UNICEF-REPORT KINDERRECHTE : Kampf gegen Armut, Hunger und Diskriminierung verstärken

19. November 2019 // Ulrike Günther

Soziales Elend, gefährdetes Überleben, ungleiche Chancen: Trotz der erreichten Fortschritte scheint die Umsetzung der Kinderrechte zu stagnieren, teilweise ist sogar eine verschlechterte Situation zu beobachten. Das geht aus dem am Montag in Berlin vorgestellten UNICEF-Report „Für jedes Kind alle Rechte“ hervor.

Bild: zwd
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zwd Berlin. Anlässlich des 30. Jahrestages der von den Vereinten Nationen (UN) abgefassten Konvention über die Rechte des Kindes resümiert UNICEF in seinem Bericht die Ergebnisse seiner Arbeit. Das UN-Kinderhilfswerk stellt fest, dass die Kinderrechte sich trotz der historischen Erfolge an einem Scheideweg befinden. Daher ruft es dazu auf, Armut, Hunger und Diskriminierung verstärkt zu bekämpfen. In Zeiten großer globaler Umbrüche - des digitalen und demographischen Wandels, radikalisierter politischer Standpunkte, zunehmender sozialer Gefälle und gefährdeter Umwelt - sollten sich die Regierungen der Staaten ebenso wie Wirtschaft und zivilgesellschaftliche Gruppen in neuartiger, grenzüberschreitender Form zu den Kinderrechten bekennen, um für alle Mädchen und Jungen menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen.

Überleben von Kindern ist in Gefahr

Zwar ist dem UNICEF-Report zufolge die Kindersterblichkeit in den vorigen drei Jahrzehnten um knapp zwei Drittel gesunken. Dennoch haben weltweit im Jahr 2018 rund 5,3 Millionen Kinder ihr fünftes Lebensjahr nicht erreicht. Von dieser Gefahr seien laut UN-Kinderhilfswerk insbesondere in Armut aufwachsende Mädchen und Jungen betroffen. Ihr Risiko, nicht älter als fünf Jahre zu werden, sei doppelt so hoch wie dasjenige von Kindern, die in wohlhabenden Verhältnissen leben. Als problematisch betrachtet UNICEF auch die Zunahme von Krisen und Kriegen auf der Welt. Seit 2010 haben sich die Fälle von in Krisen- und Konfliktgebieten verletzten Kinderrechten verdreifacht. Laut Angaben von UNICEF wachsen heute 25 Prozent der Kinder weltweit in von Konflikten und Naturkatastrophen heimgesuchten Gebieten auf.

Arme und marginalisierte Kinder brauchen Hilfe

Georg Graf Waldersee, Vorsitzender von UNICEF Deutschland, sagte auf der Konferenz in Berlin, der 30. Jahrestag der Kinderrechtskonvention bedeute für das UN-Kinderhilfswerk einerseits „eine Erinnerung an die damals gegebenen Versprechen“. Er sei andererseits „aber auch eine schmerzliche Erinnerung an die noch nicht eingelösten Versprechen“. Ohne Zweifel habe man in den drei Jahrzehnten seit der Formulierung der UN-Konvention viel erreicht, erklärte Graf Waldersee. Zu einer „sorgfältigen Bilanz“ gehöre aber auch die „Feststellung, dass von den Fortschritten (…) nicht alle Kinder gleichermaßen profitiert“ hätten. Auch der Leiter der internationalen Kinderschutzprogramme von UNICEF Cornelius Williams konstatierte neben den errungenen Erfolgen, das Kinderhilfswerk sehe sich „immer noch vielen Herausforderungen gegenüber“.

Ziel dabei sei es, unter Einsatz aller benötigten Mittel und Technologien „eine gleichberechtigte und inklusive Welt für Kinder zu schaffen, damit diese sich zu produktiven Weltbürgern entwickeln können“. Gerade auf eine verbesserte Lage bei den ärmsten und am meisten an den Rand der Gesellschaft gedrängten Kindern müssten sich die gemeinsamen Anstrengungen richten, erklärte Williams. Zu diesem Zweck beabsichtigt UNICEF, einen weltweiten Dialog über die Rechte von Kindern anzuregen, an dem die Jungen und Mädchen selbst maßgeblich zu beteiligen seien. Der Leiter der globalen Kinderschutzprogramme hält es für einen entscheidenden Schritt zur Durchsetzung der UN-Konvention, Kinder in allen Ländern registrieren zu lassen. „Wenn ein Kind nicht registriert ist, ist es nicht sichtbar“. Eine wichtige Aufgabe erkennt er außerdem darin, weltweit die Rechte von Kindern innerhalb der Justiz zu fördern.

Mangelnder Impfschutz bedroht die Gesundheit von Kindern

Kritisch wertet der Bericht des UN-Kinderhilfswerks ebenfalls die gesundheitliche Situation der Mädchen und Jungen, die häufig durch mangelnden oder unzureichenden Impfschutz in Gefahr geraten. Obwohl durch globale Impfkampagnen laut UNICEF z.B. die Rate der an Polio (Kinderlähmung) Erkrankten seit der Einführung des prophylaktischen Gegenmittels vor rund 60 Jahren um 99 Prozent zurückgegangen ist, sieht das UN-Hilfswerk die Gesundheit von Kindern aufgrund nachlassender Fortschritte und sogar Rückschläge auf dem Gebiet der routinemäßig durchzuführenden Impfungen bedroht. Knapp 20 Mill. Säuglinge erhielten 2018 nicht die laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) erforderliche Impfung gegen Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten. Sie gehören überwiegend der ärmsten Schicht der Gesellschaft an, leben in Konfliktregionen oder unterprivilegierten Randzonen.

Nach Angaben von UNICEF verabreichte man von 2012 bis 2017 85 Prozent der Kinder aus den regional am besten situierten Familien in 36 Ländern Afrikas südlich der Sahara mindestens eine Impfung gegen Masern, jedoch nur halb so viel Kindern aus den am stärksten sozial benachteiligten Familien. In der Erderwärmung erkennt Graf Waldersee eine der gegenwärtig größten Gefahren für das Wohlergehen der Menschen, da sie ein stärkeres Verbreiten von bedrohlichen Krankheiten wie Malaria und noch unsicherere Ressourcen an Lebensmitteln in von Dürren bedrohten Regionen nach sich ziehen könnte. Kinder und vor allem die ärmsten unter ihnen würden am meisten unter dieser zu erwartenden Entwicklung zu leiden haben, so der Vorsitzende des UN-Kinderhilfswerks Deutschland.

Missstände bei der Bildung verhindern Schulbesuch von Kindern

Graf Waldersee hob auch die „anhaltende Bildungsmisere“ in vielen Staaten hervor. „Längst nicht alle Kinder erhalten die (…) hochwertige Bildung, die ihnen nach der Kinderkonvention zusteht“, erklärte er. Das bestätigte der ebenfalls auf der Konferenz anwesende 17-jährige Felix Banda aus Malawi, der an einem von UNICEF unterstützten Jugend-Medien-Programm teilnimmt. Er beklagte die hohen Schulabbrecher*innen-Quoten in seinem Land. Das Problem vieler Familien, die Schulgebühren aufzubringen, darüber hinaus fehlende Schulmaterialien, Lehrer*innenmangel und überfüllte Klassenräume mit bis zu 200 Schüler*innen führten Banda zufolge zu einer geringen Bildungsbeteiligung der Kinder. „Wie sollten die Möglichkeit haben, an Bildung und Erziehung teilzuhaben“, fordert er.

Auf dem Sektor der Bildung konnten laut UNICEF zwar einschlägige Erfolge erzielt werden. Die Quote der Mädchen und Jungen, denen es nicht möglich ist, die Grundschule zu besuchen, ist zwischen den Jahren 2000 und 2018 um 41 Prozent auf 59 Millionen gesunken. Ebenso hat sich seit 1997 die Zahl der Mädchen ohne Schulbildung auf 32 Millionen mehr als halbiert. Aber der Anteil der nicht eingeschulten Kinder hat sich dem UNICEF-Report zufolge seit 2007 nicht weiter verringert. Deshalb seien erhöhte Investitionen in den Bereich der Bildung insbesondere in den afrikanischen und südasiatischen Ländern mit stark wachsender Bevölkerung erforderlich.

Immer noch weltweit hoher Anteil von als Kindern verheirateten Mädchen

Die 15-jährige Negin Moghiseh, Leiterin des UNICEF-Junior Teams in Kaiserslautern, engagiert sich gegen den Einsatz von Kindern als Soldaten in Kriegen sowie gegen Arbeit und Ausbeutung von Minderjährigen. Sie prangerte auf der Konferenz die in der modernen Welt anhaltende Bedrohung von Kindern durch Hunger und Unterernährung an, aber auch die in vielen Ländern fortgesetzte Praxis, Mädchen frühzeitig zu verheiraten. Zwar verringerte sich dem Bericht des UN-Hilfswerks zufolge der Anteil der als Kinder verheirateten Mädchen seit 2008 um durchschnittlich fünf Prozent, dennoch müssen immer noch über 20 Prozent der unter 18-Jährigen eine Ehe eingehen.

Besonders häufig werden aus unterprivilegierten Familien stammende Mädchen und junge Frauen zur Heirat gezwungen. Während bei den Mädchen aus den ökonomisch am besten gestellten Haushalten die Rate der Kinderehen seit 1990 von ca. 21 auf etwa 11 Prozent sank, stieg die Menge bei den in den ärmsten Familien aufwachsenden Mädchen im selben Zeitraum sogar von ca. 37 auf rund 39 Prozent. Moghiseh weist auch auf die Gefahren von Cyber Mobbing sowie Fake News hin und verlangt, „präventive Schutzmaßnahmen“, um die Kinder vor Verstößen gegen ihre Rechte abzusichern. Darüber hinaus fordert sie, man sollte Kindern und Jugendlichen in der Debatte um ihre Rechte eine eigene Stimme geben: „Daher ist mein Appell an die Erwachsenen: Arbeitet mehr mit uns zusammen“, sagte sie.

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