BILDUNGSMONITOR 2020 : Kaum Fortschritte: Mehr Bildungsarmut, ungerechte Chancen

17. August 2020 // Ulrike Günther

Sachsen an der Spitze, gefolgt von Bayern und Thüringen – das ist das Ergebnis des Länder-Rankings beim Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Allgemein scheint es in der Bildung kaum Fortschritte zu geben: Während sich die Betreuungsverhältnisse verbessert haben, sind mehr Bildungsarmut und schlechtere Schulqualität zu verzeichnen. Die Krise droht, ungleiche Chancen und die Folgen von Lehrkräftemangel und fehlender Digitalisierung zu verschärfen.

Digitale Technik in Schulen könnte in der Krise das Lernen sicherstellen. - Bild: PxHere
Digitale Technik in Schulen könnte in der Krise das Lernen sicherstellen. - Bild: PxHere

zwd Berlin. Dass das Land im Südosten Ostdeutschlands wie im Vorjahr Sieger geworden ist, geht laut dem INSM-Bildungsmonitor 2020 auf weitreichende Ganztagsbetreuung und akademisch gebildete Kita-Erzieher*innen, hervorragende Werte in den IQB-Tests für Mathematik und Naturwissenschaften für Schüler*innen der 9. Klassen sowie viele dort tätige Forscher*innen zurück. Bayern hat nach Angaben der Studie die wenigsten mit Bildung unterversorgten Jugendlichen, Thüringen die höchsten Ausgaben pro Schüler*in an Berufsschulen und dort auch die besten Betreuungsschlüssel.

Problemländer wie Brandenburg, Bremen und Sachsen-Anhalt, welche die untersten Ränge belegten, haben jeweils u.a. mit geringen Erfolgsquoten bei Abschlussprüfungen von dualen Ausbildungen, einer großen Gruppe von Schüler*innen mit schwächeren Leistungen und hohen Schulabbrecherquoten unter ausländischen Jugendlichen zu kämpfen. Der seit 2004 vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft im Auftrag der INSW jährliche erstellte Bildungsmonitor nimmt nach eigenen Angaben eine bildungsökonomische Perspektive ein und untersucht, inwiefern die Bildungssysteme in den einzelnen Ländern zum Wohlstand und zur Sicherung des Fachkräftebedarfs beitragen, Aufstiegsmöglichkeiten und Teilhabe fördern.

Krise könnte Bildungsarmut und ungleiche Chancen verschärfen

Fortschritte verzeichnet der Bildungsmonitor im Bereich der Internationalisierung, den die INSM nach dem Anteil ausländischer Studierender an Hochschulen, Lesekompetenzen im Englischen und der Anzahl von in Fremdsprachen unterrichteten Berufsschüler*innen misst. Darüber hinaus stellt die Studie verbesserte Lehrer*in-Schüler*in-Relationen an Grundschulen und im dualen System sowie Dozent*in-Student*in-Verhältnisse an Hochschulen fest. Demgegenüber haben sich jedoch die INSM-Werte für Bildungsarmut, die schulische Qualität und Integration verschlechtert. Die Forscher*innen befürchten, dass sich die Corona-Krise mit dem in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gut funktionierenden Fernunterricht nachteilig auf diese genannten Bereiche auswirken könnte.

Nach Ansicht des INSM-Geschäftsführers Hubertus Pellengahr haben die Wochen und Monate der Krise die enormen Defizite im bundesdeutschen Bildungssystem, vor allem bei der Digitalisierung, aufgezeigt. Die Folgen „jahrelange(r) Versäumnisse der Politik und träge(n) Handeln(s) der zuständigen Bildungsbehörden“ hätten nun Kinder und ihre Eltern zu tragen, erklärte Pellegahr anlässlich der Veröffentlichung der Studie am 14. August. Besonders betroffen seien davon die sog. bildungsfernen Familien. Nach Auffassung der INSW könnte sich die Gefahr von verschärften ungleichen Bildungschancen im Fall erneuter Schulschließungen durch einen guten Fernunterricht verringern. Daher fordern die Forscher*innen, die Digitalisierung voranzubringen, an bundesdeutschen Schulen 20.000 IT-Administrator*innen einzustellen und Lehrkräfte verpflichtend in digitaler Didaktik weiterzubilden.

SPD will schulische Qualität über Einzelschulen stärken

Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Oliver Kaczmarek nannte die vom Monitor verzeichneten Rückschritte bei Schulqualität, Integration und Bildungsarmut „alarmierend“. Ebenso wiesen die Daten zur digitalen Ausstattung auf den „bekannten großen Handlungsbedarf“ hin. Aus Sicht von Kaczmarek mache die Studie aber auch die Grenzen von Ländervergleichen deutlich. Diese könnten kaum über die Herausforderungen einzelner Schulen Aufschluss geben, die sich regional spezifischen sozialen Problemlagen oder besonders hohen Bildungsansprüchen gegenübersehen.

Schulische Qualität lasse sich nur verbessern, wenn man Einzelschulen in dieser Aufgabe stärke. Der Bund werde die Länder durch das auf Betreiben der SPD-Fraktion abgeschaffte Kooperationsverbot dabei unterstützen, so Kaczmarek. Der SPD-Sprecher hob außerdem die Bedeutung des DigitalPaktes als zentralen bildungspolitischen Versprechens aus der Koalitionsvereinbarung hervor. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP Katja Suding forderte, der Staat müsse bei steigenden Erkrankungsraten seine „Unterrichtspflicht digital erfüllen“. Suding setzt sich für zeitgemäße technische Ausrüstung in den Klassenräumen, moderne Weiterbildungen für Lehrkräfte und digitale Lernkonzepte ein.

Zwischen 2013 und 2018 hat sich der INSW-Studie zufolge die Anzahl der Schulabgänger*innen ohne Abschlusszeugnis fast stetig erhöht, und die über den PISA-Test ermittelte Risikogruppe von Schüler*innen mit schwachen Kenntnissen in Mathematik ist zwischen 2015 und 2018 von rund 17 Prozent auf über ein Fünftel ( 21,2 Prozent) angewachsen. Insgesamt sind die durch PISA bewerteten Kompetenzen in Mathematik und den Naturwissenschaften gesunken. Der Anteil von ausländischen Schulabbrecher*innen unter den Schulabsolvent*innen ist von 2013 bis 2018 um rund 7 Prozent auf 18,2 Prozent gestiegen, dagegen stagniert nach Werten um 30 Prozent 2011/12 seit 2015 die Zahl der ausländischen Studienberechtigten ungefähr bei 15 bis 16 Prozent.

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