CORONA-EPIDEMIE [UPDATE] : Konjunkturprogramm entlastet in der Krise Familien und Frauen

8. Juni 2020 // Ulrike Günther

Das vom Koalitionsausschuss vereinbarte Konjunkturpaket findet fraktionsübergreifend Zustimmung. Union und SPD werten das Programm als Erfolg in der Familienpolitik, Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) erkennt darin auch Fortschritte für die Gleichberechtigung der Frauen. Grünen und Linken gehen die Hilfen für sozial Benachteiligte und Familien jedoch nicht weit genug. Erziehungsgewerkschaft (GEW) und Bildungsverband (VBE) fordern mehr Fördermittel für gerechte Bildung.

Kinderbetreuung ermöglicht Frauen eine berufliche Laufbahn und eigenen Verdienst. - Bild: Pixabay
Kinderbetreuung ermöglicht Frauen eine berufliche Laufbahn und eigenen Verdienst. - Bild: Pixabay

zwd Berlin. Bundesfamilienministerin Giffey sieht besonders Frauen durch die Krise vor große Herausforderungen gestellt. In einer Stellungnahme vom Montag (08. Juni) machte sie die mehrfachen Belastungen deutlich, denen Frauen und Mütter durch die Epidemie ausgesetzt sind, und wies auf die Vorteile hin, welche das Konjunkturprogramm der Koalition für sie mit sich bringt. Die Corona-Krise habe laut Giffey gezeigt, dass „Frauen … den Laden zusammen(halten)“, beim Betreuen von Kindern, beim Pflegen von Angehörigen, beim Home Schooling und als Angestellte in systemrelevanten Berufen. Daher sei es wichtig, „dass die Milliarden-Hilfen auch den Frauen zugutekommen“, betonte die Familienministerin. Z.B. seien die sog. Überbrückungshilfen, die kleinere und mittlere Unternehmen fördern, auf Sektoren ausgerichtet, in denen mehr Frauen als in anderen Bereichen arbeiten.

In Verbindung mit den Investitionen in die Erweiterung der Betreuungsangebote für Kinder setze das am 04. Juni veröffentlichte Konjunkturpaket damit „ein(en) wichtig(en) gleichstellungspolitisch(en) Impuls“, der Frauen nachhaltig darin unterstütze, Familie und Beruf besser vereinbaren, erwerbstätig und unternehmerisch aktiv sein zu können. Giffey wertet das Vorhaben der Koalition als „großen familienpolitischen Erfolg“. Sie habe sich für eine verbesserte Situation der Familien und vor allem der Frauen stark gemacht und „spürbare Unterstützung“ sowohl für die Finanzen von einkommensschwachen Familien als auch zugunsten einer erweiterten Kinderbetreuung durchgesetzt., sagte sie anlässlich der Präsentation der Ergebnisse des Koalitionsausschusses. Die Unionsvize Nadine Schöne nannte das Konjunkturpaket ein „kraftvolles Programm für Familien“ und unterstrich, dass es viele Maßnahmen enthalte, „die strukturell und langfristig wirken“. Grüne und Linke hatten zuvor u.a. kritisiert, dass die Koalitionsregierung mit ihren Konjunkturplänen Frauen und Familien nicht genug berücksichtige und keine grundlegend wirksamen Lösungen anbiete.

Giffey: Förderung von Kinderbetreuung stärkt Frauen und Familien

Gerade in Zeiten der Krise werde deutlich, „wie wichtig gute Kinderbetreuungsangebote sind, damit das Gesamtsystem funktioniert“, hob Familienministerin Giffey hervor. Nur wenn für die Kinder in Kitas oder Ganztagsschulen gesorgt ist und Eltern genug Freiräume hätten, um arbeiten zu gehen und eigenes Geld zu verdienen, ließe sich nach Ansicht von Giffey die Lohn- und Rentengefälle zwischen Frauen und Männern ausgleichen. Nach Aussagen des BMFSFJ kommt der geplante Ausbau der Kita- und Ganztagsbetreuung vor allem Frauen zugute, die Berufsleben und Familie miteinander vereinbaren müssen. Mit insgesamt 3 Milliarden Euro wird die Regierung laut ihrem Konjunkturpaket 2020 und 2021 über die bereits laufenden Ausbauprogramme hinaus Ausbau, Um- und Neubau von Kindergärten und Krippen (1 Milliarde Euro) sowie von Ganztagsschulen und Angeboten zur ganztägigen Betreuung (2 Milliarden Euro) unterstützen.

Damit sollen in Kitas und anderen Einrichtungen zur frühkindlichen Erziehung bis zu 90.000 weitere Betreuungsplätze entstehen, in den Schulen soll die Erweiterung der Ganztagsangebote beschleunigt und die Digitalisierung vorangetrieben werden. Um digitales Lernen zu erleichtern, erweitere man im Digitalpakt Schule darüber hinaus den Katalog an förderfähigen Investitionen, heißt es in dem Eckpunkte-Papier des Koalitionsausschusses. Ebenso würden in erster Linie Frauen aus den im Programm Alleinerziehenden in Aussicht gestellten steuerlichen Vergünstigungen Nutzen ziehen, da sie fast 90 Prozent der sich allein um ihre Kinder kümmernden Elternteile ausmachen.

BMFSFJ: Frauen profitieren von "sozial gerechtem" Kinderbonus

Dem höheren Belastungsaufwand von alleinerziehenden Müttern und Vätern will die Koalition Rechnung tragen, indem sie für eine Frist von 2 Jahren den sog. Entlastungsbetrag von zurzeit 1.908 Euro auf 4.000 Euro anhebt und somit mehr als verdoppelt. Außerdem unterstütze laut BMFSFJ der vom Koalitionsausschuss mit 300 Euro pro Kind veranschlagte Kinderbonus aufgrund der Tatsache vor allem Frauen, dass der Zuschlag nicht mit Unterhaltsleistungen verrechnet wird. Mit insgesamt 4,3 Milliarden Euro fördert die Koalitionsregierung Familien über den Kinderzuschuss.

Das BMFSFJ bezeichnet den Bonus als „sozial gerecht“, da er besonders bei Familien mit geringeren und mittleren Einkünften für mehr verfügbares Haushaltsbudget sorge. Der Betrag, der finanzielle Belastungen von Familien durch die Corona-Krise abfedern soll, wird einerseits nicht von der Grundsicherung abgezogen, andererseits auf die steuerlichen Kinderfreibeträge angerechnet. Auch die in dem Eckpunkte-Papier des Koalitionsausschusses angekündigte „verlässliche Regelung“ beim Kurzarbeitergeld betreffe gemäß den Daten des BMFSFJ viele Frauen, die im Bereich von Kunst, Erholung oder Unterhaltung tätig sind. Im Dienstleistungsgewerbe machen weibliche Angestellte sogar 70 Prozent der Bezieher*innen von Kurzarbeitergeld aus.

Überbrückungshilfen fördern Branchen mit hohem Frauenanteil

Aus den Überbrückungshilfen für von Umsatzausfällen betroffene kleinere und mittlere Unternehmen in Höhe von bis zu 25 Milliarden Euro werden nach Angaben des Koalitionsausschusses auch soziale Institutionen, wie Jugendherbergen und Jugendaustauschstätten, Nutzen ziehen. In den kleineren und mittelständischen Betrieben, wie im Gastgewerbe, in der Unterhaltungs- und Dienstleistungsbranche, arbeiten nach Angaben des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) mit ca. 59 bzw. 54 Prozent überdurchschnittlich viele weibliche Beschäftigte. Im Tourismus, in Hotels und Gaststätten beträgt der Frauenanteil sogar über 65 Prozent. In Restaurants übernähmen überdies mehr Frauen die Rolle von Firmen-Chefinnen als in allen anderen Wirtschaftszweigen.

Das Kredit-Sonderprogramm im Umfang von einer Milliarde Euro, mit dem die Koalition gemeinnützige Organisationen, wie Sozialunternehmen, Jugendbildungseinrichtungen oder Schullandheime unterstützen möchte, würden nach Angaben des BMFSFJ ebenfalls vorrangig Frauen nutzen, da in diesen Berufsfeldern ihr bei 75 Prozent liegt. Durch das von der Koalition geplante Hilfsprogramm für die Kulturinfrastruktur würden auch gerade Frauen gefördert, da sie unter den kreativ Tätigen eine Mehrheit bilden. Zudem trage das in dem Eckpunkte-Papier der Koalition entworfene Zukunftsprogramm Krankenhäuser dazu bei, die hauptsächlich von Frauen ausgeübten sozialen Berufe aufzuwerten. Rund 3 Milliarden Euro wird die Regierung demnach in eine moderne Ausstattung von Kliniken sowie in die Stärkung von regionalen Versorgungsstrukturen investieren. 2018 waren den Zahlen des BMFSFJ zufolge ca. drei Viertel des In Krankenhäusern angestellten Personals weiblich.

Grüne und Linke kritisieren Fehlen dauerhafter sozialer Verbesserungen

Aus Sicht der Grünen und Linken ist das Konjunkturprogramm zwar in den Worten der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen Katrin Göring-Eckardt „besser als erwartet“ und lässt gemäß Linken-Chef Bernd Riexinger einige „gute Ansätze“ erkennen. Sowohl Grünen-Fraktion als auch Linkspartei beklagen jedoch, die Regierung habe eine „Chance verpasst“, besonders hinsichtlich sozialer Ungleichheiten etwas grundlegend zu verbessern. Die Grünen kritisieren die „soziale Schieflage“ des Programms. Wenn man mit dem Konjunkturpaket Fördersummen in Höhe von 130 Milliarden Euro verteile, solle man „auch die Ärmsten der Gesellschaft im Blick haben“, erklärte Göring-Eckardt. Auch eine Erhöhung der Regelsätze beim Arbeitslosengeld (ALG) II wäre dringend erforderlich gewesen.

Grünen-Politikerin fordert Gender-Mainstreaming für alle Programme

Grünen-Politikerin Göring-Eckardt beanstandet an dem Konjunkturprogramm das Fehlen einer „planvollen(n) Perspektive“ zum Wiederöffnen von Schulen und Kitas unter Rücksichtnahme auf die Bedingungen der Epidemie. Der Kinderbonus stelle nur „ein Trostpflaster“ dar, eine wirksamere Hilfe ließe sich über ein „Corona-Elterngeld“ leisten, um Familien während der gesamten Dauer der Corona-Epidemie finanziell abzusichern, so Göring-Eckardt. Der Linken-Vorsitzende Riexinger hält der „Einmalzahlung“ über einen Kinderbonus den von seiner Partei und anderen Akteur*innen vorgebrachten Vorschlag einer „Kindergrundsicherung“ entgegen, mit welcher man „das Thema Kinderarmut“ nachhaltiger angehen könne.

Die Fraktionschefin der Grünen Göring-Eckardt forderte zudem, alle Hilfsprogramme einem konsequenten Gender-Mainstreaming zu unterziehen. Über einen solchen „Geschlechtergerechtigkeits-Check“ müsse man alle Maßnahmen und Gesetze zur Eindämmung der Folgen der Corona-Krise überprüfen und gleichzeitig die vom Staat bewilligten Hilfen für Betriebe an das Fördern von mehr Geschlechtergleichheit, wie z.B. Frauenquoten, koppeln. Riexinger verlangte auch mehr Personal in Krankenhäusern und höhere Gehälter für Pflegekräfte. Dass das Konjunkturprogramm die Löhne für Beschäftigte in Pflegeberufen nicht aufbessere, sei „schlicht ein Skandal“. Die FDP hält es für wichtig, Bildung und digitale Technik verstärkt zu fördern, es fehle aber noch an Beschlüssen, um die Planungen zu beschleunigen. Nach Meinung der Generalsekretärin der Liberalen Linda Teuteberg sei auf diesem Gebiet schon vor der Krise ein großer Handlungsbedarf offenkundig gewesen. Es gehe dabei „um nicht weniger als um die Lebenschancen unserer Kinder und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes“, sagte sie.

GEW: Ärmere Kommunen brauchen mehr Fördermittel

Die GEW bewertet das Konjunkturprogramm mit der darin in Aussicht gestellten Unterstützung für Kommunen als Hauptträger*innen der schulischen und frühkindlichen Bildung sowie der Erweiterung von Kitas und Ganztagsangeboten als „Schritt in die richtige Richtung“. Die GEW-Vorsitzende Marlies Tepe ist jedoch der Auffassung, dass die ärmeren Gemeinden, welche die Förderung am meisten nötig haben, zwar teilweise unterstützt würden. Bisher reiche aber „die Steuerung (…)nicht aus“. Länder und Gemeinden bräuchten „wesentlich mehr Sicherheit und finanzielle Mittel“, um gerechtere Bildungsverhältnisse herstellen und in Gebäude sowie digitale Techniken investieren zu können. Um die in der Krise sichtbar gewordenen Schwächen des Bildungssystems zu bekämpfen, sei „eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung“ erforderlich, „um wirksam gegenzusteuern“, erklärte Tepe.

Der Bildungsverband VBE moniert, der Kinderbonus ändere nichts an der schwierigen Situation für die durch Online-Unterricht, Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit mehrfach belasteten Eltern und schaffe auch keine Gerechtigkeit in der Bildung. Nach Ansicht des Bundesvorsitzenden des VBE Udo Beckmann hätte man stattdessen Gelder zielführend in die „Bildung in der digitalen Welt“ investieren sollen, z.B. um digitale Geräte für alle Schüler*innen zu erwerben. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) befürwortete das Anheben des steuerlichen Entlastungsbetrags für Alleinerziehende und forderte angesichts der dauerhaften Mehrbelastungen alleinerziehender Elternteile, den erhöhten Betrag auch abseits der Krise beizubehalten. Insgesamt seien dem VBMV zufolge „grundlegende Reformen“ zugunsten einer gerechteren Besteuerung von Familien Alleinerziehender erforderlich. Der Verband sprach sich daher für einen „Systemwechsel hin zu einer Kindergrundsicherung“ in Verbindung mit einer individuellen Besteuerung aus.

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