ZWISCHENRUF VON DR. ERNST DIETER ROSSMANN : UNESCO-Weltbildungsbericht: Die öffentliche Verantwortung stärken

18. März 2022 // Dr. Ernst Dieter Rossmann

In ihrem jüngsten Weltbildungsbericht konzentriert sich die UNESCO in ihren Empfehlungen für mehr Chancengleichheit auf die Stärkung der öffentliche Verantwortung für Bildung und die Bedingungen privater Bildungsanbieter. Ein Kommentar für das zwd-POLITIKNMAGAZIN von Ernst Dieter Rossmann.

Der Blick nach außen ist wichtiger denn je. Biedermeier und Bildung passen im 21. Jahrhundert in keiner Hinsicht zusammen. Gerade wegen der aggressiven Allmachtsphantasien der Autokraten aller Art ist die UNESCO, die globale Weltbildungsorganisation, umso richtiger, wichtiger und unverzichtbarer. Ihre Papiere und Konzepte haben es in sich. Der UNESCO-Weltbildungsbericht evaluiert kontinuierlich die Fortschritte bei den globalen Bildungsprogrammen wie jetzt zu dem von 2016 bis 2030 gültigen Programm „Education 2030“. Die Berichte zu fast allen der 193 UNESCO-Mitgliedsstaaten analysieren globale und regionale Trends und es ist wirklich erhellend, besonders markante und bedenkliche und vermehrt auch positive Bildungsinformationen aus aller Welt aufnehmen zu können. So auch aus dem kürzlich vorgelegten Bericht 2021/2022.

Zu dem aktuellen Ereignis der Corona-Pandemie ist das Fazit schnell gezogen: „COVID 19 ist die schwerste Krise, die je alle Bildungssysteme der Welt zugleich getroffen hat“, so die UNESCO. Von September 2020 bis August 2021 waren die Schulen weltweit an der Hälfte aller Schultage ganz oder teilweise geschlossen. Die massiven Lernunterbrechungen haben durchgängig zu Lernverlusten geführt, besonders schlimm in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status. Bildungsarm wird noch einmal deutlich bildungsärmer. Homeschooling ist keine Alternative, wenn weltweit nur jedes dritte und in den ärmsten Ländern nur jedes sechste Kind Zugang zum Internet hat. Wie soll da Resilienz aufkommen? Ein weltweites 100 Milliarden Programm zur Ertüchtigung von Schulgebäuden, digitalen Anschlüssen, Lehrkräftekapazitäten ist hier ein Gebot der Stunde. Wie heißt es neuerdings so notwendig wie klar: „What ever it costs….“ Dies gilt umso mehr, als die Zahl der Kinder im Grund- und Sekundarschulalter ohne Schulbesuch mit 260 Millionen konstant geblieben ist. Auch wenn sie damit relativ gesunken sein dürfte, ist das kein Trost. Kinder brauchen Schulen. Für ihre Bildung und ihre Wohlfahrt. Und das ganz elementar. Sie können der einzige Ort sein, an dem Kinder Zugang zu Wasser-, Sanitär- und Hygieneeinrichtungen haben, wie die UNESCO anmahnt. Es ist banal und stimmt leider immer noch: Mädchen und Frauen sind davon besonders betroffen. Alphabetisierung und Grundbildung bleiben eine große Aufgabe. Hier bekommt eine feministische Außenpolitik und Politik für Entwicklungszusammenarbeit einen zentralen Sinn. Die drei Ministerinnen, die mit ihren Häusern in Partnerschaft zur Deutschen UNESCO-Kommission stehen, müssen hier ein Zeichen setzen. Chancengleichheit zuerst!! An den Weltbildungsberichten ist das Besondere, dass sie jeweils ein Spezialthema aufrufen, das für die UNESCO-Mission mit dem Ziel 4 der „Sustainable Development Goals“ der UN Relevanz hat, nämlich bis 2030 für alle Menschen inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten des lebenslangen Lernen zu gewährleisten. Wer hat die Wahl? Wer verliert? Das sind die Leitfragen für das aktuelle Schwerpunktthema „Nicht-Staatliche Akteure in der Bildung“. Weltweit besuchen 350 Millionen Kinder und Jugendliche nicht-staatliche Schulen. Die UNESCO verzeichnet dabei eine unzureichende staatliche Aufsicht über Bildungseinrichtungen aller Art und eine mangelnde Regulierung in vielen Ländern. Zunehmende Ungleichheit durch hohe private Kosten geht einher mit Überschuldung. Bildung wird zum globalen Geschäft für High-Tech-Unternehmen auf dem Weg zu Bildungskonzernen. Dabei sind das staatliche öffentliche Schulwesen und zumindest die öffentliche Verantwortung für die schulische Bildung weltweit sehr populär. Je höher die Ungleichheiten im Bildungszugang, desto größer die Zustimmung zur öffentlichen Bereitstellung von Bildung. Allerdings ist Fakt: Private Bildungseinrichtungen halten weltweit einen Anteil von rund 17 % in der Grundschulbildung und 26% in der Sekundarschulbildung und in Zentral- und Südasien jeweils um20 Prozent höher. Gründe hierfür sind soziale Exklusivität, religiöser Glaube, Zweckmäßigkeit, Qualitätserwartung. Reale Qualitätsunterschiede der Schulen selbst lassen sich im Durchschnitt nicht belegen. Dies bleibt ein Mythos. Gern geglaubt, teuer bezahlt, aber nur von oberflächlicher Evidenz. In dieser Situation kommt die UNESCO zu Empfehlungen, die wir auch in Deutschland nur allzu gut in ihren Ambivalenzen kennen. Im Respekt vor der Vielfalt des globalen Bildungswesens konzentriert sich die UNESCO in ihren Empfehlungen für mehr Chancengleichheit auf einige Kernforderungen: Die öffentliche Verantwortung für Bildung muss gestärkt werden. Öffentliche Finanzierung muss nicht notwendig öffentliche Bereitstellung heißen. Bildungskosten dürfen niemanden exkludieren. Es braucht eine effektive staatliche Aufsicht für nichtstaatliche Akteure, die Schaffung von Qualitätsstandards, den Aufbau von Infrastruktur und eine gute Lehrkräftebildung. Hier können sich Deutschland und Europa jetzt ebenso selbstbewusst wie selbstkritisch einreihen. Und müssen dann auch globale Mitverantwortung übernehmen.


Dr. Ernst Dieter Rossmann war in der 19. Legislaturperiode Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung. Der SPD-Politiker aus Elmshorn zählt seit 1987 zu den profilierten Bildungs- und Weiterbildungsexperten seiner Partei. Im Mai 2019 wurde er nach zwölfjähriger Tätigkeit als Vorsitzender zum Ehrenvorsitzenden des Deutschen Volkshochschul-Verbandes gewählt. Er schreibt regelmäßig für das zwd-POLITIKMAGAZIN.

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