IM WORTLAUT (Dorgerloh-Interview 2) : KMK-Chef Dorgerloh: 'Erfolgreiche kulturelle Pilotprojekte müssen in die regelhafte Anwendung überführt werden'

25. Februar 2013 // zwd Berlin (no).

zwd-Gespräch mit dem Kultusminister des Landes Sachsen-Anhalt über die Themen 'Kulturelle Bildung', die Luther-Dekade und Christsein in heutiger Zeit, den Kulturreichtum seines Landes und dessen Pflege mit Unterstützung des Bundes

Kulturelle Bildung ist für ihn keine „schöne Zugabe zum Pflichtprogramm“, sondern der „Humus eines Kulturlandes“. Dass er diesen Schwerpunkt nicht nur als Kultusminister, sondern auch als KMK-Präsident setzen will, erläuterte Stefan Dorgerloh im zwd-Gespräch. Seine schon vor der Wahl entstandene Idee eines Kulturkonvents brachte er mit ins Ministerium. Sein Ziel: durch die Partizipation vieler ein Zeichen für demokratische Prozesse im politischen Alltag zu setzen. Auch Dorgerlohs entschiedenes Eintreten gegen Rechtsextremismus ist für ihn ein Einsatz für Demokratie. Der Minister empfahl außerdem, nicht auf eine Grundgesetzänderung zur Einführung eines Staatsziels Kultur zu warten, solange es keine parlamentarischen Mehrheiten dafür gibt.

zwd: Ihre Präsidentschaft haben Sie unter zwei Kernbotschaften gestellt, mehr soziale Bildungsgerechtigkeit und bessere kulturelle Bildung. Welche Möglichkeiten sehen Sie, diese Botschaften länderübergreifend in konkretes Handeln umzusetzen?

Dorgerloh: Kulturelle Bildung war im letzten nationalen Bildungsbericht Schwerpunktthema und für mich ein Ansporn, das Thema auch während meiner Amtszeit weiter zu verfolgen und dabei neue Akzente zu setzen. Denn bei kultureller Bildung geht es nicht um schöne Zugaben zum Pflichtprogramm, sondern um existenzielle wie fundamentale Fragen für unsere Gesellschaft. Kulturelle Bildung ist für Jugendliche und Senioren gleichermaßen relevant, weil unser Umgang damit grundlegende Auswirkungen auf die Fragen des Zusammenlebens und Miteinanders hat. Sie gehört genauso in die Familienarbeit und Erwachsenenbildung wie zur Schul- und Jugendarbeit. Ich möchte als KMK-Präsident gerne auch thematische Kontinuitäten sichtbar machen und verankern. Wir werden bereits Ende Januar mit der Mercator-Stiftung eine Tagung zum Thema Kulturelle Bildung durchführen und hinterfragen, was kulturell im Zusammenspiel von Schule und Kultur in den einzelnen Bundesländern läuft und funktioniert. Außerdem möchten wir das Kamingespräch des Präsidenten im Oktober nutzen, um mit Akteuren aus der Kulturlandschaft gemeinsam darüber nachzudenken, wie kulturelle Bildung noch stärker und tiefer verankert werden kann. ‚Marktplatz Kultur’, ‚Kinder zum Olymp’, ‚Kulturagenten’, ‚Jedem Kind ein Instrument’ – das sind erfolgreiche Projekte, die zeigen, wie kulturelle Bildung an der Schnittstelle von Schule und Kultur gelingen kann.

zwd: Vor dem Hintergrund, dass kulturelle Bildung für die Identitätsbildung eines Kindes wesentlich ist, muss der projekthafte Charakter der Angebote aufgehoben werden. Freiwilligkeit konterkariert die Chancengleichheit. Nur ihre Verankerung im Lehrplan garantiert Kindern aus allen sozialen Schichten den Zugang zu kultureller Bildung.

Dorgerloh: Genau das ist der Ansatzpunkt. Erfolgreiche Modelle sollten aus dem Pilot- und Ausprobiercharakter heraus in eine regelhafte Anwendung überführt werden. Gut ist, wenn es ein breiteres Portfolio an Möglichkeiten gibt. Das kann neben den bekannten Projekten und Programmen beispielsweise auch die neue Verbindung mit freischaffenden Künstlern sein. Museumspädagogik gehört genauso wie die Garderobe und der Museumsshop ganz klar zu einem öffentlich geförderten Kultur- und Lernort dazu. Das gilt für Lan-desausstellungen und Landesorchester. Sie alle müssen sich überlegen, wie sie ihre kulturelle Bildungsverantwortung wahrnehmen kön-nen.

zwd: Im Oktober 2011 haben Sie mit der Einrichtung eines Kulturkonventes, einem Kind dieser Koalition, einen neuen Weg beschritten. ....

Dorgerloh: …eine Idee, die ich noch vor den Wahlen entwickelt hatte.

zwd: … um eine vielschichtige kompetente Grundlage für ein Landeskulturkonzept zu erarbeiten, haben Sie in diesem Konvent politische, künstlerische und institutionelle Kompetenz in kulturpolitischen Entwicklungszielen gebündelt.

Dorgerloh: Das entspricht meiner grundsätzlichen Überzeugung, dass demokratische Prozesse von Partizipation leben. Delegierte der verschiedenen Genres und Akteure, vom Theater bis zur Musikschule, von den Gewerkschaften bis zu den Kirchen, sollen gemeinsam – mit einem parlamentarischen Beschluss legitimiert – Leitlinien für einen Kulturfahrplan Sachsen-Anhalts verabreden. Über 30 Personen haben unter der Moderation von Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates – Red.) daran gearbeitet, wie Empfehlungen für ein ‚Kulturkonzept Sachsen-Anhalt 2025‘ aussehen können. Was ist im besonderen Landesinteresse? Was ist vor dem Hintergrund der demografischen und der finanziellen Situation zu beachten? Welche Ressourcen, Kooperationsfragen und Zielgruppen sind denkbar? Wie viel Fördermittel fließen in die Hochkultur und ist diese zum Beispiel mit der Heimatpflege kompatibel? Bedacht werden muss im kulturellen Kontext auch das Verhältnis Stadt-Land. Es waren eine Reihe von komplexen Fragestellungen zu durchdenken.

„Bei einer Bestandsaufnahme zur Kultur darf man nicht nur fragen
‚Was hat eine große Tradition?‘, sondern vor allem ‚Was hat Zukunft‘.“


zwd: Anfang Februar sollen die Empfehlungen des Konvents auf den Tisch kommen.

Dorgerloh: Eine Bestandaufnahme zur Kultur liegt bereits vor. Der erste Teil umfasst den unglaublich vielschichtigen Ist-Zustand des Kulturlandes Sachsen-Anhalt. Der zweite Teil widmet sich der grundsätzlichen Frage: Wie gehen wir mit dem Bestand um? Da darf man nicht nur fragen ‚Was hat eine große Tradition?‘, sondern vor allem ‚Was hat Zukunft?‘.

zwd: Bei der Vorbereitung auf dieses Gespräch haben wir uns im Rahmen der Recherche mit der bemerkenswerten kulturellen Vielfalt des Landes Sachsen-Anhalt auseinandergesetzt. Gleichwohl haben wir den Eindruck, dass das Land seine Kulturlandschaft unter Wert verkauft?

Dorgerloh: Da ist sicherlich etwas dran. Im bundesweiten Kontext gibt es noch Luft nach oben, um unsere Kulturlandschaft ins gesamtdeutsche Bewusstsein zu rücken. Kaiser Otto der Erste, Martin Luther, Georg Friedrich Händel, Georg Philipp Telemann, Johann Sebastian Bach oder Johann Friedrich Fasch, die Barockmusik, die Franckeschen Stiftungen in Halle, die dieses Jahr den 350. Geburtstag ihres Gründers und Namensgebers feiern, oder die Ikone der Moderne, das Bauhaus in Dessau. Da liegen viele Chancen für unser Land, die wir aufgreifen müssen und werden. Dazu kommen dann noch Kleinode wie das Weltkulturerbe Quedlinburg oder die Straße der Romanik.

„Warum sollte nicht in einem Ausbildungsvertrag stehen, dass ­rassistische Äußerungen dazu führen, dass dieser aufgelöst wird?“

zwd: Die Facetten der Kultur sind vielschichtig. Auch eine Internalisierung von Werten gehört dazu – als deren Fehlentwicklung der Rechtsextremismus. Ihr Handeln als Theologe und Politiker war von einem entschiedenen Eintreten gegen Rechtsextremismus geprägt. Welche Mittel hat ein Kultusministerium, diesem Übel entgegenzutreten?

Dorgerloh: Das ist ein Thema, das Sachsen-Anhalt leider schon lange und immer wieder neu begleitet. Mit dem Einzug der DVU 1998 hatten wir eine ganz schwierige Phase im Landesparlament. Auch 2011 haben wir den Wahlabend über bangen müssen, ob es die NPD ins Parlament schafft. Zum Glück haben die 4,6 Prozent nicht gereicht. Ein solches Bibbern möchte ich nicht wieder erleben. Dieser Ungeist darf in Sachsen-Anhalt keine Heimat haben.
Mit Beginn der laufenden Legislaturperiode haben wir die Landeszentrale für politische Bildung und die Stiftung Gedenkstätten erstmals dem Kultusministerium zugeordnet. Da diese beiden Gremien bei uns konzentriert sind, können wir in der Tat aus einer Hand politische Bildung, schulische Bildung, Erwachsenenbildung, Erinnerungsarbeit und Gedenkstättenpädagogik besser vernetzen und aufeinander beziehen. Wir haben unsere Prävention und unsere Initiativen gegen Rechtsextremismus intensiviert. Natürlich unterstützen uns dabei auch andere Ressorts wie zum Beispiel das Sozialministerium mit Blick auf MigrantInnen oder das Innenministerium mit Verfassungsschutz und Polizeiarbeit. Aber die Federführung und der Fokus liegen im Bildungsbereich und das finde ich auch nach wie vor richtig.

zwd: Ausschließlich in der Schule?

Dorgerloh: Der Bildungsbereich umfasst nicht nur Schule, sondern auch die Erwachsenenbildung und Seniorenarbeit. In den Blick nehmen müssen wir auch Gruppen wie die Freiwillige Feuerwehr, Fußballvereine, Wohnungswirtschaft oder Lehrlingsarbeit an berufsbildenden Schulen. Warum sollte nicht in einem Ausbildungsvertrag stehen, dass rassistische Äußerungen dazu führen, dass dieser aufgelöst wird? Wie reagieren wir, wenn ein bekennender Rechtsextremer sich im Dorf mangels personeller Alternativen als Fußballtrainer anbietet? Auch in Bezug auf neue Bereiche, in denen sich bewusst rechtsextremistische Gruppen verankern, müssen wir hellhörig werden und Gegenkulturen stärken. Ein anderer wichtiger Punkt sind die regionalen Bündnisse. Vor kurzem hat die Landeszentrale für politische Bildung eine Handreichung herausgeben, mit der Empfehlung regionale und städtische Bündnisses zu bilden – um vor Ort aktiv für Demokratie und Toleranz einzutreten. Länderübergreifend wird dieses Problem in dem Bundesprojekt ‚Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage’ umgesetzt. Es werden in diesem Bereich mehrere Programme und Projekte angeboten, aber ein ‚Zuviel‘ kann es da kaum geben.

zwd: Für länderübergreifende kulturelle Programme könnte die Aufhebung des Kooperationsverbotes von Nutzen sein.

Dorgerloh: Wir haben längst eine Bundesförderung im Kulturbereich. Der Kulturstaatsminister des Bundes hat in diesem Jahr wieder seinen Etat erhöht. Die Forschungseinrichtungen beispielsweise der ‚Blauen Liste’, die UNESCO-Welterbe-Stätten, herausragende Jubiläen von Dichtern, Komponisten, Künstlern und Philosophen – und natürlich die Lutherdekade – sind ohne Bundesförderung nicht denkbar. Dadurch können wir im internationalen Vergleich bestehen.

„Es darf nicht passieren, dass plötzlich aus bundespolitischer Sicht ­Wünschenswertes gefördert wird, wo man auf kommunaler Ebene oder auch aus Ländersicht sagt, unsere Nöte liegen auf einer völlig anderen Ebene.“

zwd: Das klingt wie ein Plädoyer für einen Bedeutungszuwachs der Ressortarbeit des Bundes, sprich für ein eigenständiges Bundeskulturministerium nach der Bundestagswahl 2013?

Dorgerloh: Darüber würde sich zu diskutieren lohnen. Der Deutsche Kulturrat fordert das ja schon länger. Wichtig ist, dass man sich bei aller unverzichtbaren Bundesförderung, für die ich sehr dankbar in Sachsen-Anhalt bin, mit den Förderstrategien der Länder eng abstimmt. Dazu muss man auch bedenken, dass die Kommunen ein starker Kulturträger und -förderer im Hinblick auf Theater- und Orchesterlandschaft sowie für Denkmalschutz und Bibliotheken sind. In der Regel hilft das Land den Kommunen. Es darf also nicht passieren, dass plötzlich aus bundespolitischer Sicht Wünschenswertes gefördert wird, wo man auf kommunaler Ebene oder auch aus Ländersicht sagt, unsere Nöte liegen auf einer völlig anderen Ebene. Ich finde, es hat sich schon bewährt, dass die Länder letztlich an dieser Stelle ihre Funktion wahrnehmen und behalten.

zwd: Aber auf das Geld wollen Sie ja lieber nicht verzichten?

Dorgerloh: Ganz zweifellos benötigen wir gerade in den ostdeutschen Ländern für viele Projekte langfristig und verlässlich Bundesgeld. Anders wäre das in einem 2,3 Millionen-Einwohner-Land wie dem unseren kaum zu schaffen. Wir haben in Sachsen-Anhalt einen einzigartigen Kulturreichtum – vier UNESCO-Welterbestätten, die ‚Straße der Romanik‘ und vom Kaiserreich bis in die Moderne aus jeder Epoche wesentliche Orte oder Akzente.

zwd: Also auf jeden Fall mehr Bundesengagement, egal in welcher verfassungsrechtlichen Konstellation?

Dorgerloh: Bundesengagement ja, aber weiterhin in guter und verlässlicher Absprache mit den Ländern.

zwd: Könnte eine Grundgesetzänderung, mit der ein ‚Staatsziel Kultur’ verankert wird, helfen?

Dorgerloh: Die Enquete-Kommission ‚Kultur in Deutschland‘ hat sich in ihrem Schlussbericht für das Staatsziel Kultur ausgesprochen. Doch bislang gibt es dafür keine parlamentarischen Mehrheiten. Solange sich daran nichts ändert, ist es müßig, auf eine Grundgesetzänderung zu warten. Wichtig ist, dass sich Bund und Länder ihrer Verantwortung bewusst sind. Dann finden sich auch Mittel und Wege, unser kulturelles Erbe zu pflegen und zu erhalten.

Das zwd-Gespräch (Bild oben) haben die zwd-RedakteurInnen Hilda Nockemann-Marx und Holger H. Lührig geführt.

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