BERLINALE [UPDATE] : Klares Nein zu sexueller Diskriminierung

9. Februar 2018 // Holger H. Lührig

Die #MeToo-Debatte hat auch die Berliner Filmfestspiele erreicht. Festivalleiter Dieter Kosslick hat sich klar positioniert: "Die Berlinale setzt sich für die sexuelle Selbstbestimmung und gegen jeglichen Missbrauch ein" und wird zugleich zum Forum zur Auseinandersetzung mit sexueller Belästigung. Die Berlinale selbst liefert auch eine bemerkenswerte Faktenübersicht zur Teilhabe von Frauen an Regie, Drehbuch und Produktion.

Fotos auf dieser Seite: zwd
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zwd Berlin. BERLINALE-Chef Dieter Kosslick erinnerte bei der Eröffnungspressekonferenz anlässlich der diesjährigen 68. Berliner Filmfestspiele daran, dass die Auseinandersetzung mit der Vielstimmigkeit und Vielfalt der Gesellschaft seit der Gründung 1951 zum Selbstverständnis der Festspiele gehöre. Es sei als internationale Kulturveranstaltung ein Forum, in dem unter anderem auch das Aufzeigen und die Einbeziehung der Perspektiven und Lebensrealitäten unterrepräsentierter Gruppen (z.B. in Bezug auf Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, einheimische Zugehörigkeit, Alter, Behinderung, sexuelle Identität, Cis/Trans-Identität, Religion, usw.) diskutiert werden müssten.

"Die Berlinale setzt sich daher auch für die sexuelle Selbstbestimmung und gegen jeglichen Missbrauch ein"

Die durch den Weinstein-Skandal ausgelöste #MeToo-Debatte hat nach den Worten Kosslicks ein erschütterndes Ausmaß von Missständen aufgezeigt. Über sexualisierte Gewalt hinaus führe die Debatte grundsätzlich zur Hinterfragung gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Das internationale Echo auf #MeToo hat, wie Kosslick hinzufügte, schnell klar gemacht, dass das Problem nicht auf Hollywood zu begrenzen sei. Weltweit hatten Betroffene den Mut gefunden, Missbrauch öffentlich zu machen. Auch in Deutschland würden immer mehr Stimmen laut, die konkrete Vorfälle in der Film- und Medienbranche anklagen, betonten die Filmfestspiele in einer Pressemitteilung mit indirektem Bezug auf die Auseinandersetzungen um den Filmregisseur Dieter Wedel. Unterdessen erklärte Kosslick gegenüber der Osnabrücker Zeitung, die Festspielleitung der Berlinale habe in diesem Jahr Arbeiten bestimmter Menschen nicht zugelassen, weil sie für ein Fehlverhalten zwar nicht verurteilt worden seien, dieses aber zumindest zugegeben hätten.

Das Thema ist, wie aus der Veranstaltungsübersicht deutlich wird, beim Festival 2018 präsent.

Erstmals vermittelt die Berlinale unter dem Titel „NEIN zu Diskriminierung!“ Betroffenen Beratungsangebote. Allen Festivalbesucher*innen (Publikum und Branche), die Diskriminierung, Belästigung oder Missbrauch erlebten oder beobachteten, wollen die Organisator*innen des Filmfestes Ansprechpartner*innen und Kontakt zu Beratungsstellen (kostenlos und anonym) anbieten. Als Institutionen werden in diesem Zusammenhang die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen", der Bund für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit sowie die Initiative "Speak up" genannt. Die Website www.speakupnow.eu zielt auf Betroffene von sexueller Belästigung in der Filmbranche, die sie ermutigen will, ihre Stimme zu erheben. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hatte im Vorfeld der Berlinale eine Anlaufstelle für Missbrauchsopfer in den darstellenden Künsten angekündigt. Für die Betroffenen sei ein geschützter Raum nötig, in dem sie sich anonym und ohne Angst vor negativen Folgen offenbaren und beraten lassen können - auch rechtlich, erklärte die CDU-Politikerin gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Ein solches Hilfsangebot, kündigte Grütters an, werde sie für drei Jahre zu finanzieren.

Pro Quote Film auf der BERLINALE aktiv

Im Rahmen einer Veranstaltung unter dem Titel Kultur will Wandel – Eine Gesprächsrunde zu sexueller Belästigung in Film, Fernsehen und Theater wollen der Bundesverband Schauspiel gemeinsam mit der Initiative Pro Quote Film und der Antidiskrimierungsstelle des Bundes am 19. Februar mit Akteur*innen aus Film und Fernsehen diskutieren, welche Maßnahmen sexuelle Übergriffe verhindern und die Situation von Betroffenen verbessern können. Eingeladen zur Podiumsdiskussion sind unter anderem die Intendant*innen Thomas Bellut (ZDF) und Karola Wille (MDR) sowie Repräsentant*innen der Filmbranche. Die geschäftsführende Bundesfrauenministerin Katarina Barley (SPD) wird zu einem Grußwort erwartet. Den Startschuss für die Webseite www.speakupnow.eu will auf der BERLINALE die Initiatorin Daniela Elstner (CEO von Doc & Film International) am 17. Februar an Rande der BERLINALE in Berlin geben und mit weiteren Akteurinnen dazu außerdem ein Manifest vorstellen.

Geschlechterverhältnisse: Nur ein Drittel Frauen

Ausführliche Angaben zur Geschlechterzusammensetzung hat die Pressestelle der Filmfestspiele mit einer Übersicht "BERLINALE in Zahlen" geliefert. Neben der Tatsache, dass die internationale Jury paritätisch von Frauen und Männern besetzt ist, ergibt eine Aufschlüsselung, dass sich im Vergleich zum Vorjahr das Geschlechterverhältnis bei den insgesamt 7.991 eingereichten Filmen mit 32,9 Prozent Regisseurinnen kaum verändert hat. Im BERLINALE-Programm beträgt der Frauenanteil bei der Regie von 277 ausgewerteten Filmen 37,5 Prozent, hingegen bei den 24 Wettbewerbsfilmen lediglich 16,7 Prozent. Bei den 277 Filmen haben 185 Männer und 52 Frauen die Kameraarbeit übernommen. 92 Drehbuchautorinnen standen 136 Drehbuchautoren gegenüber, bei der Produktionsverantwortung waren 30,7 Prozent Frauen ausschließlich oder majoritär beteiligt (Männer 53,1 %). Als Fachbesucher*innen wurden bis zum 1. Februar 2018 44,52 Prozent Frauen und 55,43 Männer registriert. Auffallend ist dabei der überwiegende Anteil bei den weiblichen Studierenden (55,07). Dagegen finden sich bei Regie und Produktion bzw. Kino unterdurchschnittliche Frauenanteile (38.98 bzw. 40,81 %).

Mehr dazu auch im zwd-POLITIKMAGAZIN Nr. 357 (Februar-Ausgabe).







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