zwd Hannover. Laut der von der niedersächsischen Landesregierung geplanten Regelung sollen Richter*innen und Staatsanwält*innen künftig religiöse oder politische Symbole wie Kippa, Kopftuch oder Christenkreuz nicht mehr öffentlich vor Gericht tragen dürfen, wenn Zeug*innen, Sachverständige oder Zuschauer*innen anwesend sind. Frauen würden durch diesen Gesetzentwurf „auf ihre Kleidung reduziert, statt ihre hart erarbeitete Kompetenz zu beachten", sagte Sadiqu Al-Mousllie, Sprecher des niedersächsischen Landesverbandes des Zentralrates der Muslime dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auf Vorschlag vom Justizministerin Barbara Havliza (CDU) hatte das Kabinett von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am vorigen Dienstag dafür gestimmt, den Gesetzentwurf zur Stärkung der Neutralität der Justiz in den Landtag einzubringen.
Justizministerin: "Neutralität in Gerichtsverfahren ist zu wahren"
Demnach soll es Personen, welche ein Amt als Richter*in oder Staatsanwält*in ausüben, in Verhandlungen, jedoch auch bei anderen Amtshandlungen untersagt sein, mit Kleidungsstücken oder Abzeichen sichtbar zum Ausdruck zu bringen, dass sie Anhänger*innen einer bestimmten Religion oder weltanschaulichen Überzeugung sind. Das Gesetz solle bei den an Verfahren Beteiligten und im öffentlichen Ansehen das Vertrauen in die neutrale Vorgehensweise der Justiz sichern, heißt es in dem Entwurf. Richter*innen seien von Rechts wegen dazu verpflichtet, sich ihren Aufgaben unparteiisch und sachlich wie persönlich unabhängig zu widmen. Würden sie ihrer Erscheinung nach parteilich wirken, drohten sonst die Richter*innen, Staatsanwält*innen und Rechtspfleger*innen, ihre Akzeptanz in der Gesellschaft zu verlieren, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs.
An keinem anderen Ort sei „die Neutralität so wichtig wie in einem Gerichtsverfahren“, erläuterte Havliza ihren Vorstoß für das neue Gesetz. Die Justiz sei bei ihren Entscheidungen „ausschließlich an Recht und Gesetz“ gebunden. Diese von der Rechtsprechung zu wahrende Neutralität müsse auch nach außen hin erkennbar sein, hob die Justizministerin hervor. Anlass für den Entwurf zum Gesetz hatten mehrere muslimische Referendarinnen gegeben, die ihre Kopftücher auch bei der Arbeit im Gerichtssaal anlegen wollten, wie ein Sprecher des Ministeriums dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) mitteilte.
Muslim*innen: Gesetz würde religiöse Menschen verunglimpfen
Al-Mousllie hingegen argumentierte, dass Kopftücher in vielen Regionen Deutschlands längst zur Alltagswelt gehörten. Musliminnen „wegen ihrer Religion“ zu misstrauen, sei dem Verbandssprecher zufolge “vollkommen unredlich“. Nach Ansicht Al-Mousllies würden gläubige Menschen durch das geplante Gesetz sowohl von zentralen Bereichen der Gesellschaft ausgeschlossen und an den Rand gedrängt als auch öffentlich als parteiisch und voreingenommen verunglimpft. Das Vertrauen, das die aus vielen religiösen und ethnischen Gruppen zusammengesetzte Gesellschaft dem Rechtsstaat entgegenbringe, werde „dadurch extrem geschwächt“, gab Al-Mousllie zu Bedenken.
Äuch der Vorsitzende der Schura, der Vereinigung der Muslime in Niedersachsen, Recep Bilgen, warf SPD und CDU vor, sie schürten „Vorurteile gegenüber Personen, die aus religiösen Gründen bestimmte Kleidungsstücke“ anlegen. Laut Bilger verletze die Gesetzesvorschrift gleich mehrere Grundrechte wie die Religionsfreiheit und die Berufsfreiheit. Musliminnen würden durch das geplante Gesetz faktisch daran gehindert, ihren Beruf auszuüben, wenn sie aus Glaubensgründen den als verpflichtend angesehenen Kleidungscode befolgen wollen. Die als fundamentalistisch geltende Islamische Gemeinschaft Milli Görüs hatte zuvor moniert, der Entwurf zum neuen Gesetz würde wie ein „faktisches Kopftuchverbot“ wirken.
Jüdische Gemeinde: Gesetzentwurf für Religionsfreiheit problematisch
Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland übte Kritik an dem Gesetzesvorhaben. Er hält die in Aussicht genommene Vorschrift in Hinsicht auf die durch das Grundgesetz (GG, Art. 4) und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, Art. 9) zu gewährleistende Religionsfreiheit für „sehr problematisch“ und sieht es als erforderlich an, den Entwurf daraufhin zu überprüfen. Mit Blick auf die europäische und besonders die deutsche Geschichte sowie eine Reihe von terroristischen Ereignissen komme der Religionsfreiheit eine hervorragende Bedeutung zu. Sinnhafte Zeichen eines gläubigen Bekenntnisses öffentlich zu tragen sei außerdem integraler Bestandteil und Ausdruck für das Leben in einer offenen, toleranten Gesellschaft, so der Zentralrat.
Ev. Landeskirche: Tragen unscheinbarer religiöser Zeichen erlauben
Im Gegensatz dazu hatte sich die evangelische Landeskirche schon im Vorfeld der Entscheidung im Kabinett gegenüber dem Gesetzesvorhabens befürwortend ausgesprochen. Sie sieht die vom Staatskirchenrecht gestellten Anforderungen trotz des Eingriffs in die Religionsfreiheit von dem geplanten Gesetz als erfüllt an. Die Präsidentin des Landeskirchenamtes von Hannover Stephanie Springer unterstrich, die richterliche Robe sei in besonderem Maße Ausdruck der staatlichen Neutralität. Sie halte es im Grundsatz für richtig, wenn Richter*innen und Staatsanwält*innen beim Ausüben ihrer Ämter religiöse Kleidungsstücke oder Symbole nicht auffällig sichtbar an sich tragen dürften, erklärte Springer. Das Verbot müsse allerdings mit dem individuellen Recht auf Religionsfreiheit in Einklang gebracht werden. Deshalb sollten diskrete Zeichen wie unscheinbare Kettenanhänger mit einem Christuskreuz, einem David-Stern oder einem anderen religiösen Sinnbild weiterhin erlaubt sein.