaben am Widerstand der unionsgeführten Länder und des grün regierten Baden-Württemberg zu scheitern.

Die Ministerpräsident*innen auf ihrer Konferenz im bayerischen Elmau. - Bild: Bayerische Staatskanzlei Joerg Koch
Die Ministerpräsident*innen auf ihrer Konferenz im bayerischen Elmau. - Bild: Bayerische Staatskanzlei Joerg Koch

zwd Elmau/Berlin. Dabei hatte sich Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) mit den SPD-Kultusminister*innen bereits auf Eckpunkte eines künftigen Staatsvertrages und insbesondere über die besonders brisante Frage der Stimmverteilung der politischen Vertreter*innen im Bildungsrat geeinigt. Eine Einigung, die freilich den Ressortchef*innen der eigenen Partei nicht ­schmeckte – wie überhaupt das ganze Vorhaben.

Bereits bei der 367. Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) am 17./18. Oktober in Berlin wurden die parteipolitischen Gegensätze zwischen Unionsseite und den SPD-Kultusminister*innen unübersehbar. Zwar bemühte sich der hessische Kultusminister Prof. Alexander Lorz (CDU) als amtierender KMK-Präsident beim Presseabend der KMK um Schadensbegrenzung, indem er auf die immer wieder erreichte Einigungsfähigkeit der Ministerkonferenz verwies. Daher bestünden gute Chancen, bei der 368. Plenarsitzung zu einer Einigung zu kommen. Doch die Hoffnung währte nicht lange. Auf der Konferenz der Länderministerpräsidenten am 24. Oktober im bayerischen Elmau betonten die Regierungschef*innen die Notwendigkeit, „die im Grundgesetz vorgesehene Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung auf der Basis eines kooperativen Miteinanders mit den Bundesorganen zu stärken, die Kompetenzen der Länder gegenüber den immer wieder auftretenden Bestrebungen nach weiterer Zentralisierung zu schützen, den Grundsatz der Subsidiarität konsequent anzuwenden und eine faire Finanzverteilung zu erreichen, die ihnen die zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben notwendigen eigenen Mittel sichert“.

Länder werden in ihren Rechten geschwächt

Die Regierungschef*innen monierten nicht nur den unzulänglichen Umgang des Bundestages mit Gesetzgebungsinitiativen des Bundesrates, sondern vor allem auch, dass der Bund den Ländern für unbefristete Aufgaben häufig zeitlich befristete Programmmittel gewährt habe, die mit Steuerungs- und Kontrollrechten zugunsten des Bundes verbunden waren. Damit werde das Budget- und Kontrollrecht der Landesparlamente geschwächt. Demgegenüber habe der Bund den Ländern keinen aufgabengerechten Anteil am Steueraufkommen als eigene Finanzmittel (Art. 106. 3 Satz 4 GG) zugestanden. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die Auseinandersetzung um den Nationalen Bildungsrat (NBR) die Kerndebatte um die Zukunft des Föderalismus neu angefacht hat.

Passgenaue Antworten auf bildungspolitische Herausforderungen

Die Regierungschef*innen bekräftigen, wie die Bayerische Staatskanzlei nach der Konferenz mitteilte, „den verfassungsrechtlich garantierten Bildungsföderalismus als Fundament für ein leistungs- und zukunftsstarkes Bildungssystem in Deutschland. Im föderalen Handeln können durch konsequente Kooperation passgenaue Antworten auf die bildungspolitischen Herausforderungen entwickelt werden, um dem Anspruch von mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen gerecht zu werden“. Im Klartext: Ohne finanzpolitische Zugeständnisse der Groko wird die Auseinandersetzung um den Bildungsrat weiter schmoren.

Zugleich traten die Regierungschefs der großen Bundesländer (BY, BW, NRW, HE) für einen „Föderalismus der zwei Geschwindigkeiten“ ein. Bei diesem Modell würden finanziell starke Länder zusätzliche Kompetenzen vom Bund erhalten, während schwächere Länder Kompetenzen abgeben müssten. Ein Ansatz, der jedoch heftigen Widerspruch der SPD-Seite auslöste: So warnte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer vor einem „Wettbewerbs-Föderalismus nach Stärken, Schwächen und Ausstattung“. Ihr Amtskollege aus Niedersachsen, Stephan Weil, befand, die Bundesrepublik sei in den vergangenen Jahrzehnten gut damit gefahren, dass starke und schwache Länder zusammengehalten hätten: „Das wird auch so bleiben.“

Drohung mit dem Ausstieg

Zur Stützung der Länderposition stimmten die Ministerpräsidenten Söder und Kretschmann am Rande der Elmauer Konferenz gleich noch das notwenige Kriegsgeschrei an. Beide drohten offen mit dem Ausstieg aus dem Vorhaben Bildungsrat. Wie schon beim Streit um die Grundgesetzänderung für den „Digitalpakt Schule“ (das zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) argumentierten die Länderchefs mit der Befürchtung, das neue Gremium könnte ihre Kultushoheit einschränken. Söder bezeichnete den NBR sogar als ein „bürokratisches Monstrum, das am Ende aus Berlin in die kleinen Schulstuben hineinregiert und in die Klassenzimmer.“

So weit wird es nicht kommen. Denn tatsächlich soll der NBR nur Rat erteilen, aber nichts selbst umsetzen. Aber schon der Rat scheint gefährlich.

Entscheidungen mit Zwei Drittel-Mehrheit

Nach zwd-Informationen liegt seit geraumer Zeit ein Eckpunktepapier vor. Nach langen Verhandlungen hatte sich eine Arbeitsgruppe mit Vertreter*innen aus KMK und Bundesbildungsministerium auf einen 33 Punkte umfassenden Entwurf verständigt, der nun in den Kultusbürokratien kreist. Im Detail geht es noch um die Frage, inwieweit sich die Konstruktion des Bildungsrates an den Wissenschaftsrat anlehnen sollte. Dagegen ist offenbar geklärt, dass keine Seite die andere überstimmen kann – also weder der Bund die Länder noch umgekehrt. Allerdings ist aus den Erfahrungen mit der Bund/Länder-Kommission für Bildungsplanung wie auch der KMK der Schluss gezogen worden, dass keine Einstimmigkeit vorgeschrieben wird, sondern Entscheidungen mit Zwei-Drittel-Mehrheit getroffen werden können.

SPD: „Sinnlose Taktiererei“

Bei den sozialdemokratischen Länder- und Ressortchef*innen stießen die gegen das Groko-Projekt des Nationalen Bildungsrates gerichteten „Querschüsse“ aus dem Süden auf Unverständnis. Dieses sei „sinnlose Taktiererei“, konterte der Koordinator der SPD-geführten Bildungsressorts, Hamburgs Schulsenator Ties Rabe. Die Kultusminister*innen der Union blockierten bereits seit Monaten die Gespräche. Rabe erinnerte daran, dass der Vorschlag zur Einrichtung des NBR letztlich von dem damaligen CSU-Chef Horst Seehofer gekommen und mit Zustimmung der Unionsländer in den Groko-Vertrag aufgenommen worden sei.

Die Chancen und den Mehrwert ­der sachorientierten Institution NBR nicht verspielen

Der Vorsitzende des Bundestagsbildungsausschusses Ernst Dieter Rossmann hat unlängst in einem Gastbeitrag für den Berliner „Tagesspiegel“ dafür geworben, den Bildungsrat nicht auf Vertreter*innen des Bundes, der Länder und der Kommunen zu begrenzen, sondern auch für Repräsentanten aus Wirtschaft und Gewerkschaften, also auch für die Sozialpartner, zu öffnen: „Wer Rat bekommen und möglichst auch aufnehmen soll, muss sich mit dem Nationalen Bildungsrat identifizieren können. Dazu gehören Repräsentanz und Beteiligung.“ Rossmanns dringende Mahnung lautet: „Der mögliche Mehrwert einer solchen neuen sachorientierten Institution zur Reflektion der Bildungswirklichkeit und als Impulsgeber für die Zukunftsaufgaben im Bildungswesen darf nicht verspielt werden.“

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