CORONA-KONJUNKTURPROGRAMME : Keine Staatshilfen ohne Frauenförderung

31. Mai 2020 // Holger H. Lührig

zwd Berlin. Mit der Forderung, die geplanten Konjunkturprogramme an Kriterien der Geschlechtergerechtigkeit zu knüpfen, beschäftigt sich der Beitrag von zwd-Herausgeber Holger H. Lührig. Der Text ist erstmals im zwd-POLITIKMAGAZIN, Ausgabe 378 vom 31. Mai 2020. erschienen.

Mit verschiedenen Appellen haben sich die führenden Frauenorganisationen seit Beginn der Corona-Krise an die Politik gewandt: Sie verlangten von den Krisenmanager*innen in Bund und Ländern, engagiert dem Rückfall in traditionelle Rollenbilder in den Familien entgegenzutreten und entschlossen für konkrete Verbesserungen bei der Gleichberechtigung zu sorgen. Das milliardenschwere Konjunkturprogramm zur Wiederbelebung der Wirtschaft, das im Juni vom Bundestag und Bundesrat auf den Weg gebracht werden soll, müsse einen Beitrag zur Frauenförderung leisten. Keine Staatshilfen ohne Frauenförderung, betonte Bundesfrauen- und -familienministerin Franziska Giffey (SPD).

Die Ministerin stellte sich damit hinter die Forderungen, die der Deutsche Frauenrat im Einklang mit weiteren bundesweit tätigen Frauenorganisationen und Gewerkschaften in die Debatte gebracht hatten. Schon am 29. April hatten 20 Frauen-Spitzenorganisationen einen Appell unter dem Titel „Wann, wenn nicht jetzt“ veröffentlicht und an die Politik einen sieben Punkte umfassenden Katalog dringend notwendiger Maßnahmen zugunsten von Frauen in prekären Familien- und Beschäftigungsverhältnissen gerichtet und ein mutiges Handeln wie in der Corona-Krise eingefordert (Wortlaut des Appells auf Seite 11). Am 15. Mai erinnerten nochmals die 17 Verbände der sogenannten „Berliner Erklärung“(BE) an ihren zur Bundestagswahl 2017 veröffentlichten Forderungskatalog nach gleichberechtigter Teilhabe, gleicher Bezahlung und nach Verbindlichkeit, Transparenz und Monitoring von Gleichstellungspolitik. Monika Schulz-Strelow, Präsidentin von FidAR (Frauen in die Aufsichtsräte), warnte namens der BE-Initiatorinnen, die Corona-Krise lege nicht nur die Defizite in der Gleichstellungspolitik offen, sondern berge Gefahren für die gleichstellungspolitische Entwicklung in Deutschland: „Denn die Krise wird für viele Verzögerungen als Erklärung genutzt, um Maßnahmen nicht mehr in dieser Legislaturperiode abzuschließen“. Namentlich gemeint ist damit das zentrale gleichstellungspolitische Vorhaben des Koalitionsvertrages, die Novellierung des Gesetzes für mehr Frauen in Führungspositionen, die vom Bundeswirtschaftsministerium in der Ressortabstimmung wegen angeblich „unzumutbaren Mehrbelastungen“ für die Unternehmen abgelehnt wird und nun in den Schubladen des Kanzleramtes schmort.

„Vor dem Virus sind nicht alle gleich“

Die Debatte über die Gesetzesinitiative der sozialdemokratischen Bundesministerinnen Christine Lambrecht (Justiz) und Franziska Giffey (BMFSFJ) wird nach Einschätzung politischer Beobachter erst nach der Sommerpause wieder in Gang kommen. Sie wird überlagert von den Konsequenzen des Lockdown, mit den das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben Mitte März weitgehend zu Erliegen gebracht wurde. Die Diskussionslinien zu den Folgen sind vielfältig miteinander verwoben, gipfeln aber in der These des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW): „Vor dem Virus sind nicht alle gleich.“

Daraus folgte der klare Anspruch, alle Maßnahmen im Rahmen der geplanten milliardenschweren Hilfs- und Konjunkturpakete müssten sich daran messen lassen, wie weit Lehren aus den Erfahrungen mit früheren Konjunkturpaketen berücksichtigt werden, wie sie unter anderem in einer im Jahre 2010 veröffentlichten Studie des Arbeitsbereichs Frauen und Geschlechterforschung der Friedrich Ebert-Stiftung beschrieben worden sind (siehe Kasten, nebenstehend). Schon damals schlussfolgerte die Autorin Mara Kuhl, dass die Finanzhilfen vorwiegend männerdominierten Branchen zugutegekommen waren, während Aspekte der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der Sorgearbeit und der Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt unberücksichtigt geblieben waren. Die Autorin beklagte dann auch den fehlenden genderpolitischen Blickwinkel – nicht zuletzt auch ein Ergebnis der von Männern dominierten Entscheidungsgremien.

Giffey nicht im „kleinen Corona-­Kabinett“ – die Kanzlerin sieht darin kein Problem

Auch in der jetzigen Corona-Krise wird eine ähnliche Situation beklagt. Im „kleinen“ Corona-Kabinett der Bundesregierung (Bild oben) war neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nur eine Frau vertreten: die CDU-Vorsitzende und Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die übrigen Mitglieder waren Finanzminister Olaf Scholz, Außenminister Heiko Maas (beide SPD), Bundesminister Horst Seehofer, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der Chef des Bundeskanzleramtes Helge Braun (alle CDU bzw. CSU). Nicht im „kleinen“ Corona-Kabinett: die Ressorts der zentral von Lockdown-Maßnahmen betroffenen gesellschaftlichen Bereiche, die von der Bundesfamilienministerin vertreten werden: Frauen, Familie, Kinder, Senioren (siehe Grafik oben) Dass übrigens auch die für Bürgerrechte und Grundrechtsfragen zuständige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) und der Bundeswirtschaftsminister in der Runde fehlten, wurde im politischen Berlin ebenfalls mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Darauf von der grünen Frauenpolitikerin Ulle Schauws im Bundestag im Rahmen der Regierungsbefragung angesprochen, reagierte Bundeskanzlerin abweisend: Sie sehe darin kein Problem (Wortlaut auf Seite 9).

Für die Frauenverbände, aber auch Gesellschaftswissen-schaftler*innen war die Nichtbeteiligung Giffeys im kleinen Corona-Kabinett ein „No-Go“. Die Zusammensetzung des maßgeblichen Entscheidungsgremiums zeuge von einer nur wenig sensiblen Befassung mit den gesellschaftlichen und gerade auch für Familien einschneidenden Folgen des Lockdown: Weder wurden die Grundrechtseinschränkungen (als Folge des Ausgangsverbotes) noch die sozialen Auswirkungen auf Familien (als Folge der verordneten Kita- und Schulschließungen) hinreichend in den Blick genommen. Sowohl die Kanzlerin-Runde als auch die mit den Ministerpräsident*innen der Länder getroffenen Vereinbarungen waren ausschließlich vom Primat möglicher Folgen der Virusausbreitung bestimmt und vernachlässigten infolgedessen sowohl die wirtschaftlichen als auch die gesellschaftlichen Folgen des Lockdown.

Schlechte Bezahlung, Verdienstausfall trotz Kurzarbeitergeld, häusliche Isolation

Dabei waren die Auswirkungen frühzeitig durch Arbeiten verschiedener Forschungsinstitute sowie aufgrund von nachdrücklichen Warnungen aus dem Verbändebereich und den Gewerkschaften unübersehbar deutlich geworden, wie sie der Deutsche Frauenrat schon bald nach dem Lockdown in einem Factsheet zusammengetragen hat:

u Durch die Corona-Krise wird deutlich, dass der Frauenanteil an den sogenannten „systemrelevanten Berufen“ bei knapp 75 Prozent liegt (Krankenpflege, Kitas und Supermärkte), allesamt schlecht bezahlt als Ausdruck von Geringschätzung von Sorgearbeit als eine typisch weibliche Tätigkeit. Deshalb muss die professionelle Sorgearbeit durch angemessene Vergütungen aufgewertet und die Arbeitsverhältnisse verbessert werden.

u Die bisherigen Hilfen der Bundesregierung reichen nicht aus, um den Verdienstausfall freigestellter Arbeitnehmer*innen zu kompensieren. Das Kurzarbeitergeld wirkt sich dank Ehegattensplitting negativ auf die hoch besteuerten Einkomen vieler Ehefrauen aus. Kurzarbeitergeld kann zudem nur erheben, wer in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat: Auf die Beschäftigungsformen von Frauen trifft das oftmals nicht zu.

u Die häusliche Isolation, verbunden mit existenziellen Sorgen und Nöten, erhöht das von Partnern und Vätern ausgehende Gewaltrisiko für Frauen und Kinder. Deshalb ist der Ausbau der Beratungsstellen und Frauenhäuser in und vor allem nach der Krise unverzichtbar.

u Mit Beginn der Corona-Krise sind Krankenhäuser aus Infektionsschutzgründen dazu übergegangen, werdende Väter nicht mehr als Begleitperson in die Kreißsäle zu lassen. Nicht zuletzt die durch Hebammenmangel überlastete Geburtshilfe muss finanziell und personell so ausgestattet werden, dass Gebärende und ihre Säuglinge gut betreut und versorgt werden können.

Frauen tragen in den Haushalten die Hauptlast

Nach Vorliegen erster Ergebnisse aus der Mannheimer Corona-Studie sowie des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung, Berlin (siehe nebenstehende Seite 7), verstärkte die Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, Mona Küppers, am 17. April die Warnungen vor einer „Rolle rückwärts ins Alleinernährer-Modell“. Ihre B­­efürchtung: „Politiker*innen scheinen davon auszugehen, dass Familien die Betreuung von Kita- und Schulkindern weiterhin auf eigene Kosten stemmen.“ Wenn in den allermeisten Fällen die Corona-bedingte Sorgearbeit von Müttern erbracht werden müsse, stehe zu befürchten, dass sie aufgrund kleinerer Gehälter in den Familien zurückstecken, denn knapp 90 Prozent der Mütter mit Kindern unter drei Jahren arbeiten in Teilzeit. Die Frauenrats-Vorsitzende spitzte deshalb ihre Befürchtung mit der Feststellung zu: „Diese Entwicklung ist eine Rolle rückwärts in die 50er Jahre“.

Mittlerweile hat die Forschung die berechtigten Sorgen wissenschaftlich fundiert und bestätigt. Während das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vor wachsender Ungleichheit warnte, registrierte das Meinungsforschungsinstitut Civey nicht nur eine ungleiche Geschlechterbeteiligung an Hausarbeit und Kinderbetreuung, sondern auch ein wachsendes Gefühl bei Frauen, die Hauptlast der häuslichen Arbeiten tragen zu müssen (ebenda Seite 7). Das wiederum korrespondiert mit der Feststellung des Wissenschaftszentrums, dass sich Mütter in wachsendem Maße mit ihrer häuslichen Situation wie auch an ihren Arbeitsplätzen unzufrieden zeigen. Für die Präsidentin des Wissenschaftszentrums, Prof.‘in Jutta Allmendinger, kommen diese Befunde nicht überraschend. Viele Frauen hätten eine ganz andere Vorstellung von einem guten Leben als früheren Frauengenerationen zugestanden war. „Sie wissen“, formulierte Allmendinger am 12. Mai in einem Gastbeitrag für ZEIT-ONLINE, „dass finanzielle Unabhängigkeit von den Partnern und Partnerinnen auch ein großes Stück Freiheit bedeutet – eine Existenzgrundlage allemal“. Und: „Sie möchten ein Stück eigenes Leben, eigene Lebenszusammenhänge, eigene Erfahrungen. Zeit für sich.“

Rolle rückwärts in die 50er Jahre

Die Umfragen des Wissenschaftszentrums – ebenso inzwischen auch des Meinungsforschungsinstituts Civey (Seite 7) – bestätigen nach den Worten Allmendingers, dass die Zufriedenheit vieler Frauen mit ihrer Erwerbsarbeit, mit ihrer Familiensituation, mit ihrem Leben „eingenickt“ ist. Die Wortschöpfung „Retraditionalisierung“ für den Backlash sei ein zu schmusiges, verharmlosendes Wort, fügt die WZB-Präsidentin hinzu.

Doch die Sozialwissenschaftler*innen ebenso wie führende Wirtschaftsinstitute (DIW, IW) vermochten das von virologischen Prämissen geprägten Regierungshandeln wenig zu durchdringen. Erst in der zweiten Mai-Hälfte deutete sich ein gewisser Bewusstseinswandel bei den Regierenden in Berlin an. Vor dem Hintergrund wachsenden Drucks unzufriedener Eltern wurden Lockerungen bei Kita- und Schulbetrieb – zumindest für Eltern mit systemrelevanten Berufen – eröffnet. Es wurde über zusätzliche finanzielle Hilfen für Familien diskutiert. Schon am 24. April hatte DIW-Präsident Prof. Marcel Fratzscher (Humboldt-Universität Berlin) in einer ZEIT-ONLINE-Kolumne darauf hingewiesen, dass in Deutschland ein anderes Familienmodell dominiere als vor 40 Jahren in Westdeutschland. „In den meisten Fällen wünschen sich heute beide Elternteile eine berufliche Karriere und wollen Beruf und Familie unter einen Hut bringen.“ Deshalb seien vor allem junge Familien auf beide Einkommen angewiesen, um ihren Lebensstandard zu ­sichern. Wenn Schulen und Kitas geschlossen seien, würden Mütter gezwungen sein, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder gar eine Auszeit zu nehmen. Nach den Worten Fratzschers könnten sich so alte Geschlechterrollen wieder verstärken und Errungenschaften der Gleichstellung der vergangenen Jahrzehnte infrage gestellt sein.

Zweifellos haben die Fratzscher-Empfehlungen ihre Wirkung nicht verfehlt, denn die Bereitschaft der Koalition, im Rahmen des Konjunkturpakets einen Elternbonus in Höhe von 300 Euro auszureichen, geht auf ihn zurück. Die Bundesfamilienministerin tat ein Übriges, um diesen Vorschlag in die Öffentlichkeit und in den Koalitionsausschuss von CDU/CSU und SPD zu transportieren – unterstützt vom neuen SPD-Vorsitzenden-Gespann Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

Kanzlerin bezweifelt gleichstellungspolitische Wirkung der Gremienzusammensetzung

Doch zu mehr frauenpolitischer Initiativkraft reich-te es offenbar in der Regierungszentrale nicht. Wis-senschaftler*innen wie Allmendinger hatten gefordert, mehr Frauen bei der Besetzung von Gremien zu berücksichtigen. In der Regierungsbefragung relativierte die Kanzlerin jedoch auf die Frage der Grünen-Politikerin Schauws die Bedeutung der Gremienfrage für die Gleichstellung (vgl. Seite 9). Auf einem anderen Gebiet sind die Bretter noch härter zu bohren: die Bindung von Konjunkturhilfen an die Geschlechterfrage, wie vom DF (im nachstehenden Kasten) gefordert. (Mehr dazu auf Seite 10)

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