GESETZENTWURF : Union blockiert Entscheidung zu § 219a im Bundesrat

27. April 2018 // Holger H. Lührig und Sibille Heine

Die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg und Thüringen sind mit ihrem Vorstoß gescheitert, über ihren seit Dezember in der Länderkammer beratenen Gesetzentwurf zur Streichung des § 219a des Strafgesetzbuchs abzustimmen. Stattdessen wurde der Entwurf nach kontroverser Debatte im Bundesratsplenum am Freitag (27.4.) zur weiteren Beratung an den Rechtsausschuss zurückverwiesen.

Bild: Bundesrat / Frank Bräuer
Bild: Bundesrat / Frank Bräuer

zwd Berlin. Die Beratung über den Gesetzentwurf der Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg und Thüringen (Bundesratsdrucksache Nr. 761/17) im Bundesratsplenum erfolgte auf Antrag Berlins. Die Vorlage war bereits am 15. Dezember vergangenen Jahres in der Länderkammer vorgestellt und dann zur weiteren Beratung an die Fachausschüsse überwiesen worden. Die Bundesratsausschüsse für Frauen und Jugend sowie Gesundheit hatten dem Plenum zuvor empfohlen, dem Entwurf zuzustimmen und ihn dem Bundestag zuzuleiten.

Behrendt: Streichung kein "Selbstläufer" mehr

Der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hatte, gestützt auf die Voten der beiden Bundesratsausschüsse, in der Debatte einleitend auf die breite gesellschaftliche Unterstützung für rasche Streichung des Paragrafen 219a verwiesen. Noch vor wenigen Tagen habe beispielsweise auch die Hamburger Ärztekammer die Streichung des Paragrafen 219a gefordert. Der Senator begründete den Antrag Berlins, den Gesetzentwurf erneut auf die Tagesordnung des Bundesrates zu setzen, mit der Feststellung, seinerzeit sei angenommen worden, dass die Streichung dieser Strafrechtsnorm im Bundestag zum "Selbstläufer" würde. Das habe sich jedoch geändert, obwohl die Argumente für die Streichung seit Anfang des Jahres "nicht schlechter" geworden seien. Der Grünen-Politiker spielte damit auf Bestrebungen an, durch ein breites parteienübergreifenden Bündnis eine Mehrheit im Bundesparlament für die Streichung des 219a herbeizuführen. Entsprechende Gesetzentwürfe hatten die Bundestagsfraktionen von Linken und Grünen vorgelegt, die SPD-Bundestagsfraktion hatte jedoch einen gleichgerichteten Entwurf mit Rücksicht auf den Koalitionspartner CDU/CSU zunächst im Bundestag nicht eingebracht.

In seiner Rede vor dem Bundesratsplenum wiederholte der Berliner Justizsenator die in der Begründung des Gesetzentwurfs benannten Argumente. Demgemäß heißt es in der Bundesratsvorlage der fünf Länder wörtlich:

"Die Sanktionierung des Anbietens auch von sachlichen Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen ist jedoch nicht mehr zeitgemäß. Das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche wurde 1933 in das Reichsstrafgesetzbuch eingeführt. Die Vorschrift des § 219a StGB widerspricht den heutigen Vorstellungen von Informationsfreiheit, Selbstbestimmung und freier Arztwahl. Schwangere sollen durch Informationen in die Lage versetzt werden, selbstständig zu entscheiden, wie und bei welcher Ärztin oder bei welchem Arzt sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen. Zugleich dürfen Ärztinnen und Ärzte nicht dafür kriminalisiert und sanktioniert werden, dass sie ihrer Aufklärungspflicht gegenüber Patientinnen nachkommen. Überdies ist nicht einzusehen, dass über Schwangerschaftsabbrüche, die unter den Voraussetzungen des §§ 218 ff. StGB straffrei sind, nicht auch rechtmäßig informiert werden darf."

Darauf ging in ihrer Plenumsrede auch die Thüringer Sozialministerin Heike Werner (LINKE) ein. Für sie steht bei der Debatte über den Paragrafen 219a nicht der Schwangerschaftsabbruch im Fokus, sondern die sachliche Information. Eine Werbung für Schwangerschaftsabbrüche sei den Ärzt*innen bereits aus einem anderen gesetzlichen Grund untersagt, stellte Werner unter Hinweis auf § 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb fest. Zudem untersage auch § 27 der Berufsordnung der Ärzt*innen eine berufswidrige Werbung. Die Regelung des § 13 Abs. 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, mit dem der Gesetzgeber die Länder verpflichtet habe, ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen für Schwangerschaftsabbrüche vorzuhalten, werde durch die Einschränkung sachlicher Informationsangebote erschwert.

Bayerischer Staatsminister Bausback spricht von "Fake"-Begründung

Als einziger Redner des Unionslagers im Bundesrat kündigte Staatsminister Prof. Winfried Bausback (CSU) für die bayerische Staatsregierung an, dass sein Land den Gesetzentwurf ablehnen werde. Nach Meinung des Justizministers ignoriert der Fünf-Länder-Gesetzentwurf mit einer "irreführenden Begründung verfassungsrechtliche Vorgaben". Die Argumentation, die Regelung des Paragrafen 219a sei nicht mehr zeitgemäß, bezeichnete der Minister als "Fake-Begründung". Es gebe keine ersichtlichen Gründe für die Streichung, sagte der CSU-Politiker und fügte wörtlich hinzu: "Wer das fordert, legt die Axt an die Wurzel eines hart errungenen Gesamtkonzeptes nach langen politischen Auseinandersetzungen", warnte der Unionspolitiker an die Adresse von SPD, Linken, Grünen und FDP.

SPD will Lösung bis zum Herbst

Die Fronten zwischen den Befürworter*innen und Gegner*innen der Streichung des Paragraen 219a haben sich durch verschiedene Vorstöße von Politiker*innen aus den Reihen von CDU und CSU verhärtet. Noch während der Koalitionsverhandlungen hatte die SPD-Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf zur Streichung des Paragrafen vorgelegt, kurz danach aber als Entgegenkommen gegenüber der Union wieder zurückgezogen. Man wolle zunächst als Koalitionspartner gemeinsam eine Lösung durch das Justizministerium erarbeiten lassen, verlautete dazu aus SPD-Kreisen. Nachdem ein Antrag zur Einbringung des Gesetzentwurfs im Bundestag auf dem SPD-Parteitag am 22. April aus zeitlichen Gründen nicht zum Zuge gekommen war, hatte sich der Parteivorstand im Anschluss an den Parteitag ausdrücklich für die Streichung des Paragrafen ausgesprochen und im Sinne des Vorschlages der Antragskommission auf dem Parteitag betont, dass bis zum Herbst mit der Union eine Lösung im Streit um den Paragrafen 219a gefunden sein müsse. Wörtlich heißt es in dem Beschluss des SPD-Vorstandes unter anderem:

"Ein freier Zugang zu sachlichen medizinischen Informationen ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten daher nicht verhandelbar. Vor diesem Hintergrund unterstützt der SPD-Bundesparteitag den Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zur Streichung des § 219a StGB. Die Suche nach einer parlamentarischen Mehrheit darf angesichts weiterer laufender Strafverfahren gegen Ärztinnen und Ärzte nicht auf die lange Bank geschoben werden.

Dazu können ein in der Bundesregierung abgestimmter Gesetzentwurf oder Gespräche mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beitragen. Wenn dies nicht bis zum Herbst zum Erfolg führt, muss in Gesprächen mit den reformwilligen Fraktionen bzw. Abgeordneten nach einer Lösung gesucht werden, z.B. mit einem sog. Gruppenantrag, um eine möglichst breite parlamentarische Mehrheit zu finden, bei der jede/r einzelne Abgeordnete nach seinem/ihrem Gewissen abstimmen kann. Deshalb fordern wir die SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, umgehend die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit möglichst schnell gesetzliche Änderungen verabschiedet werden, auf deren Grundlage Ärztinnen und Ärzte straffrei über Schwangerschaftsabbrüche objektiv informieren können und das Informationsrecht für schwangere Frauen gewährleistet wird."

Ministertreffen (Spahn, Barley, Giffey, Braun) ohne Ergebnis

Unionspolitiker nannten diese Zeitvorgabe inakzeptabel, darunter Unionfraktionschef Volker Kauder und der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt. Eine stabile Koalition zeichne sich dadurch aus, dass sie Meinungsverschiedenheiten intern kläre, und nicht mit einer offenen Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Dritten kokettiere, wurde Dobrindt vom Berliner Tagesspiegel zitiert. Am Mittwoch endete ein Gespräch im Kanzleramt zwischen Justizministerin Katarina Barley (SPD), Frauen- und Familienministerin Franziska Giffey (SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) ohne konkrete Ergebnisse.

Bundesärztekammer-Präsident sieht als "Kompromisslösung" der Veröffentlichung einer Ärzt*innen-Liste

Bereits Anfang April hatte auch der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, davor gewarnt, Ärzt*nnen eine sachliche Information zu Schwangerschaftsabbrüchen zu untersagen und sie mit Strafverfahren zu überziehen. Sachliche Information über Hilfeangebote müsste erlaubt sein und dürfte nicht mit Gefängnis oder Geldstrafe sanktioniert werden. Der Paragraf kriminalisiere Ärzt*innen, obwohl die Berufsordnung der Ärzteschaft bereits strenge Regeln zum Thema Werbung diktiere. In der vergangenen Woche plädierte der Ärzte-Präsident für eine "Kompromisslösung" in Form der Veröffentlichung einer Liste aller Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen. Diesen Vorschlag bezeichnete der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) als höchst problematisch. "Die Nennung in einer Liste von Ärzt*innen, die bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, bedeutet in der momentanen Situation, sich schutzlos den Angriffen und Diffamierungen der Abtreibungsgegner auszusetzen. Diesen Ängsten und dem Druck wird sich kaum eine Kolleg*in freiwillig ausliefern, solange der § 219a in seiner jetzigen Form bestehen bleibt", unterstrich der AKF in einer Erklärung vom Donnerstag.

Am Montag (23.04.) hatte ein Bündnis von 26 Verbänden in einem offenen Brief die Bundesregierung und die Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD aufgefordert, den Strafrechtsparagrafen 219a abzuschaffen und den freien Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zu ermöglichen. Mit ihrer Initiative unterstützen die Sozial- und Frauenverbände, darunter auch die Evangelischen Frauen in Deutschland, sowie Gewerkschaften und Fachverbände wie pro familia auch die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel, die im vergangenen Jahr von einem Amtsgericht wegen "unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche" (noch nicht rechtskräftig) verurteilt worden war. Die Ärztin hatte auf ihrer Webseite unter anderem sachlich darüber informiert, dass sie in ihrer Praxis auch Schwangerschaftsabbrüche durchführe.



Artikel als E-Mail versenden