FRAUENVERBÄNDE ZUM BEGINN DER GROKO-VERHANDLUNGEN : Offener Brief an Merkel, Seehofer und Schulz: "Kein Weiter so"!

27. Januar 2018 // Holger H. Lührig

Mit einem offenen Brief haben die führenden Frauenorganisationen in Deutschland zu Beginn der Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD gegenüber den Parteivorsitzenden Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz verbindliche gleichstellungspolitische Vereinbarungen angemahnt.

Bild: berlinererklaerung.de
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zwd Berlin. Die 33 Organisationen, angeführt vom Deutschen Frauenrat, verlangten von den Verhandlungspartner*innen verpflichtende Schritte und gesetzliche Maßnahmen mit dem Ziel substanzieller Verbesserungen in den zentralen Themenbereichen: "Frauen in Führungspositionen", "Entgeltgleichheit" sowie "Verbindlichkeit, Transparenz und Monitoring von Gleichstellungspolitik". Unmissverständlich heißt es in dem offenen Brief: "Lippenbekenntnisse und ein 'Weiter so' reichen uns nicht." Die Spitzenverbände, darunter die 17 in der sogenannten "Berliner Erklärung" zusammengeschlossenen Verbände sowie weitere 16 Organisationen unter anderem von Ärztinnen, Juristinnen und Journalistinnen, bemängelten in ihrem Offenen Brief, dass in dem zwischen CDU/CSU und SPD fixierten Sondierungspapier die Gleichstellungspolitik bisher als Randthema behandelt worden sei. Gleichstellungspolitische Lücken, die das Sondierungspapier aufzeige, seien inakzeptabel, eine Agenda für Gleichstellung hingegen ein Gradmesser für die "Ernsthaftigkeit der nächsten Regierung". Die Verbände, die nach eigenen Angaben 12,5 Millionen Frauen in Deutschland vertreten, forderten gleiche Teilhabe für die Privatwirtschaft, für die Bereiche Medien, Kultur, Medizin und Wissenschaft sowie für die Politik und Parlamente.

Wörtlich heiß es dazu:

"Für die Privatwirtschaft fordern wir:
• für die Aufsichtsräte auch der Unternehmen, die entweder börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen, eine feste Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent bei Neubesetzungen ab 2019 sowie ihre Ausweitung auf alle Unternehmensrechtsformen (SE, Ltd & Co KG), auch ausländische (britische Public Limited Company)
• für die operativen Führungsebenen (Vorstand und zumindest die beiden darunterliegenden Ebenen) eine Zielgröße von jeweils mindestens 30 Prozent Frauen sowie
• die Einführung wirksamer Sanktionen:
o für den Fall der Nichterreichung der Geschlechterquote in Aufsichtsräten, z.B. leerer Stuhl, Nichtigkeit von Beschlüssen
o für den Fall, dass die transparente Veröffentlichung von Zielgrößen oder von Gründen für ihre etwaige Nichterreichung unterlassen wird, z.B. finanzielle Sanktionen, Einschränkung des Prüfvermerks
o für den Fall der Nichterreichung der mindestens 30 Prozent-Zielgröße z.B. die Pflicht, die Gründe im Einzelnen nachvollziehbar offenzulegen und von einer geeigneten Stelle überprüfen zu lassen, die öffentlich hierzu Stellung nimmt.

Für die Bereiche Medien, Kultur, Medizin und Wissenschaft fordern wir:
• die paritätische Besetzung der jeweiligen Aufsichts-, Beratungs- und Vergabegremien (wie z.B. Fördermittelentscheidungsgremien, Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung und Berufungskommissionen,
die Vergabe öffentlicher Aufträge und Fördermittel an mindestens 40 Prozent Frauen,
• verbindliche Zielgrößen von mindestens 30 Prozent Frauen in den jeweiligen Führungspositionen.

Für Politik und Parlamente fordern wir:
• in der kommenden Legislaturperiode für die Wahlen zum Bundestag ein verfassungskonformes Paritätsgesetz auf den Weg zu bringen."

Nach Überzeugung der 33 Frauenorganisationen lässt sich mit dem Entgelttransparenzgesetz allein die Entgeltgleichheit nicht durchsetzen lassen. Als weitere gesetzliche Maßnahmen wurden gefordert:

"• Die Einführung transparenter, umfassender, zertifizierter Prüfverfahren zur geschlechterdifferenzierten Entgeltanalyse in allen Betrieben mit Betriebsratspflicht.
• Die Abschaffung des Ehegattensplittings in seiner jetzigen Form bei angemessenen Übergangszeiten, mindestens aber als Einstieg in eine diskriminierungsfreie Besteuerung die Reform des Lohnsteuerverfahrens (Abschaffung der Lohnsteuerklasse V).
• Zudem ist die Abschaffung des Schulgeldes ebenso bei Erzieherinnen und Erziehern notwendig, nicht - wie im Sondierungspapier geplant - nur bei Heilberufen."

Die Verbände erinnerten außerdem daran, dass Deutschland im europäischen Vergleich, wenn es um Gleichstellungsfragen gehe, allenfalls Mittelmaß sei. Für die Durchsetzung der nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung bereits bestehenden Vorgabe, die Gleichstellung von Frauen und Männern als "durchgängiges Leitprinzip" zu verfolgen, fehle es an den erforderlichen Strukturen. Deshalb plädierten die Frauenorganisationen für die Errichtung eines Gleichstellungsinstituts, das die Gleichstellungspolitik mit externem, praxisrelevantem Wissen flankiere. Hierzu heißt es wörtlich:

"Gleichstellungspolitik muss durch eine wissensbasierte Begleitung aufgewertet werden, die der Gleichstellung in Deutschland ein neues Fundament geben kann. Politische Maßnahmen im Bereich der Gleichstellung sollten kontinuierlich flankiert und die Wirkung von gesetzlichen Maßnahmen ausgewertet werden. Die Empfehlungen des von der Bundesregierung verabschiedeten Gleichstellungsberichts müssen umgesetzt werden."

Auch andere Organisationen haben an die Verhandlungspartner*innen von CDU/CSU und SPD Erwartungen formuliert. Während das DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach (Grüne) konkrete Maßnahmen zum Schutz vor Altersarmut und bei Erwerbsminderung verlangte, setzte sich die Bundesfrauenvertretung des Deutschen Beamtenbundes für die paritätischen Besetzung von Leitungspositionen im öffentlichen Dienst ein und forderten, die Quote im Geltungsbereich des Bundesgleichstellungsgesetzes festzuschreiben. Es gelte, neue Führungskonzepte wie etwa „Führen aus der Ferne“ oder „Führen in Teilzeit“ stärker in die Verwaltungspraxis zu intergirieren.

DGB-Vorstandsmitglied Buntenbach forderte zudem, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben, wie z.B. die Mütterrente, aus Steuermitteln bezahlt werden müssten statt aus der Beitragskasse. Darüber hinausgehend spracgh sich der Sozialverband VDK dafür aus, die Mütterrente dürfe nicht erst, wie im Sondierungspapier geplant, für Frauen mit drei oder mehr Kinder gelten, sondern müsse auf alle Mütter ausgedehnt werden. Um der Gefahr der Altersarmut von Frauen zu begegnen, seien die Vorschläge der Sondierer*innen nicht ineffektiv. Die meisten Frauen würde die 35 Beitragsjahre nicht erreichen, um eine Grundrente zubekommen. Demgegenüber schlug der VdK einen Freibetrag in der Grundsicherung von 200 Euro für Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Mütterrente vor.

Liste der Unterzeichner*innen des offenen Briefes:

Die 17 Initiatorinnen der Berliner Erklärung 2011 (Das überfraktionelle Bündnis der Berliner Erklärung existiert seit 2011. Aktuell gehören ihm 17 Frauenverbände als Initiatorinnen an):

Business und Professional Women (BPW) Germany, 1.600 Mitglieder (Deutschland) 30.000 Mitglieder in 100 Ländern, Uta Zech, Präsidentin www.bpw-germany.de
Deutscher Ärztinnenbund e.V. (DÄB), 1.800 Mitglieder, Dr. Christiane Groß M.A., Präsidentin www.aerztinnenbund.de
Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen im DAV, 270 Mitglieder, Silvia Groppler, Vorsitzende www.davanwaeltinnen.de
Deutscher Frauenrat (DF), Dachverband von 60 Mitgliedsverbänden, in denen mehr als 12 Millionen Frauen organisiert sind. Mona Küppers, Vorsitzende www.frauenrat.de
deutscher ingenieurinnenbund e.V. (dib), 400 Mitglieder, Sylvia Kegel, Vorstand www.dibev.de
Deutscher Juristinnenbund e.V. (djb), 2.700 Mitglieder, Prof. Dr. Maria Wersig, Präsidentin www.djb.de
Deutscher LandFrauenverband e.V. (dlv), 500.000 Mitglieder, Brigitte Scherb, Präsidentin www.landfrauen.info
EAF Berlin | Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft, 2.000 Unterstützer/innen,Dr. Helga Lukoschat, Vorsitzende www.eaf-berlin.de
European Women’s Management Development International Network e.V. (EWMD Deutschland),470 Mitglieder in Deutschland; 900 Mitglieder europa- und weltweit,
Ariane Bischoff, President, www.ewmd.org
FidAR - Frauen in die Aufsichtsräte e.V., 750 Mitglieder, Monika Schulz-Strelow, Präsidentin www.fidar.de
Frauen im Management e.V. (FIM), 180 Mitglieder, Bärbel Jacob, Bundesvorstand www.fim.de
Journalistinnenbund e.V. (jb), 400 Mitglieder, Rebecca Beerheide, Vorsitzende www.journalistinnen.de
ProQuote Medien e.V., 200 Mitglieder, 5.000 Unterstützerinnen und Unterstützer, Maren Weber, Vorsitzende www.pro-quote.de
ProQuote Medizin, 700 unterstützende Unterschriften, davon 80 Professoren und Professorinnen, Prof. Dr. Gabriele Kaczmarczyk, Initiatorin pro-quote-medizin.de
ProQuote Regie e.V., 1000 Unterstützer*innen, Barbara Rohm, Vorsitzende www.proquote-regie.de
Verband deutscher Unternehmerinnen e.V. (VdU), 1.800 Mitglieder und Interessentinnen, 16 Landesverbände,Stephanie Bschorr, Präsidentin www.vdu.de,
Working Moms – Pro Kinder Pro Karriere e.V. (WM), 450 Mitglieder, Ina Steidl, Vorsitzende Verbandsvorstand, www.workingmoms.de

Folgende Verbündete tragen die Forderungen der Berliner Erklärung 2017 mit:
BAG kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen www.frauenbeauftragte.de
Bücherfrauen e.V. www.buecherfrauen.de
bukof - Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen www.bukof.de
Deutscher Akademikerinnenbund e.V. www.dab-ev.org
Digital Media Women www.digitalmediawomen.de
Fondsfrauen www.fondsfrauen.de
Frauen in der Immobilienwirtschaft e.V. www.immofrauen.de
Landesfrauenrat Berlin e.V. www.lfr-berlin.de
Landesfrauenrat Rheinland-Pfalz e.V. www.landesfrauenrat-rlp.de
Pro Quote Bühne e.V. www.proquote-buehne.de
Soroptimist International Deutschland www.soroptimist.de
Union deutscher Zonta Clubs www.zonta-union.de
Verband alleinerziehender Mütter und Väter Bundesverband e.V. www.vamv.de
Verband berufstätiger Mütter (VBM) e.V.: www.vbm-online.de
Webgrrls.de www.webgrrls.de
Women in Film and Television Germany (WIFTG): www.wiftg.de

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